Wege zur Rechtsgeschichte: Römisches Erbrecht. Ulrike Babusiaux

Wege zur Rechtsgeschichte: Römisches Erbrecht - Ulrike Babusiaux


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verwandten Frauen über den zweiten Grad der consanguinitas hinaus (Kap. 3.1.4) wird vom Prätor beachtet.

      Diese in der zweiten Klasse ausgeschlossenen Personen werden erst in der dritten Klasse unde cognati vom Prätor als Intestaterben berufen. In dieser Klasse beruft der Prätor die Blutsverwandten (cognati, von cognatus = „blutsverwandt“) zur Intestaterbfolge. Die Blutsverwandtschaft ist von der agnatischen Verwandtschaft zu unterscheiden:

       D. 38.10.4.2 Modestinus 12 pandectarumCognationis substantia bifariam apud Romanos intellegitur: Nam quaedam cognationes iure civili, quaedam naturali conectuntur, nonnumquam utroque iure concurrente et naturali et civili copulatur cognatio. Et quidem naturalis cognatio per se sine civili cognatione intellegitur quae per feminas descendit, quae vulgo liberos peperit. Civilis autem per se, quae etiam legitima dicitur, sine iure naturali cognatio consistit per adoptionem. Utroque iure consistit cognatio, cum iustis nuptiis contractis copulatur. […].

      Das Wesen der Verwandtschaft wird bei den Römern auf zweifache Weise verstanden, denn einige Verwandtschaften werden durch ius civile, einige durch ius naturale begründet, bisweilen wird die Verwandtschaft durch das Zusammentreffen beider Rechte, sowohl des ius naturale, als auch des ius civile, begründet. Und zwar wird die natürliche (kognatische) Verwandtschaft für sich ohne zivilrechtliche (agnatische) Verwandtschaft als diejenige verstanden, die durch Frauen vermittelt wird, die Kinder außerhalb einer Ehe auf die Welt gebracht haben. Die Verwandtschaft nach ius civile aber, die auch als legitime Verwandtschaft bezeichnet wird, tritt für sich ohne Verwandtschaft nach ius naturale durch Adoption ein. Eine Verwandtschaft nach beiderlei Recht besteht, wenn sie aufgrund einer rechtmäßigen Eheschließung begründet wird. […].

      Die beiden Verwandtschaftsformen bilden ein Beispiel für unterschiedliche Rechtsschichten: Die cognatio wird von Modestinus (3. Jahrhundert n. Chr.) als Anwendungsfall des ius naturale dargestellt (Kap. 2.2.1), während die Agnation dem ius civile zuzuordnen ist. Beide Verwandtschaftsformen können getrennt oder in Kombination vorkommen: Nur kognatisch verwandt sind Mütter und ihre Kinder, weil es für die Agnation am Gewaltverhältnis fehlt. Dagegen findet sich eine Agnation ohne Blutsverwandtschaft bei der Annahme eines Kindes durch Adoption, da der Adoptivvater Hausgewalt über das angenommene Kind begründet.11 Sowohl kognatische als auch agnatische Verwandtschaft besteht, wenn ein Kind in einer römischen Ehe geboren wird, da durch das Gewaltverhältnis zum Vater eine agnatische Verwandtschaft, durch die Tatsache der Geburt eine Blutsverwandtschaft zu Mutter und Vater begründet wird.

      Das prätorische Intestaterbrecht unde cognati erlaubt die Berücksichtigung der natürlichen Verwandtschaft, das heißt der Blutsverwandtschaft, im Erbrecht:

       Gai. 3,27Adgnatos autem capite deminutos non secundo gradu post suos heredes vocat, id est, non eo gradu vocat, quo per legem vocarentur, si capite minuti non essent, sed tertio proximitatis nomine. Licet enim capitis deminutione ius legitimum perdiderint, certe cognationis iura retinent. […].

      Agnaten hingegen, deren Rechtsstellung geschmälert worden ist, beruft er [der Prätor] nicht in der zweiten Klasse nach den Hauserben; das heißt, er beruft sie nicht in derjenigen Klasse, in der sie von Gesetzes wegen berufen wären, wenn ihre Rechtsstellung nicht geschmälert worden wäre, sondern in der dritten Klasse aufgrund der nahen Verwandtschaft. Wenngleich sie durch die Schmälerung der Rechtsstellung zwar ihr gesetzliches Recht verloren haben, behalten sie nämlich die Rechte der Blutsverwandtschaft. […].

      Ein Sohn ist durch emancipatio aus der Gewalt des Vaters ausgeschieden und hat damit auch seine agnatische Verwandtschaft in der Familie verloren. Dieser Statusverlust (capitis deminutio minima) betrifft nur die agnatische Verwandtschaft. Dagegen bleibt die einfache Blutsverwandtschaft auch nach der emancipatio bestehen. Aus diesem Grund können aus der Familie ausgeschiedene Personen die bonorum possessio ab intestato in der dritten Klasse unde cognati erhalten.

      Auch die Frauen, die wegen der Gradferne ihres Verwandtschaftsverhältnisses zum Erblasser nach ius civile nicht zur Intestaterbfolge der Agnaten zugelassen werden, werden vom Prätor in der Klasse unde cognati geschützt:

       Gai. 3,29Feminae certe agnatae, quae consanguineorum gradum excedunt, tertio gradu vocantur, id est, si neque suus heres neque agnatus erit.

      Auf jeden Fall werden agnatische Frauen, die gradferner als Geschwister von der Vaterseite sind, in der dritten Klasse berufen, das heißt, wenn es weder einen Hauserben noch einen Agnaten geben wird.

      Wie gesehen, werden Frauen nach ius civile ab dem dritten Grad nicht mehr als erbberechtigte Agnaten angesehen (Kap. 3.1.4). Dagegen können sie den Nachlassbesitz unde cognati erlangen. Auf diese Weise erhalten sie die bonorum possessio ab intestato zwar erst nach den Hauserben und nach dem agnatus proximus, sind aber nicht wie nach ius civile vollständig ausgeschlossen. Noch bedeutsamer ist die in der Klasse unde cognati vollzogene Anerkennung der durch Frauen vermittelten Verwandtschaft:

       Gai. 3,30Eodem gradu vocantur etiam eae personae, quae per feminini sexus personas copulatae sunt.

      In derselben Klasse werden auch diejenigen Personen berufen, die durch Personen weiblichen Geschlechts [verwandtschaftlich] verbunden worden sind.

      In der dritten Klasse des prätorischen Intestaterbrechts können auch Personen den Nachlassbesitz erlangen, die nicht im Mannesstamm mit dem Erblasser verwandt sind, sondern von einer mit dem Erblasser verwandten Frau abstammen. Entgegen der Ordnung des ius civile werden damit auch die Abkömmlinge von Frauen als erbberechtigte Verwandte anerkannt. Diese Berücksichtigung der kognatischen Verwandtschaft bedeutete einen Paradigmenwechsel im römischen Familien- und Erbrecht:

       D. 38.8.1pr. Ulpianus 46 ad edictumHaec bonorum possessio nudam habet praetoris indulgentiam neque ex iure civili originem habet: Nam eos invitat ad bonorum possessionem, qui iure civili ad successionem admitti non possunt, id est cognatos.

      Dieser Nachlassbesitz beruht auf bloßer Nachsicht des Prätors und hat seinen Ursprung nicht im ius civile. Denn er lädt diejenigen zur bonorum possessio ein, die nach ius civile nicht zur Erbfolge zugelassen werden können, das heißt die Kognaten.

      Ulpian betont, dass allein das prätorische Recht eine Intestaterbfolge aufgrund der Blutsverwandtschaft kenne und zulasse, was er als bedeutende Neuerung gegenüber dem ius civile ansieht. Auch mit Blick auf die Ehegatten bringt die prätorische Intestaterbfolge bedeutsame Neuerungen.

      Wie gesehen, konnten sich Ehegatten nach ius civile nur im Rahmen einer manusEhe ab intestato beerben (Kap. 3.1.4). Waren die Ehegatten – wie es seit dem Ende der Republik üblich war – in einer freien Ehe verheiratet, bestand zwischen ihnen weder ein Verwandtschaftsverhältnis nach ius civile noch eine Erbberechtigung der Witwe oder des Witwers ab intestato.

      Das so gezeichnete Bild ist um die Regelungen der Mitgift (dos) zu ergänzen: Die Mitgift wurde der Ehefrau von Seiten ihrer Familie in die Ehe mitgegeben und diente während des Bestands der Ehe zum Unterhalt der Ehegatten, nach dem Ende der Ehe zur Versorgung der Frau. Das fehlende Erbrecht der Witwe nach ihrem Mann wurde daher teilweise durch die Klage auf Herausgabe der dos (actio rei uxoriae, wörtlich: „Klage auf das Frauengut“) ersetzt. Zwar erhielt die Frau auf diese Weise eine Unterhaltssicherung, gelangte aber nicht in den Genuss des Vermögens des Ehemanns. Auch der Witwer ging – wenn eine gewaltfreie Frau ohne Testament verstarb – nach ius civile leer aus.

      In diese Lücke trat das prätorische Recht, das subsidiär zu den drei genannten Klassen des prätorischen Intestaterbrechts auch


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