Wege zur Rechtsgeschichte: Römisches Erbrecht. Ulrike Babusiaux

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(2. Jahrhundert n. Chr.) bereits aus der Übung gekommen. Da der Zwölftafelsatz formell fortbestand, musste Gaius in seinem Anfängerlehrbuch auf die Veränderung der Rechtslage hinweisen.

      Weitergehende Veränderungen der Intestaterbfolge nach ius civile beruhen auf dem prätorischen Recht, das sich neben dem Intestaterbrecht des ius civile ausbildete.

      Genau wie das Erbrecht nach ius civile unterscheidet auch das prätorische Edikt danach, ob der Antragsteller den Nachlass als Testamentserbe oder als Intestaterbe beansprucht. Während das ius civile den Übergang der Rechtsinhaberschaft anordnet, erlaubt das ius praetorium dem Berechtigten zunächst nur eine faktische Inhaberschaft am Nachlass. Diese wird als Nachlassbesitz (bonorum possessio) bezeichnet und verschafft dem Inhaber durch das Wirken des Prätors den Besitz sowie alle wirtschaftlichen Vorteile der Erbschaft. Der Prätor kann aber „keinen Erben schaffen“ (Kap. 4.2.2). Grundlage der prätorischen Zuweisung des Nachlassbesitzes ohne Testament (bonorum possessio ab intestato) ist das Edikt: „Wenn keine Testamentstafeln vorhanden sein werden“ (si tabulae testamenti nullae extabunt).10 In diesem Edikt nennt der Prätor die Antragsberechtigten, die bei Fehlen eines Testaments die Einweisung in den Nachlassbesitz verlangen können. Dabei unterscheidet das Edikt verschiedene Klassen von Intestaterben:

       D. 38.6.1.1 Ulpianus 44 ad edictumSed successionem ab intestato in plures partes divisit: Fecit enim gradus varios, primum liberorum, secundum legitimorum, tertium cognatorum, deinde viri et uxoris.

      Er [der Prätor] hat die Erbfolge ab intestato aber in mehrere Gruppen aufgeteilt: Er hat nämlich verschiedene Klassen geschaffen: als erste die der Kinder, als zweite die der nach ius civile zur Erbfolge Berufenen, als dritte die der Blutsverwandten und sodann die von Ehemann und Ehefrau.

      In der ersten Klasse des prätorischen Edikts sind die Abkömmlinge (liberi) berufen; in der zweiten Klasse die gesetzlichen Erben (legitimi); in der dritten die Blutsverwandten (cognati) und in der vierten sind Eheleute berechtigt (vir et uxor). Die Juristen verweisen auf diese im Edikt genannten Klassen unter Hinzufügung des Wortes „woher“ (unde), um die Grundlage der jeweiligen Berechtigung zum Nachlassbesitz anzuzeigen.

      Die genannten vier Klassen sind nacheinander zum Antrag des Nachlassbesitzes berechtigt; zu beachten ist, dass der Antrag für die Berechtigten einer Klasse nur innerhalb einer bestimmten Frist möglich ist: Die Frist beträgt für Eltern und Kinder ein Jahr, in allen anderen Fällen 100 Tage. Mit Verstreichen der Frist ist die nächste Klasse antragsberechtigt.

      Die vom Prätor gebildeten Klassen greifen teilweise auf das ius civile zurück; teilweise werden Personen in die Intestaterbfolge aufgenommen, die nach ius civile keine Erbberechtigung haben.

      In der ersten Klasse unde liberi beruft der Prätor alle Abkömmlinge des Erblassers:

       Gai. 3,26Nam liberos omnes, qui legitimo iure deficiuntur, vocat ad hereditatem, proinde ac si in potestate parentis mortis tempore fuissent, sive soli sint, sive etiam sui heredes, id est qui in potestate patris fuerunt, concurrant.

      Denn er beruft alle Abkömmlinge (liberi), die nach ius civile im Stich gelassen werden, ebenso zur Erbschaft, wie wenn sie zum Zeitpunkt des Todes ihres Vorfahren in seiner Hausgewalt gestanden hätten, sei es, dass sie alleine vorhanden sind, sei es, dass auch Hauserben, das heißt diejenigen, die in der Hausgewalt des Vaters gestanden haben, den Anspruch mit ihnen teilen.

      Unter die Abkömmlinge (liberi) fallen nicht nur die ohnehin nach ius civile berechtigten Hauserben (sui heredes), sondern auch diejenigen Abkömmlinge, die durch emancipatio aus der Hausgewalt ausgeschieden sind (Kap. 3.1.2). Genau wie nach ius civile gilt diese Berechtigung gleichermaßen für männliche wie für weibliche Nachkommen. Sind mehrere Generationen von Abkömmlingen vorhanden, also zum Beispiel Enkel neben Kindern, stellt sich die Frage, wie innerhalb eines Stammes zu verfahren ist. Nach ius civile führt die emancipatio des Haussohnes zum Nachrücken der Enkel (Kap. 3.1.3); da aber das ius praetorium auch den emanzipierten Sohn zur Intestaterbfolge beruft, kann hier das Stammesprinzip nicht in gleicher Weise Anwendung finden:

       D. 38.6.5.2 Pomponius 4 ad SabinumSi filius emancipatus non petierit bonorum possessionem, ita integra sunt omnia nepotibus, atque si filius non fuisset, ut quod filius habiturus esset petita bonorum possessione, hoc nepotibus ex eo solis, non etiam reliquis adcrescat.

      Wenn der emanzipierte Haussohn die bonorum possessio nicht verlangt hat, so ist alles ungeschmälert für die Enkel vorhanden, wie wenn es keinen Sohn gegeben hätte, so dass dies, was der Sohn erhalten hätte, nachdem er die bonorum possessio verlangt hätte, allein den Enkeln, die von ihm abstammen, nicht auch den übrigen anwächst.

      Ein Nachrücken der Enkel an die Stelle des emanzipierten Sohnes kommt nach ius praetorium nur in Betracht, wenn der Sohn keinen Antrag auf Erteilung der bonorum possessio ab intestato gestellt hat. Sind die Enkel in der Hausgewalt des Großvaters verblieben und damit Hauserben nach ius civile geworden, ergibt sich mithin ein Konflikt zwischen dem Intestaterbrecht des ius civile und dem ius praetorium: Nach ius civile sind allein die Enkel, nach ius praetorium dagegen nur der emanzipierte Haussohn zur Intestaterbfolge berufen. Dieser Widerspruch zwischen vorrangigen Intestaterben nach ius civile und erstklassig berufenen Intestaterben nach ius praetorium wird erst durch eine Neuerung des prätorischen Edikts in der Kaiserzeit überwunden. Diese wird als nova clausula Iuliani bezeichnet (Kap. 3.3.2).

      Die zweite Klasse der prätorischen Intestaterbfolge unde legitimi verweist auf das ius civile:

       D. 38.7.2.4 Ulpianus 46 ad edictumHaec autem bonorum possessio omnem vocat, qui ab intestato potuit esse heres, sive lex duodecim tabularum eum legitimum heredem faciat sive alia lex senatusve consultum. […].

      Diese bonorum possessio aber beruft jeden, der Intestaterbe sein konnte, sei es, dass das Zwölftafelgesetz ihn zum gesetzlichen Erben macht, sei es ein anderes Gesetz oder ein Senatsbeschluss. […].

      Nach der zweiten Klasse sind all diejenigen zur bonorum possessio ab intestato berufen, die Intestaterben nach ius civile sind. Antragsberechtigt sind also die Hauserben und die gradnächsten Agnaten. Die prätorische Anordnung hat zur Folge, dass die gewaltunterworfenen Kinder des Erblassers sowohl in der ersten Klasse (als liberi) als auch in der zweiten Klasse (als legitimi) den Nachlassbesitz ab intestato beantragen können. Erst nach ihnen steht unde legitimi genau wie nach ius civile auch dem proximus agnatus der Nachlassbesitz ab intestato zu. Kein Antragsrecht haben die Gentilen, deren Berechtigung im ius praetorium genau wie im späteren ius civile als überholt angesehen wird. Dafür treten im Laufe der Kaiserzeit durch Senatsbeschluss begründete gesetzliche Erbrechte hinzu, die den Berechtigten genauso das Antragsrecht auf die bonorum possessio ab intestato vermitteln wie es den Erbberechtigten der Zwölftafeln zusteht (Kap. 3.4).

      Da die zweite Klasse der prätorischen Intestaterben nur die nach ius civile Berufenen zum Antrag berechtigt, sind emanzipierte Hauskinder in dieser Klasse ausgeschlossen. Da sie ihre Familienzugehörigkeit durch capitis deminutio verloren haben, sind sie weder als Hauserben noch als Agnaten zur Intestaterbfolge nach ius civile


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