Familienrecht. Stephan Meder

Familienrecht - Stephan Meder


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der Befreiung der Frau“ einen Gradmesser für den „Fortschritt“ einer bestimmten Nation oder Kulturepoche (Fourier, 1808, 190). Wegen der großen Bedeutung des Fortschrittsgedankens im 19. Jahrhundert konnte das vergleichende Argument in den Diskussionen über die rechtliche Gleichbehandlung von Frauen erhebliche Überzeugungskraft gewinnen. Von einer vergleichenden Betrachtung ließ sich nämlich leicht in den Modus eines Rankings übergehen, welches den einzelnen Staaten Anreiz gab, die führenden Nationen noch zu überbieten. Es sind also weniger praktische oder dogmatische als politische Gründe, die im Familienrecht das Bedürfnis nach einem Vergleich entstehen ließen. Erst im 20. Jahrhundert ist dann auch darüber diskutiert worden, inwieweit bestimmte Rechtsinstitute oder dogmatische Lösungen des Familienrechts anderer Nationen zur Rechtsfortbildung im eigenen Land herangezogen werden können. Ein Beispiel bildet die Diskussion über das skandinavische Recht in der Zeit der Weimarer Republik. Allerdings hatten auch hier Reformer des Familienrechts und nicht Rechtsvergleicher die Federführung übernommen (8. Kapitel, S. 217).

      Dass Frauen bereits im 19. Jahrhundert begonnen haben, sich zu organisieren, um auf internationalen Kongressen das Recht ihrer Länder zu vergleichen, bleibt auch in jüngeren Darstellungen zur Geschichte

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      der Rechtsvergleichung noch so gut wie ausgeblendet (Pintens, 2003, 330–332). Dieser Befund gab den Anstoß zu einem Forschungsvor­haben mit dem Titel „Internationale Reformforderungen zum Familienrecht und Rechtskämpfe des Frauenweltbundes 1830–1914“. Ziel war es, anhand ausgewählter Staaten wie Frankreich, England, USA, Schweden, Dänemark oder Norwegen erste Ansätze zu einer vergleichenden Familien- und Frauenrechtsgeschichte zu formulieren. Reformforderungen des Frauenweltbundes sollten analysiert werden, ohne dass dabei der Blick für nationale Besonderheiten verloren geht. Im Verlauf der Untersuchungen wurde deutlich, wie stark das Familienrecht dieser Länder seinerseits auf Prämissen beruht, die weit in die Vergangenheit zurückreichen. Die Frauenbewegungen haben nämlich nicht nur andere Staaten, sondern auch vergangene Rechtskulturen als Vorbild herangezogen, um Reformforderungen zum Ehe- und Familienrecht zu legitimieren. Über einen Ländervergleich hinaus musste also auch ein Vergleich vergangener Epochen oder Zeitabschnitte durchgeführt werden, was die Aufgabe nicht gerade erleichterte. Wo aber sollte ein solcher „doppelter Vergleich“ anfangen?

      Rechtshistoriker können auf diese Frage oft eine sehr klare Antwort geben: „Mit dem römischen Recht“, würden sie sagen, „weil es rezipiert wurde und in die großen europäischen Zivilrechtskodifikationen eingeflossen ist“. Gegenstand der Rezeption waren allerdings weniger das Familien­recht als die Methode der römischen Juristen und insbesondere das „allgemeine Verkehrsrecht“. Denn Methode und Verkehrsrecht seien in viel „höherem Maße neutral“ als „das an die individuelle Volksanschauung gebundene Familien- und Erbrecht“. Nur dieser Umstand mache „es begreiflich, dass die von den Römern für ganz andere Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse geschaffene Ordnung“ auf andere Zustände „übertragen werden konnte“ (Kaser, 1967, 340, Hervorhebung im Original).

      Die Vorstellung einer „Übertragung“ auf die innerjuristische Argumentation lässt erkennen, dass Rechtsvergleichung und Rechtsgeschichte ähnliche Funktionen erfüllen sollen. Ob die Rechtsgeschichte überhaupt einen

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      Beitrag zur Dogmatik des geltenden Rechts liefern kann, ist freilich lebhaft umstritten: Kritiker erblicken hier eine unzulässige Katego­rienvermengung und befürchten eine durch Bedürfnisse der Rechtspraxis verzerrte Wahrnehmung der Vergangenheit. Der Streit dreht sich aber im Wesentlichen um das Verkehrsrecht und lässt das Familienrecht weitgehend unberührt. Denn bislang hat, soweit ersichtlich, niemand behauptet, Formen antiken Familienrechts auf die Gegenwart „übertragen“ oder gar zur Rechtsfortbildung mit heranziehen zu wollen. Die verfeindeten Gruppen wären sich wohl darin einig, dass derartige Versuche als anachronistisch oder ungeschichtlich zu verwerfen sind. Wie in der Rechtsvergleichung wäre aber auch in der Rechtsgeschichte zu fragen, ob das Familienrecht tatsächlich einen solchen Sonderfall gegenüber anderen Gebieten des Privatrechts bildet.

      Warum ist gegen die Rezeption des römischen Familienrechts „fast immer unbedingter Widerstand“ geleistet worden? (Wieacker, 1967, 194, 229). In welchem Punkt weicht die „individuelle Volksanschauung“ der Römer von jenen Auffassungen ab, die nicht nur im Mittelalter, sondern auch in den großen Kodifikationen der Aufklärung bis hin zum BGB von 1900 dominieren? Darauf gibt es eine einfache Antwort: Geschlechtsvormundschaft, munt, mundium, Ehevogtei oder Ehegewalt sind Begriffe, die bis ins 20. Jahrhundert galten und mehr oder weniger alle das gleiche sagen, nämlich dass die Frau dem „Haupt der Ehe“ Gehorsam schuldet. Zwar räumte das altrömische Recht mit der manus-Ehe dem Mann eine ähnliche Vormachtstellung ein. Die manus-Ehe und verwandte Institute waren im Rom der klassischen Epoche aus dem Rechtsleben jedoch schon fast überall verschwunden. Gegenstand der Rezeption hätte also nur ein Familienrecht werden können, das keine Ehegewalt mehr kannte und der Frau eine weitgehende rechtliche Selbstständigkeit gewährte (Fußnote 4, S. 43). Dieser Umstand, und nicht die Tatsache der Rezeption, ist letztlich der Grund, warum das römische Recht den idealen Ausgangspunkt für einen doppelten Vergleich, also für einen Vergleich nicht nur in geographischer, sondern auch in temporaler Hinsicht bieten kann. Oder anders ausgedrückt: Die Entwicklung innerhalb des römischen Rechts von einem streng patriarchalen zu einem durch egalitäre Elemente geprägten Familienrecht erregt heute ebenso Interesse wie die Argumente, die Juristen zur Rechtfertigung der ungleichen Behandlung

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      der Geschlechter gebrauchten. Auch einige Anhängerinnen der bürger­lichen Frauenbewegung haben im römischen Recht ein Vorbild gesehen, jedoch mit einer Einschränkung: Während sie das zu ihrer Zeit geltende Recht verschiedener Länder vergleichen und sich insoweit ein eigenes Bild machen konnten, war ihnen auf Grund des Ausschlusses vom Studium an den Universitäten der unmittelbare Zugang zu den Quellen des römischen Rechts noch versperrt (näher S. 43).

      „Was wir als Anfänge glauben nachweisen zu können, sind ohnehin schon ganz späte Stadien“ (J. Burckhardt, 1905, 7). Rom steht am Ende der Antike und die Menschheit hat bereits zuvor Tausende von Jahren erlebt, in denen die unterschiedlichsten Eheformen praktiziert wurden. In der Literatur ist viel darüber diskutiert worden, ob von den altsteinzeitlichen Jäger- und Sammlergesellschaften über das Neolithikum bis zu den Funden der ersten schriftlichen Quellen die Raub- oder Entführungsehe herrschte und ob diese dann durch die Kaufehe abgelöst worden sei. Unter „Kauf­ehe“ pflegen wir eine Art Brautkauf zu verstehen, zu dem gewisse Gaben des Bräutigams an den Gewalthaber der Braut, in der Regel also den Vater, gehören. Dabei erscheint die Frau lediglich als Objekt, das durch den Kauf in die Gewalt des Erwerbers gelangt. Das Abstoßende an der Idee, dass die Frau wie eine Sklavin oder Kuh übereignet wird, hat manche Forscher dazu gebracht, die Existenz einer Kaufehe überhaupt zu leugnen und sich stattdessen mit der Idee eines Mutterrechts anzufreunden, welches das Geschlechterverhältnis früher Zeiten in einem günstigeren Licht erscheinen lässt (Geary, 2006). Insbesondere unter Germanisten war im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Mythos von einem frauenfreundlichen Ursprungsrecht verbreitet. Auch auf die Frauenbewegung vermochten diese Ideen eine gewisse Anziehungskraft auszuüben (L. Braun, 1901, 3, 4). So meint z.B. die Mitbegründerin der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung, Louise Otto-Peters, „das alte römische Recht“ habe die vorteilhaftere „altgermanische Ansicht von den Frauen verdrängt“ (Otto-Peters, 1876, 6). Ähnlich ist in den skandinavischen Ländern die Auffassung verbreitet, dass die Wikinger den Frauen eine vergleichsweise freie Rechtsstellung eingeräumt hätten und hier die Ursache dafür liege, dass in Schweden oder Norwegen ein egalitäres Familienrecht schon frühzeitig verwirklicht werden konnte (Nachweise bei Willekens, 2012).

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      Andererseits lehrt gerade die Familienrechtsgeschichte, dass die Vergangenheit nicht nur eine Vorgeschichte der Gegenwart ist, sondern auch ein eigenständiges und zugleich fremdes Gebiet


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