Fälle und Lösungen zum Öffentlichen Recht. Joachim Wolf

Fälle und Lösungen zum Öffentlichen Recht - Joachim Wolf


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für einen bestimmten Flug einchecken und Gepäckstücke aufgeben, die Explosivstoffe enthalten, ohne dann selbst das Flugzeug zu besteigen, werfen eine Reihe erörterungswürdiger Fragen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitskontrolle auf. Sicherheitslücken für diese Fälle könnten vermieden werden, wenn eingecheckte Personen, die nicht die Reise antreten, zu einer eingehenden Kontrolle des gesamten Reisegepäcks im Frachtraum führen würden. Das ist aber nicht die Praxis im heutigen Flugverkehr.

      Es sprechen gute Gründe dafür, in der flächendeckenden Einführung der Scannertechnologie für Passagierkontrollen bei gleichzeitig nur stichprobenartiger Kontrolle von Fluggepäck, das in demselben Flugzeug mitgeführt wird, einen unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Passagiere zu sehen. Zwar bliebe der Eingriff durch Scannerdurchleuchtung der Passagiere derselbe, wenn das Begleitgepäck nicht nur stichprobenmäßig, sondern ausnahmslos kontrolliert würde. Abweichungen ergäben sich aber sowohl hinsichtlich der Geeignetheit als auch der Erforderlichkeit der Durchleuchtung der Passagiere. Wenn das Begleitgepäck flächendeckend kontrolliert wird und Risiken in diesem Bereich ausgeschlossen werden können, stellen unter der Kleidung am Körper versteckte Gegenstände das einzig verbleibende Sicherheitsrisiko dar. Damit erhöhten sich Eignung und Erforderlichkeit und mit ihnen die Rechtfertigungsfähigkeit der Durchleuchtung der Passagiere.

      |27|3. Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung

      Durch Einsatz der Scannertechnologie werden Einblicke in die unbekleidete Körperoberfläche von Fluggästen ermöglicht. Es werden also für das Kontrollpersonal sichtbare Bilder der Körperoberfläche der Fluggäste angefertigt. Dies ist ein gesetzlich erzwungener, also staatlicher Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, hier in der besonderen Ausprägung des Rechts am eigenen Bild. Dass diese Bilder, bei negativem Kontrollbefund, unmittelbar nach ihrer Aufnahme wieder gelöscht werden ändert nichts an dem staatlichen Eingriff. Da es sich um personenbezogene Bilder und Verarbeitungsvorgänge handelt, fällt der Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Es geht um das Recht zur Selbstbestimmung über die staatliche Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten.

      4. Eingriffsrechtfertigung

      Für eine mögliche Eingriffsrechtfertigung sind die auch für das Recht auf Schutz der Privat- und Intimsphäre geltenden Schrankenvorbehalte, also insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in seinen verschiedenen Abstufungen, zu prüfen. Insoweit kann auf die Ausführungen oben zur Eingriffsrechtfertigung bei dieser Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verwiesen werden. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung wird die Frage relevant, welche Bedeutung der Verwendung der erhobenen Daten zukommt. Bei einer sofortigen Datenlöschung, wenn kein negativer Sicherheitsbefund vorliegt, bleibt der staatliche Eingriff in personenbezogene Daten gering.

      III. Eingriff in das Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, Art. 4 Abs. 1 GG

      Im Hinblick auf Religionen, die von ihren Anhängern die Einhaltung religiöser Bekleidungs- und Entkleidungsvorschriften verlangen, fällt auch das Gebot der Achtung solcher Vorschriften durch die deutsche Staatsgewalt in den grundrechtlichen Schutzbereich der Religions-, Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Wenn der menschliche Körper nach Maßgabe solcher religiöser Vorschriften bewusst durch Kleidung verdeckt gehalten werden muss, stellt die visuelle technische Durchdringung der Bekleidung von Fluggästen, die an solche religiösen Be- und Entkleidungsvorschriften gebunden sind, einen staatlichen Eingriff in das Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit dar.

      Im Rahmen der Eingriffsrechtfertigung ist insbesondere eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen, für die wiederum auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann.

      |28|IV. Unvereinbarkeit der Ausgestaltung des Einsatzes der Scannertechnologie als Eigensicherung durch den Flughafenbetreiber mit einem hoheitlichen Charakter der Kontrollmaßnahme

      In Betracht kommt eine Verletzung von Art. 33 Abs. 4 GG als grundrechtsgleiches Recht gemäß § 90 Abs. 1 BVerfGG.

      Eine Beleihung darf nur durch oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen. Der Gesetzesvorbehalt betrifft nicht nur das „Ob“ einer Beleihung, sondern umfasst auch deren wesentliche Modalitäten. Art. 33 Abs. 4 GG begründet somit einen sog. Funktionsvorbehalt. Die Wahrnehmung bestimmter hoheitlicher Aufgaben soll „in der Regel“ Personen vorbehalten sein, die Beamte sind, um die Neutralität und Unparteilichkeit bei der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben zu gewährleisten. Die inhaltlichen Anforderungen an eine Übertragung auf Private bemessen sich nach dem Entscheidungsgehalt des aufgetragenen Handelns und damit nach der Bedeutung der übertragenen Aufgabe. Je höher also die grundrechtliche Relevanz des amtlichen Handelns ist, umso sorgfältiger muss überprüft werden, ob eine Übertragung auf Private möglich erscheint.

      Vom Grundsatz her gebietet Art. 33 Abs. 4 GG eine exklusive staatliche Wahrnehmung für diejenigen hoheitlichen Befugnisse der Eingriffsverwaltung, die mit intensiven Eingriffen in grundrechtliche Schutzbereiche verbunden sind.

      Gutachterlich ist eine Auseinandersetzung mit den im Sachverhalt aufgeführten Kritikpunkten erforderlich. Im Ergebnis wird ein Verstoß gegen Art. 33 Abs. 4 GG wohl zu verneinen sein. Die im Luftsicherheitsgesetz vorgesehenen Aufgaben und Befugnisse beim Betrieb der Körperscanner lassen sich noch als Ausnahmen vom Grundsatz des Funktionsvorbehalts einordnen. Solche Ausnahmen sieht Art. 33 Abs. 4 GG selbst durch die Verwendung der Worte „in der Regel“ vor. Der bloße fiskalische Gesichtspunkt, dass eine Aufgabenwahrnehmung durch Private den öffentlichen Haushalt entlasten würde, dürfte nicht ausreichend sein. Ein tragfähiger Sachgesichtspunkt ist jedoch der Routinecharakter des Einsatzes von Körperscannern, der sich auf alle Kontrollfälle erstreckt, nicht nur auf diejenigen, in denen keine am Körper versteckten Gegenstände entdeckt werden. Mit dem Routinecharakter argumentiert auch die Rechtsprechung des BVerwG hinsichtlich der im Luftsicherheitsgesetz vorgesehenen Eigensicherungsmaßnahmen. Hiernach hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum in der Frage, ob er Routineuntersuchungen dem Bereich der staatlichen Gefahrenabwehr oder dem Bereich der Eigensicherung durch Flughafenbetreiber zuordnet.

      Die Beleihung Privater darf jedoch nicht zu einer Flucht aus der staatlichen Verantwortung führen. Die Einschätzung des Gesetzgebers, dass dieser Verantwortung unter den gesetzten Rahmenbedingungen ausreichend Rechnung getragen ist, muss sich in der Realität bewahrheiten. Die staatliche Gewährleistungsverantwortung für die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung schließt daher eine entsprechende Beobachtungspflicht ein (BVerfG, Urteil vom 18.01.2012, 2 BvR 133/10).

      |29|Zweite Fallfrage: Wäre eine Verfassungsbeschwerde von Frau F, einer regelmäßig ins Ausland fliegenden Geschäftsfrau, mit dem Antrag, die Verfassungswidrigkeit der geplanten Gesetzesänderung schon vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens festzustellen, zulässig?

      Die Frage betrifft die Problematik, ob eine präventive Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetzesvorhaben zulässig ist.

      Eine Verfassungsbeschwerde gegen gesetzliche Bestimmungen setzt voraus, dass die Beschwerdebefugnis ausreichend substantiiert dargelegt wird und der Beschwerdeführer durch die angegriffene Norm selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen ist (BVerfG, Urteil vom 05.12.2006, 1 BvR 2186/06, BVerfGE 117, 126, 135). Dies ist grundsätzlich dann nicht der Fall, wenn Rechtsnormen zu ihrer Durchführung noch administrativer Vollzugsakte bedürfen, da regelmäßig erst solche Vollzugsakte die Rechtssphäre des Einzelnen tatsächlich berühren (BVerfG, Urteil vom 14.07.1999, 1 BvR 2226/94, BVerfGE 100, 313, 354).

      In folgenden Fällen hat das BVerfG aber eine unmittelbare Grundrechtsbetroffenheit ausnahmsweise bejaht: wenn die beanstandete Regelung bereits vor ihrer konkreten Anwendung im Einzelfall verhaltensprägende Vorwirkungen entfalten soll (BVerfG, Urteil vom 08.02.1977, 1 BvR 1/76, BVerfGE 43, 291, 387) oder tatsächlich entfaltet (BVerfG, Urteil vom 14.01.1998, 1 BvR 1995/94, BVerfGE 97, 157) oder den Wert der geltend gemachten Grundrechtsposition konkret und mit Einfluss auf die Dispositionsmöglichkeiten des Betroffenen beeinträchtigt


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