Wege zur Rechtsgeschichte: Römisches Erbrecht. Ulrike Babusiaux

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      Vorrang vor der Mutter genießen zunächst die Hauserben des Erblassers und die Abkömmlinge der Tochter, die als erste zur Intestaterbfolge berufen sind. An zweiter Stelle steht der Vater des verstorbenen Kindes. Auch der von der Vaterseite stammende Bruder des Verstorbenen schließt die Mutter aus, während die von der Vaterseite stammende Schwester gleichzeitig mit der Mutter zugelassen wird. Bei Zusammentreffen von Bruder und Schwester von der Vaterseite bleibt es beim Ausschluss der Mutter, so dass die Erbschaft beiden Geschwistern zu gleichen Teilen gehört. Diese Regelung gilt auch und gerade dann, wenn die Geschwister des Erblassers ausschließlich Abkömmlinge des Vaters sind, zum Beispiel aus einer weiteren Ehe des Vaters mit einer anderen Frau stammen.

      Im Ausschluss der Mutter bei Überleben eines Bruders von der Vaterseite ist erneut das Bestreben erkennbar, unterschiedliche Familienvermögen getrennt zu halten. Der Bruder von der Vaterseite setzt nämlich die agnatische Familie, zu der auch der Erblasser gehörte, fort. Für die Mutter des Erblassers, die regelmäßig nicht Teil dieser Familie ist, hat diese Betrachtungsweise zur Folge, dass sie neben einem Bruder erst an vierter Stelle zur Intestaterbfolge berufen ist. Nur mit einer Schwester des Erblassers von der Vaterseite (consanguinitas) kann die Mutter schon an dritter Stelle die Intestaterbfolge erhalten.

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      Die im Senatsbeschluss postulierte Reihenfolge der Intestaterben des Kindes beruht auf einer originellen Kombination bereits bekannter Prinzipien: Der Vorrang der eigenen Hauskinder des verstorbenen Sohnes entspricht dem ius civile ebenso wie das vorrangige Erbrecht des Vaters als (früherer) proximus agnatus vor der nur kognatisch verwandten Mutter.13 Auch die Bevorzugung der Geschwister väterlicherseits (consanguinei) erklärt sich aus der in der Interpretation des ius civile angetroffenen Begrenzung der Erbberechtigung von Frauen nach dem zweiten Verwandtschaftsgrad (Kap. 3.1.4). Die Berücksichtigung der Kinder einer verstorbenen Tochter (Abkömmlinge der weiblichen Erblasserin) sowie die Anerkennung des mütterlichen Erbrechts sind dagegen Neuerungen, die in ihrem Schutz der kognatischen Verwandtschaft noch über das prätorische Edikt hinausgehen, da sie die Mutterschaft als Verwandtschaft nach ius civile anerkennen. Allerdings wäre die Mutter auch nach ius praetorium in der Klasse unde cognati zum Nachlassbesitz berechtigt gewesen (Kap. 3.2.2). Die Bedeutung des senatusconsultum Tertullianum liegt daher vorrangig darin, dass es der Mutter die Erbenstellung nach ius civile zuweist. Diese Ergänzung der zivilen Intestaterbfolge hat auf Ebene des ius praetorium zur Folge, dass die Mutter von der Klasse der Kognaten (unde cognati) in die Klasse der gesetzlichen Erben (unde legitimi) aufrückt.

      Schon die Konkurrenzregelung zeigt, dass das senatusconsultum Tertullianum das bestehende Intestaterbrecht des ius civile und ius praetorium nicht vollständig verdrängt, sondern ergänzt. Die kaiserzeitlichen Juristen sprechen insoweit explizit von einer Abstimmung zwischen dem neuen Recht (ius novum) des Senatsbeschlusses und dem überkommenen alten Recht (ius antiquum).

      Da das senatusconsultum Tertullianum nur punktuell das Erbrecht der Mutter regelt, erlaubt es keine Zuweisung der Erbenstellung, wenn nicht die Mutter, sondern ihre Konkurrenten als Intestaterben zum Zuge kommen.

      Die von den Juristen vorgenommene Prüfung der Erbberechtigung ist daher mehrstufig: Sie prüfen zunächst, ob die Mutter nach der Regelung des senatusconsultum Tertullianum als Intestaterbin berufen ist, wenden also ius novum an. Wie gesehen, gilt es bei dessen Anwendung allerdings zu berücksichtigen, dass andere Erbberechtigte der Mutter vorgehen. Der Vorrang dieser Personen wird im Rahmen des ius novum nur als Voraussetzung für das mütterliche Erbrecht, also gleichsam hypothetisch, untersucht. Tritt im Rahmen dieser hypothetischen Prüfung zu Tage, dass der Vorrang besteht, endet die Prüfung des senatusconsultum Tertullianum und die Erbfolge wird nach ius civile und ius praetorium entschieden. Erst wenn keiner der nach ius antiquum Berechtigten die Erbschaft annimmt, kann erneut untersucht werden, ob die Mutter die Erbschaft nach dem senatusconsultum Tertullianum erwerben kann. Nimmt die Mutter, nachdem ihr Erbrecht aufgrund des Senatsbeschlusses festgestellt worden ist, die Erbschaft an, ist das Verfahren um den Nachlass beendet. Schlägt sie aus, kommt (erneut) das alte Recht zur Anwendung:

       D. 38.17.2.20 Ulpianus 13 ad SabinumSi mater hereditatem filii filiaeve non adierit ex senatusconsulto Tertulliano, in bonorum possessione antiquum ius servandum est: Cum enim cesset praelatio matre omittente senatusconsulti beneficium, ius succedit vetus.

      Wenn die Mutter die Erbschaft eines Sohnes oder einer Tochter nach dem senatusconsultum Tertullianum nicht angetreten hat, so muss hinsichtlich des Nachlassbesitzes das alte Recht (antiquum ius) beachtet werden; weil nämlich das Vorzugsrecht endete, als die Mutter den Vorteil des Senatsbeschlusses aufgab, tritt [nun] das alte Recht an seine Stelle.

      Nach ius antiquum können sowohl die nach ius civile als auch die nach ius praetorium berufenen Intestaterben die Erbschaft antreten. Soweit die Mutter als kognatische Verwandte im Rahmen der bonorum possessio ab intestato zur Erbfolge berufen ist, kann auch sie nach diesem Recht nochmals zum Zuge kommen. Allerdings beschränkt sich ihre Erbberechtigung auf die Klasse unde cognati. Ihr Recht, sich auf den Senatsbeschluss zu berufen und in der Klasse unde legitimi den Nachlassbesitz zu beantragen, hat sie durch den Verzicht auf das zivile Erbrecht verloren.

      Umgekehrt bleibt, wenn sie nur auf den Antrag auf bonorum possessio ab intestato verzichtet hat, das nach ius civile bestehende Erbrecht unberührt:

       D. 38.17.2.21 Ulpianus 13 ad SabinumSed si mater repudiaverit bonorum possessionem, de adeunda autem hereditate deliberet, dicendum erit adgnatum non succedere, quoniam nondum verum est non adisse matrem.

      Aber wenn die Mutter den Nachlassbesitz abgelehnt hat, über den Antritt der Erbschaft gleichwohl nachdenkt, wird man sagen müssen, dass der agnatische Verwandte in der Erbfolge nicht nachrückt, weil ja noch nicht zutrifft, dass die Mutter nicht angetreten hat.

      Die Mutter hat auf die Beantragung der bonorum possessio ab intestato (in der Klasse unde legitimi) verzichtet, nicht aber das zivile Erbrecht abgelehnt. Damit ist die Anwendungsprüfung des Senatsbeschlusses noch nicht beendet, vielmehr ist in der Schwebe, ob das ius novum oder die Intestaterbfolge nach ius antiquum Anwendung findet. Aus diesem Grund wird es dem agnatus proximus, der nach ius civile nach den Hauskindern erbberechtigt wäre, verwehrt, die Erbschaft anzutreten. Erst wenn die Mutter die Erbschaft definitiv ausgeschlagen hat, kommt mit der Anwendung des alten Rechts auch die Agnatenerbfolge nach ius civile zum Zuge. Die Alternativen bei der Anwendung des senatusconsultum Tertullianum sind in Übersicht 12 zusammengefasst:

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      Eine vergleichbare Gemengelage ergibt sich für das Erbrecht der Kinder nach ihrer Mutter, das durch ein senatusconsultum Orfitianum im Jahre 178 n. Chr. eingeführt wurde:

       Inst. 3.4pr.

       Per contrarium autem ut liberi ad bona matrum intestatarum admittantur, senatusconsulto Orfitiano effectum est, quod latum est Orfito et Rufo consulibus, divi Marci temporibus. Et data est tam filio quam filiae legitima hereditas, etiamsi alieno iuri subiecti sunt: Et praeferuntur et consanguineis et adgnatis defunctae matris.

      Dass


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