Wege zur Rechtsgeschichte: Römisches Erbrecht. Ulrike Babusiaux

Wege zur Rechtsgeschichte: Römisches Erbrecht - Ulrike Babusiaux


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quae in terra, quae in mari nascuntur, avium quoque commune est. Hinc descendit maris atque feminae coniunctio, quam nos matrimonium appellamus, hinc liberorum procreatio, hinc educatio: Videmus etenim cetera quoque animalia, feras etiam istius iuris peritia censeri.

      Das natürliche Recht besteht aus dem, was die Natur alle Lebewesen gelehrt hat: Denn dieses Recht ist nicht der Menschheit vorbehalten, sondern ist allen Lebewesen, die auf der Erde und die im Meer geboren werden, und auch den Vögeln gemeinsam. Von diesem Recht stammt die Verbindung von Mann und Frau ab, die wir als Ehe (matrimonium) bezeichnen; ebenso die Zeugung von Kindern und ihre Erziehung. Wir sehen nämlich, dass auch die anderen Lebewesen, sogar die wilden Tiere, durch die Kenntnis dieses Rechts erfasst werden.

      Ulpian (3. Jahrhundert n. Chr.) definiert als ius naturale das von der Natur gegebene Recht, das als ursprünglich vorgefundenes Recht dem vom Menschen geschaffenen Recht gegenübersteht. Da das menschliche Recht dem naturgegebenen Zustand widersprechen kann, bildet das ius naturale einen Ansatzpunkt für Rechtskritik:

       D. 1.1.11 Paulus 14 ad SabinumIus pluribus modis dicitur: Uno modo, cum id quod semper aequum ac bonum est ius dicitur, ut est ius naturale. Altero modo, quod omnibus aut pluribus in quaque civitate utile est, ut est ius civile. […].

      Der Begriff „Recht“ wird auf mehrere Weisen verwendet: In der einen Weise, wenn das, was immer billig und gut ist, als Recht bezeichnet wird, das heißt das ius naturale. Auf andere Weise, was allen oder der Mehrheit in jeder beliebigen Gemeinde nützlich ist, das heißt das ius civile. […].

      Während das ius naturale der allgemeinen Gerechtigkeit (aequitas) verpflichtet ist, dient das ius civile, das heißt das für die Bürger einer Gemeinde geschaffene Recht, der Nützlichkeit (utilitas). Das ius civile kann daher einseitig bestimmte Gruppen oder Personen begünstigen, was gegen die allgemeine Gerechtigkeit, also das ius naturale, verstößt. Die Berufung auf die grundlegende Rechtsschicht des ius naturale kann daher – genau wie die Berufung auf die aequitas – dazu dienen, Rechtsänderungen und Anpassungen der bestehenden Regelungen zu fordern.

      Die grundlegende Rechtsschicht des vom Menschen geschaffenen Rechts bildet das ius civile:

       Gai. 1,1Omnes populi, qui legibus et moribus reguntur, partim suo proprio, partim communi omnium hominum iure utuntur: Nam quod quisque populus ipse sibi ius constituit, id ipsius proprium est vocaturque ius civile, quasi ius proprium civitatis; […].

      Alle Völker, die von Gesetzen und Sitten regiert werden, wenden teils ihr eigenes, teils das allen Menschen gemeinsame Recht an. Denn was ein jedes Volk selbst für sich als Recht festsetzt, das ist sein eigenes und wird ius civile genannt, sozusagen „das eigene Recht der Gemeinde (civitas)“; […].

      Das ius civile ist das innerhalb einer Bürgerschaft (civitas) geltende Recht; die Berufung auf dieses Recht setzt die Zugehörigkeit zur Bürgerschaft, also das Bürgerrecht, voraus.8 Hauptquellen des ius civile in Rom sind das Zwölftafelgesetz (ca. 450 v. Chr.) und andere Volksgesetze (leges) der republikanischen Zeit. Seinen Gegenpol bildet das über die Gemeinde (Rom) hinausweisende Recht, das unabhängig vom Bürgerrecht Anwendung findet und das als ius gentium (‚Völkergemeinrecht‘) bezeichnet wird. Dieses Völkergemeinrecht ist nicht wie das ‚Völkerrecht‘ auf die zwischenstaatliche Sphäre beschränkt, sondern umfasst auch das Privatrecht, das heißt Rechtsverbindungen zwischen Bürgern verschiedener Gemeinden, zum Beispiel in Handelsbeziehungen. Im hier untersuchten Erbrecht spielt das ius gentium keine Rolle, was sich aus der engen Verbindung zum Familien- und Personenrecht erklären lässt: Solange das Erbrecht in der archaischen Zeit der Fortsetzung der Familie über den Tod hinaus dient, gibt es kaum Raum für Übertragungen auf Nichtrömer (peregrinus = „fremd, ausländisch“, davon Peregrine). Soweit im Verlauf von Republik und Kaiserzeit auch das Erbrecht von Nichtrömern zum Thema wurde, wurden die Lücken des ius civile durch das prätorische Recht (ius praetorium) und das Kaiserrecht geschlossen.

      Das ius praetorium oder ius honorarium bildet die zweite wichtige Rechtsschicht des vom Menschen geschaffenen Rechts:

       D. 1.1.7.1 Papinianus 2 definitionumIus praetorium est, quod praetores introduxerunt adiuvandi vel supplendi vel corrigendi iuris civilis gratia propter utilitatem publicam. Quod et honorarium dicitur ad honorem praetorum sic nominatum.

      Das prätorische Recht ist dasjenige, das die Prätoren um der Unterstützung oder der Ergänzung oder der Korrektur des ius civile willen zum öffentlichen Wohl eingeführt haben. Dieses wird auch als ius honorarium bezeichnet, das zu Ehren (honor) der Prätoren so genannt wurde.

      Der Name ius praetorium leitet sich vom Amt des Gerichtsmagistraten (praetor oder allgemeiner honor = „Amt“, daher auch „Amtsrecht“) ab, verweist also darauf, dass das Recht auf dem prätorischen Edikt beruht. Sein Zweck ergibt sich aus dem Rechtsdurchsetzungszweck des prätorischen Edikts: Das Edikt stellt die Klageformeln und Einreden zur Verfügung, die Voraussetzung für die Gewährung von Rechtsschutz sind. Aus diesem Grund wird das ius praetorium vorrangig in seiner Funktion für das ius civile, verstanden als Summe der für den römischen Bürger geltenden Rechtsgrundsätze und Rechtsinstitute, definiert. Das prätorische Recht als Prozessrecht des ius civile dient in dieser Perspektive zunächst dazu, das ius civile zu unterstützen und bei dessen Lückenhaftigkeit zu ergänzen. Der vom Prätor gewährte Rechtsschutz kann aber auch eine das ius civile korrigierende Funktion haben. Auch diese Korrekturwirkung kann – wie das gesamte ius praetorium – aus dem öffentlichen Auftrag des Prätors gerechtfertigt werden.

      Auf diese Weise besteht tendenziell ein Spannungsverhältnis zwischen ius civile und ius praetorium. Diese Dualität beider Rechtsschichten dauert auch nach Beginn des Prinzipats fort. Obwohl das Edikt seit Kaiser Hadrian (117 – 138 n. Chr.) als kaiserliches Recht wirkt (Kap. 2.1.2), wird es in den Juristenschriften weiter als ius praetorium bezeichnet. Auch das ius civile wird bis in die Kaiserzeit als eigenständige Rechtsschicht angesehen, wenngleich das Kaiserrecht auch für dieses neue Vorgaben setzt und unmittelbar verändernd in das ius civile eingreift.

      Das Kaiserrecht, verstanden als dritte Rechtsschicht des menschlich geschaffenen Rechts, besteht aus Senatsbeschlüssen (senatusconsulta) und kaiserlichen Konstitutionen (constitutiones). Beiden Rechtssetzungsakten kommt nach Meinung der kaiserzeitlichen Juristen Gesetzeskraft zu:

       Gai. 1,4Senatus consultum est, quod senatus iubet atque constituit; idque legis vicem optinet, quamvis [de ea re] fuerit quaesitum.

      Ein Senatsbeschluss ist, was der Senat befiehlt und festsetzt. Und dieser erhält die Aufgabe eines Gesetzes, obwohl diese Wirkung in Frage gestellt wurde.

      Als Senatsbeschluss (senatusconsultum) wird eine verbindliche Anordnung des Senats bezeichnet. Gaius (2. Jahrhundert n. Chr.) erkennt ihr Gesetzesgleichheit zu, wobei er andeutet, dass diese Wirkung umstritten war. Diese knappe Bemerkung spielt auf die Entwicklung des Senats zu einem Gesetzgebungsorgan des princeps an: In der Republik war der Senat die Versammlung der früheren Höchstmagistrate (Prätoren und Konsuln). Seine Hauptbefugnisse waren die staatsrechtliche Genehmigung (auctoritas patrum) von Gesetzen (leges) und die Erteilung von ‚Ratschlägen‘ (consultum von consulere = „um Rat fragen“) an Magistrate. Auf Antrag des Höchstmagistraten trat der Senat zusammen, beriet und entschied über die magistratischen Anfragen. Dieses Antragsrecht vor dem Senat (ius agendi cum


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