Wege zur Rechtsgeschichte: Römisches Erbrecht. Ulrike Babusiaux

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wenn die vorgelegten Gutachten abweichende Meinungen vertraten, blieb ihm die Wahl, sich einer der beiden Meinungen anzuschließen. Der kaiserliche Zugriff auf die Juristen sorgte mithin für eine einheitlichere Rechtsanwendung und führte gleichzeitig zu einer kaiserlichen Kontrolle über das vor Gericht angewandte Recht.

      In die gleiche Richtung weist die von Kaiser Hadrian veranlasste Verkündung eines ewigen Edikts (edictum perpetuum) für Prätoren und Statthalter: Während die jährlichen Edikte der Magistrate Ausdruck ihrer eigenen Jurisdiktionsgewalt waren und trotz Anlehnung an das Edikt des Vorgängers auf eigener Schöpfung beruhten, ließ Kaiser Hadrian durch den Juristen Julian (2. Jahrhundert n. Chr.) eine allgemeingültige Version des prätorischen Edikts vorbereiten. Dieses Edikt wurde um 130 n. Chr. durch einen Senatsbeschluss in Kraft gesetzt und bildete fortan die unveränderliche Grundlage der Rechtsprechung in Rom und in den Provinzen. Zwar stand den Juristen weiterhin die Interpretation und interpretative Ergänzung von Ediktsklauseln offen, durch die Fixierung des Edikts wurde aber der Rechtssetzungsspielraum der Magistrate begrenzt und vor allem schon im Vorhinein durch den princeps kontrolliert.

      Die Zeit der severischen Kaiser (193 – 235 n. Chr.) gilt in verschiedener Hinsicht als Höhepunkt des Einflusses der Juristen auf die Staatsgeschäfte. Schon seit Hadrian (117 – 138 n. Chr.) waren die Juristen sowohl im kaiserlichen Rat (consilium) als auch in der kaiserlichen Kanzlei unmittelbar an der Rechtssetzung durch den princeps beteiligt. In der Epoche der Severer wirkten mit Aemilius Papinianus (Papinian), Iulius Paulus (Paulus) und Domitius Ulpianus (Ulpian) gleich drei Juristen, die auch durch ihre Schriften zu den bedeutendsten Fachvertretern zählen, als kaiserliche Beamte und Mitglieder des Rates. Alle drei hatten die Position des Prätorianerpräfekten (praefectus praetorio) inne und waren damit direkte Vertreter des Kaisers in der Zivilverwaltung und Rechtsprechung. Auf diese Weise waren sie für die Zivil- und Strafgerichtsbarkeit zuständig und konnten in Vertretung des Kaisers auch Berufungsverfahren (appellationes) gegen Urteile durchführen. Auch in weniger prominenter Stellung wirkten sie auf die kaiserliche Rechtssetzung ein, indem sie als Kanzleibeamte die kaiserlichen Antworten (rescripta, davon Reskripte) auf Rechtsanfragen aus dem ganzen Reich vorbereiteten und als Beratungsgremium für das Kaisergericht dienten. Diese doppelte Funktion ist typisch für die Juristen der gesamten Kaiserzeit, die uns durch ihre ‚private‘ literarische Produktion (Rechtsliteratur) in Justinians Digesten bekannt sind.

      In Übersicht 6 sind die Namen der im Folgenden am häufigsten zitierten Juristen – geordnet nach der kaiserlichen Dynastie, unter der sie wirkten – aufgeführt:

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      Die zeitliche Zuordnung eines Juristen zu einer bestimmten kaiserlichen Dynastie kann Aufschluss über die Rahmenbedingungen seines Wirkens geben und erlaubt, seinen Platz innerhalb der verschiedenen Juristengenerationen zu bestimmen. Die Details dieser Geschichte der römischen Jurisprudenz bleiben hier jedoch ebenso wie die Biographien und die Beschreibung der Schriften der einzelnen Prinzipatsjuristen ausgeklammert. Festzuhalten ist lediglich, dass der Prinzipat mit seiner engen Verbindung zwischen Kaisertum und Jurisprudenz die Voraussetzungen bot, die fachwissenschaftliche Diskussion auch literarisch zu fixieren und eine juristische Fachliteratur auszuprägen. Schon in der an die Severerzeit anschließenden Epoche, die als Zeit der „Soldatenkaiser“ (235 – 284 n. Chr.) bezeichnet wird, weil die häufigen Herrscherwechsel meist durch militärische Umstürze erfolgten, geht diese Möglichkeit wieder verloren. Dies lag vor allem daran, dass die kaiserliche Verwaltung aufgrund der gewaltsamen Herrscherwechsel in dieser Zeit nicht mehr von Juristen, sondern von Militärs dominiert wurde. Wenngleich die kaiserliche Kanzlei weiterhin Rechtsauskünfte erteilte und Recht setzte, verlor die Jurisprudenz ihre herausragende und mächtige Stellung, die sie seit Oktavian innehatte. Allerdings wirkten die Juristen des Prinzipats über ihre Schriften auch auf die Rechtssetzung der nachfolgenden Kaiser ein. Dies gilt in besonderem Maße für die Kaiser Diokletian (Ostrom, 284 – 305 n. Chr.) und Maximian (Westrom, 286 – 305 n. Chr.), die versuchten, die Herrschaft über das römische Reich durch dessen Neuorganisation zu sichern, und dabei in ihrer Rechtsprechung bewusst an die Vorbilder des Prinzipats anknüpften.

      Die Zäsur zur Spätantike bildete der mit Kaiser Konstantin I. (306 – 337 n. Chr.) beginnende Aufstieg des Christentums zur Staatsreligion. Die Berufung auf eine göttliche Legitimation der Herrschaft führte zu einer Veränderung der Herrschaftsbegründung und der Herrschaftsformen, und die Gebote des Christentums veränderten die Vorgaben für das Recht. Dennoch blieben die Schriften der Prinzipatsjuristen und die Rechtssetzungsakte der früheren römischen Kaiser auch im 4. Jahrhundert n. Chr. bekannt und wurden weiter abgeschrieben und verbreitet. In der Zeit der Völkerwanderung (4. und 5. Jahrhundert n. Chr.) wurden sowohl die Rechts- als auch die Reichseinheit geschwächt: Während im Osten des Reiches die antike Tradition fortlebte, endete das Westreich mit dem Tod des letzten von Byzanz anerkannten weströmischen Kaisers Julius Nepos (474 – 480 n. Chr.).

      Die Zeitspanne, für welche die Entwicklung des römischen Erbrechts zu betrachten sein wird, ist gegenüber dem skizzierten zeitlichen Rahmen begrenzt. Sie betrifft – allein schon aufgrund der Quellenlage (Kap. 1.2) – vorrangig die Zeit vom 1. Jahrhundert v. Chr. bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. (in der Übersicht 7 hervorgehoben). Historisch gesehen erfasst die Darstellung damit die ausgehende römische Republik sowie die römische Kaiserzeit (Prinzipat).

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      Auch dieser Zeitraum von knapp 400 Jahren ist – wie schon die skizzierte historische Entwicklung gezeigt hat – keine homogene Epoche. In der justinianischen Kompilation der römischen Juristenschriften (Digesten) finden sich aber nahezu ausschließlich Werke aus diesem Zeitraum mit einem Schwerpunkt im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. Es ist daher die Rechtsanschauung dieser Juristen der Prinzipatszeit, die auch die Darstellung der römischen Rechtsentwicklung prägt.

      Die römischen Juristen des 2. und 3. Jahrhunderts n. Chr. unterscheiden verschiedene Rechtsschichten, das heißt Regelungen, die einer gemeinsamen Entwicklungsstufe angehören. Diese Unterscheidung von Rechtsschichten nach historischem Ursprung und damit verbunden abweichender rechtspolitischer Zwecksetzung dient den Juristen als elementare Rechtsquellenlehre. Dabei ordnen die römischen Juristen die Rechtsquellen nicht hierarchisch, sondern genetisch, indem sie eine nachfolgende oder hinzutretende Rechtsschicht vor allem in ihrer Gegensätzlichkeit zum bestehenden Recht kennzeichnen. Die Forschung zum römischen Recht bedient sich dieser Ansätze, um die römische Rechtsordnung zu charakterisieren. Man spricht daher von den ‚Rechtsschichten des römischen Privatrechts‘. Damit ist die bereits beschriebene historische Anlagerung von Normen unterschiedlicher Provenienz und Zielsetzung gemeint, die das römische Privatrecht kennzeichnet (Kap. 1.3.1). Da dieses Rechtsschichtenmodell auch bei der Darstellung der erbrechtlichen Institute zugrunde gelegt werden wird, sind im Folgenden die in den Juristenschriften anzutreffenden Charakterisierungen verschiedener Rechtsschichten vorzustellen.

      Den theoretischen Ausgangspunkt der Reflexion über Rechtsschichten in den Juristenschriften bildet das ius naturale („natürliches Recht“), das nicht mit dem heutigen Naturrecht verwechselt werden darf:

       D. 1.1.1.3


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