Wege zur Rechtsgeschichte: Römisches Erbrecht. Ulrike Babusiaux

Wege zur Rechtsgeschichte: Römisches Erbrecht - Ulrike Babusiaux


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verstorbenen Mütter zugelassen werden, ist durch das senatusconsultum Orfitianum zustande gebracht worden, das unter dem Konsulat des Orfitus und des Rufus zu Zeiten des vergöttlichten Kaisers Mark Aurel ergangen ist. Und sowohl dem Sohn als auch der Tochter ist die gesetzliche Erbfolge gewährt worden, auch wenn sie fremdem Recht unterworfen worden sind. Und sie werden sowohl den blutsverwandten Geschwistern als auch den agnatischen Verwandten der verstorbenen Mutter vorgezogen.

      Der Senatsbeschluss, der auf Kaiser Mark Aurel (161 – 180 n. Chr.) zurückgeführt wird, gewährt den Kindern ein Intestaterbrecht nach der Mutter, das dem Intestaterbrecht der Agnaten (nach ius civile) wie der Kognaten (nach ius praetorium) vorgeht. Auf diese Weise verdrängt das kaiserliche Intestaterbrecht die bestehende Erbfolgeordnung des ius civile:

       D. 38.17.1.9 Ulpianus 12 ad Sabinum„Si nemo filiorum eorumve, quibus simul legitima hereditas defertur, volet ad se eam hereditatem pertinere, ius antiquum esto.“ Hoc ideo dicitur, ut, quamdiu vel unus filius vult legitimam hereditatem ad se pertinere, ius vetus locum non habeat: Itaque si ex duobus alter adierit, alter repudiaverit hereditatem, ei portio adcrescet. […].

      „Wenn niemand von den Kindern oder von denen, welchen die gesetzmäßige Erbschaft gleichzeitig anfällt, will, dass diese Erbschaft ihm gehöre, soll das alte Recht gelten.“ Dies wird deswegen gesagt, damit, solange nur ein Sohn will, dass die gesetzliche Erbschaft ihm gehöre, das alte Recht nicht zur Anwendung kommt. Wenn daher von zweien der eine die Erbschaft angetreten hat, der andere sie ausgeschlagen hat, wächst diesem [dem ersten] der Anteil an. […].

      Ulpian (3. Jahrhundert n. Chr.) setzt sich mit dem Wortlaut des Senatsbeschlusses auseinander, in dem die Fortgeltung des alten Rechts nur für den Fall angeordnet wird, dass kein Erbe nach dem ius novum antritt. Das alte Recht sei solange ausgeschlossen, wie sich wenigstens ein Kind bereit findet, das Erbe der Mutter anzutreten. Nur wenn alle Kinder ausschlagen, können die Intestaterben des ius civile und des ius praetorium zum Zuge kommen. Da dem Kind ein vorrangiges Erbrecht nach seiner Mutter gewährt wird, das heißt eine hauserbenähnliche Stellung, ist die Abstimmung zwischen ius antiquum und ius novum im Fall des senatusconsultum Orfitianum weniger schwierig als beim senatusconsultum Tertullianum: Das kaiserliche Erbrecht der Kinder geht so lange vor, bis alle Kinder ausgeschlagen haben.

      Auch das senatusconsultum Orfitianum begründet ius civile, greift also in die zivile Erbfolgeordnung ein, die ihrerseits auf das ius praetorium zurückwirkt:

       D. 38.17.6.1 Paulus liber singularis ad senatusconsultum OrfitianumFilius, qui se nolle adire hereditatem matris dixit, an potest mutata voluntate adire, antequam consanguineus vel adgnatus adierit, videndum propter haec verba „si nemo filiorum volet hereditatem suscipere“, quia extensiva sunt. Et cum verba extensiva sint, paenitentia eius usque ad annum admittenda est, cum et ipsa filii bonorum possessio annalis est.

      Man muss erwägen, ob der Sohn, der gesagt hat, dass er die Erbschaft der Mutter nicht antreten will, nach der Änderung seiner Meinung antreten kann, bevor ein Verwandter von der Vaterseite oder ein agnatischer Verwandter angetreten ist, und zwar wegen folgender Worte: „Wenn keines der Kinder die Erbschaft übernehmen will“, weil sie sehr weit gefasst sind. Und da der Wortlaut so weit gefasst ist, ist seine Reue nur ein Jahr lang zuzulassen, weil die bonorum possessio des Kindes auch selbst auf ein Jahr beschränkt ist.

      In dem von Paulus behandelten Fall hat der Sohn, der auf das zivile Erbrecht nach dem Senatsbeschluss verzichtet hat, die bonorum possessio ab intestato nach der Mutter verlangt. Da der Nachlassbesitz in der Klasse unde legitimi auf das zivile Erbrecht des senatusconsultum Orfitianum gestützt wird, stellt sich die Frage, ob der zivile Verzicht auch das prätorische Erbrecht erfasst. Paulus (3. Jahrhundert n. Chr.) entscheidet, dass der Verzicht auf die zivile Erbenstellung dem Antrag auf die bonorum possessio ab intestato nicht entgegensteht, weil der Senatsbeschluss das Kind nur dann ausschließe, wenn es auf beide Erbberechtigungen verzichtet habe. Das ius antiquum kommt daher nur dann zur Anwendung, wenn der Sohn sowohl die Erbenstellung nach ius civile als auch – gegebenenfalls durch Verstreichenlassen der Antragsfristen – den Nachlassbesitz ab intestato nicht übernehmen will.

      Auf diese Weise wird der Sohn, der nach dem senatusconsultum Orfitianum den Nachlassbesitz unde legitimi nach der Mutter erlangen will, besser gestellt als die Mutter, die nach dem senatusconsultum Tertullianum den Nachlassbesitz unde legitimi als Erbin ihres Kindes beantragt. Wie gesehen (Kap. 3.4.2), wird die Mutter nämlich von der bonorum possessio ab intestato in der Klasse unde legitimi ausgeschlossen, wenn sie den Erbschaftsantritt (aditio hereditatis) nach ius civile verweigert hat. Dagegen wird dem Kind, das auf das zivile Erbrecht nach dem senatusconsultum Orfitianum verzichtet, die bonorum possessio ab intestato in der Klasse unde legitimi zugestanden. Paulus rechtfertigt diesen Unterschied mit dem Hinweis auf den Wortlaut des Senatsbeschlusses. Hinzukommen dürfte, dass das Erbrecht der Mutter auch sonst von dem Verzicht vorrangig Berechtigter (nach ius civile und ius praetorium) abhängt, während die Kinder alle übrigen Berechtigten (nach ius civile und ius praetorium) verdrängen. Das ius antiquum und damit die Verdrängung der Regelung des Senatsbeschlusses treten beim senatusconsultum Orfitianum erst dann ein, wenn alle Kinder auf die ihnen offenstehenden Formen der Intestaterbfolge verzichtet haben. Dagegen kommt es bei Anwendung des senatusconsultum Tertullianum schon bei der Prüfung der Erbberechtigung der Mutter zur Frage, ob ein vorrangig Berechtigter die bonorum possessio ab intestato verlangt hat oder hätte verlangen können. Auch wenn die Juristen die Anwendung des ius novum vom ius antiquum trennten, erfolgte auf diese Weise beim senatusconsultum Tertullianum kein klarer Schnitt zwischen beiden Rechtsschichten, wie er für das senatusconsultum Orfitianum durch die Vorrangregel ermöglicht wird.

      Dass die Kinder der Mutter durch das kaiserliche Intestaterbrecht besser gestellt wurden als die Mutter als Intestaterbin der Kinder, ergibt sich dabei schon aus der bei Kaiser Justinian (527 – 565 n. Chr.) mitgeteilten Konkurrenzregel zwischen den Kindern der Tochter und der nach dem senatusconsultum Tertullianum erbberechtigten Mutter (Kap. 3.4.1). Wie gesehen, gehen nämlich die Kinder, die nach dem senatusconsultum Orfitianum zu Erben der Tochter berufen werden, der Mutter, die nach dem Senatsconsultum Tertullianum erbberechtigt ist, vor. Innerhalb des ius novum genießt also das senatusconsultum Orfitianum Vorrang vor dem senatusconsultum Tertullianum.

      Die beiden Senatsbeschlüsse bilden den Endpunkt der Entwicklung des antiken römischen Intestaterbrechts, wenngleich nachfolgende Reskripte und Einzelfallentscheidungen das beschriebene System weiter verfeinert haben. Daher kann von den beiden Senatsbeschlüssen aus ein zusammenfassender Rückblick auf die Rechtsschichten des Intestaterbrechts und ihre Entwicklung unternommen werden.

      1. Am Ende der Kaiserzeit stellt sich das römische Intestaterbrecht als Kombination von verschiedenen Regelungen dar: Grundlage ist nach wie vor das im Zwölftafelgesetz von ca. 450 v. Chr. angelegte Intestaterbrecht der Hauskinder und Agnaten. An diese Grundlage anknüpfend bestimmt der Prätor diejenigen, die nacheinander nach Klassen des Edikts zum Antrag auf die bonorum possessio ab intestato berufen sind. Ergänzend treten die mit Blick auf das Erbrecht zwischen Müttern und Kindern formulierten Senatsbeschlüsse als ius novum hinzu, das direkt in die zivile Ordnung eingreift.

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      Die Übersicht 13 zeigt, dass sich die verschiedenen Rechtsschichten nicht nur übereinander ablagern, sondern gegenseitig durchdringen. Diese wechselseitige Abhängigkeit kommt zunächst dadurch zum Ausdruck, dass das Kaiserrecht Anordnungen auf Ebene des ius civile trifft, also gleichsam in eine frühere


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