Wege zur Rechtsgeschichte: Römisches Erbrecht. Ulrike Babusiaux
9a: Erbfolge der Hauskinder
Verstirbt der Großvater zu Lebzeiten von Vater 1, Vater 2 und deren Schwester, erben die drei gemeinsam nach Kopfteilen; somit erhält jeder ein Drittel des Nachlasses.
Übersicht 9b: Nachrücken der Abkömmlinge
Ist Vater 1 vorverstorben, treten seine Söhne (Sohn 1 und Sohn 2) an seine Stelle. Auf diese Weise erhalten die Söhne 1 und 2 je ein Sechstel, Vater 2 und dessen Schwester je ein Drittel.
Übersicht 9c: Kein Nachrücken bei weiblichen Hauskindern
Ist die Schwester vorverstorben, während Vater 1 und Vater 2 leben, teilen sich die beiden den Nachlass, erhalten also je die Hälfte. Abkömmlinge der Schwester erhalten nichts, treten also nicht an die Stelle der Schwester, weil sie als Frau keinen Stamm bildet. Dagegen bilden die männlichen Abkömmlinge Stämme: Aus diesem Grund treten Enkel 1 und 2 anstelle des Sohnes 1, Enkelin 1 anstelle des Sohnes 2 und Enkel 3 anstelle des Sohnes 3, wenn der jeweilige Sohn vorverstorben ist. Während aber die männlichen Abkömmlinge ihrerseits einen Stamm bilden, endet der Stamm von Sohn 2 mit der Enkelin 1, da sie selbst keine Hausgewalt begründen kann.
Das die Hauserbenstellung begründende Gewaltverhältnis des Hausvaters über seine Hauskinder endet aber nicht nur mit dem Tod des Gewalthabers, sondern kann auch zu dessen Lebzeiten beendet werden.
3.1.2 Die emancipatio des Hauskindes
Diese rechtsgeschäftliche Beendigung der Hausgewalt wird als emancipatio („Entlassung aus der väterlichen Gewalt“) bezeichnet. Die Bezeichnung leitet sich ab von der Form des Rechtsgeschäfts, der Manzipation (mancipatio), die in diesem Zusammenhang zum Zwecke der Freilassung vollzogen wird. Die Manzipation ist ein Libralakt, das heißt ein kaufähnliches Rechtsgeschäft, das „mit Kupfer und Waage“ (per aes et libram) vorgenommen wird. Der Ursprung der Libralakte ist im Zuwägen des Kaufpreises zu sehen, liegt also im Barkauf. Im hier interessierenden Zeitraum dient das Geschäft per aes et libram als Übertragungsakt, mit dem Eigentum an manzipierfähigen Sachen (res mancipi) sowie Gewalt an gewaltunterworfenen Personen (Sklaven und Hauskindern) erworben wird. Der kaufrechtliche Ursprung des Geschäftes lebt allein im Ritual fort: Zum Erwerb des Eigentums oder der Gewalt schlägt der Erwerber mit einer Kupfermünze an die Waage und übergibt diese dem Veräußerer „sozusagen anstelle des Kaufpreises“ (quasi pretii loco, Gai. 1,119). Diese „Manzipation mittels einer Münze“ (mancipatio nummo uno) hat sich vom ursprünglichen Erwerbszweck des Geschäftes gelöst. Damit kann die Manzipation für andere Zwecke genutzt werden:
Gai. 1,132Praeterea emancipatione desinunt liberi in potestate parentum esse. Sed filius quidem tribus mancipationibus, ceteri vero liberi sive masculini sexus sive feminini una mancipatione exeunt de parentium potestate: Lex enim XII tabularum tantum in persona filii de tribus mancipationibus loquitur his verbis: „Si pater ter filium venum duit a patre filius liber esto.“ […]
Im Übrigen hören Hauskinder durch emancipatio auf, in der Hausgewalt der Väter zu sein. Aber ein Sohn tritt freilich erst nach drei Manzipationen, alle anderen Abkömmlinge aber sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechts treten nach einer Manzipation aus der Hausgewalt der Väter aus; das Zwölftafelgesetz spricht nämlich nur bei einem Sohn von drei Manzipationen mit folgenden Worten: „Wenn der Vater den Sohn dreimal zum Verkauf gegeben hat, soll der Sohn vom Vater frei sein.“ […]
Zur Entlassung aus der väterlichen Gewalt müssen Haussöhne dreimal, übrige Abkömmlinge nur einmal in fremde Gewalt veräußert und vom neuen Gewalthaber freigelassen werden. Die Erschwernis bei der emancipatio des Sohnes stützt Gaius (2. Jahrhundert n. Chr.) auf einen Satz des Zwölftafelgesetzes (ca. 450 v. Chr.), nach dem der Sohn vom Vater frei sei, wenn dieser ihn dreimal zum Verkauf gegeben habe. Es besteht die Vermutung, dass die Freiheit des Sohnes im Zwölftafelgesetz ursprünglich als Strafe für den Hausvater vorgesehen war, der seine elterliche Macht durch zu häufigen Verkauf des Sohnes in fremde Dienste missbraucht hatte. Diese Sanktion wird im hier interessierenden Zeitraum ausgenutzt, um das Gewaltverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen zu beenden. Ernst Rabel hat die emancipatio daher als ‚nachgeformtes Rechtsgeschäft‘ bezeichnet, mit dem die anerkannten Rechtsfolgen des väterlichen Manzipationsaktes („Freiheit des Sohnes“) zweckentfremdet werden („Entlassung aus der Gewalt“).
Auf Ebene des Intestaterbrechts nach ius civile führt die emancipatio zum Ausscheiden des Hauskindes aus der Gruppe der Hauserben, und – sofern es sich um einen Sohn handelt – zum Nachrücken seiner Abkömmlinge. Die Gewaltfreiheit des Hauskindes wird als Verlust der Familienzugehörigkeit und damit als Statusverlust (capitis deminutio) angesehen. In der Tat steht das emanzipierte Hauskind erbrechtlich einem vorverstorbenen Hauskind gleich.
Sind bei testamentslosem Versterben des Hausvaters keine Hauskinder (mehr) vorhanden, sieht das Zwölftafelgesetz (V,4) vor, dass der gradnächste Agnat Erbe werden soll: „[…], soll der gradnächste Agnat den Hausbesitz und das Vermögen haben.“ (agnatus proximus familiam pecuniamque habeto).
3.1.3 Das Erbrecht der Agnaten
Als agnatus (von adgnatus = „der Hinzugeborene“) wird ein Blutsverwandter bezeichnet, der in ununterbrochener männlicher Linie von einem gemeinsamen Vorvater abstammt:
Gai. 3,10Vocantur autem adgnati, qui legitima cognatione iuncti sunt. Legitima autem cognatio est ea, quae per virilis sexus personas coniungitur. Itaque eodem patre nati fratres agnati sibi sunt, qui etiam consanguinei vocantur, nec requiritur, an etiam matrem eandem habuerint. Item patruus fratris filio et invicem is illi agnatus est. […].
Diejenigen werden aber Agnaten genannt, die durch gesetzliche Verwandtschaft verbunden sind. Gesetzlich aber ist diejenige Verwandtschaft, die durch Personen männlichen Geschlechts vermittelt wird. Daher sind Brüder, die von demselben Vater geboren wurden, gegenseitig Agnaten, die auch „Geschwister von der Vaterseite“ (consanguinei) genannt werden, und es wird nicht geprüft, ob sie auch dieselbe Mutter gehabt haben. Ebenso ist der Onkel dem Neffen und umgekehrt der Neffe dem Onkel Agnat. […].
Agnatisch verwandt sind danach Personen, die gemeinsam unter der Gewalt ein- und desselben pater familias stehen oder stehen würden, falls dieser noch lebte. Es handelt sich um eine Verwandtschaftsform, die aufgrund der Beschränkung der Hausgewalt auf Männer nur über diese vermittelt wird. Frauen können nur insoweit agnatisch verwandt sein, als sie mit anderen unter einer gemeinsamen Hausgewalt stehen oder stehen würden, also soweit sie Töchter, Enkelinnen oder Cousinen sind.
Die Verwandtschaftsgrade der agnatischen Verwandtschaft bestimmen sich nach der Anzahl der Zeugungen, die zwischen Angehörigen eines Gewaltverhältnisses bestehen. Agnatische Verwandte des Erblassers im ersten Grad sind dessen Vater und die eigenen, in der Gewalt des Erblassers befindlichen Kinder. Seine agnatischen Verwandten des zweiten Grades sind Geschwister, die sich in der Gewalt desselben Vaters befinden oder befinden würden, sowie der Großvater und über einen Sohn vermittelte Enkel. Der dritte Grad agnatischer Verwandschaft schließlich besteht zwischen dem Erblasser und seinen Neffen und Nichten, sofern diese von seinem Bruder (und nicht von seiner Schwester) abstammen, sowie zu Onkeln und Tanten, die Geschwister des Vaters sind.
Erbberechtigt nach dem Intestaterbrecht des ius civile ist allein der gradnächste Agnat:
Gai. 3,11Non tamen omnibus simul agnatis dat lex XII tabularum hereditatem, sed his, qui tum, cum certum est aliquem intestatum decessisse, proximo gradu sunt.
Dennoch