Neue Theorien des Rechts. Группа авторов
Evolutionsforschung und der Kybernetik. Niklas LuhmannLuhmann, Niklass und Gunther TeubnerTeubner, Gunthers Arbeiten sind zwischenzeitlich zu einschlägigen Bezugspunkten avanciert. Dies gilt für die Diskussionen um die Europäisierung und TransnationalisierungTransnationalisierung des Rechts, um die Krise und die Zukunft des Wirtschaftsrechts, um die Politik des Rechts genauso wie für die Herausforderungen, die sich im Zuge der Post- und Dekolonialisierung stellen[178]. Stets bestehen die systemtheoretischen Forschungsarbeiten darauf, |48|dass erst die Annahme einer funktionalen Differenzierung in der Lage ist, rechtliche Entwicklungen aufzuklären und ihre Kritik anzuleiten.
Im Folgenden soll zunächst skizziert werden, wie die funktionale Differenzierung des Rechts zu verstehen ist (I.). Sodann wird vertiefend nachgezeichnet, welche Impulse die SystemtheorieSystemtheorie des Rechts seit den 1980er Jahren im Hinblick auf die jeweiligen rechtspolitischen und rechtstheoretischen Herausforderungen gegeben hat (II.). Dabei tritt hervor, wie die systemtheoretischen Grundlagen für die Analyse und Kritik des Rechts fruchtbar gemacht wurden (II.1.- II.2.) – bis hin zu aktuellen Suchbewegungen nach einer Kritischen Systemtheorie (II.3.), die das Verhältnis von Recht und Gesellschaft einer nochmaligen Betrachtung unterziehen.
A. Funktionale Differenzierung des Rechts
I. Recht und soziale Evolution
Die SystemtheorieSystemtheorie begreift die Ausdifferenzierung des Rechts als Teil eines breiteren Evolutionsprozesses. Gesellschaften, so die Annahme, entwickeln sich nicht zweckgerichtet und planbar. Eher ist zu beobachten, wie sich untergründig und teils ungeordnet-anarchisch evolutionäre Mechanismen herausbilden, die die jeweiligen Kommunikationsverhältnisse organisieren[179]. Ein besonderer Fall sind soziale Systeme. Dort verketten sich Kommunikationen in einem selbstreferentiellen Zirkel immer wieder aufs Neue, bis sie »im Selbstvollzug« zu Systemen gerinnen[180]. Dies gilt auch für das Recht. Nicht die politische KommunikationKommunikation, die wirtschaftliche Kommunikation oder die wissenschaftliche Kommunikation sind der Grund des Rechts. Es ist das Recht selbst, »das seine eigenen Grenzen im Verhältnis zur Umwelt erzeugt« und sich von allen anderen Kommunikationsverhältnissen abgrenzt[181]. Das Recht selbst produziert »alle Unterscheidungen und |49|Bezeichnungen, die es verwendet«, so dass sich die »Einheit des Rechts« als »Faktum der Selbstproduktion, der ›AutopoiesisAutopoiesis‹« darstellt[182].
Die grundlegende Einheit, die die SystemtheorieSystemtheorie des Rechts beobachtet, ist KommunikationKommunikation. Sie wird als Einheit von Information, Mitteilung und Verstehen fassbar[183]. Die Systemtheorie analysiert mit diesem Zugriff die Stabilität und den Wandel der juridischen Kommunikationsverhältnisse. Diese Umstellung der Analyseperspektive auf Kommunikation erstreckt sich bis auf den »Menschen«, der ja in vielen Fällen Gegenstand juridischer Kommunikation ist. Vom Standpunkt der Systemtheorie dient die verallgemeinernde Rede vom »Menschen«, um einen Ort zu kennzeichnen, an dem unterschiedliche Kommunikationen affektiv-psychischer, körperlicher und sozialer Provenienz zusammenspielen. Die vermeintliche Einheit des Subjekts täuscht darüber hinweg, dass es stets »Kommunikationszusammenhänge« sind, die »Menschen bezeichnen«[184]. Die Differenzierung der Kommunikationsverhältnisse zerlegt das Subjekt in unterschiedliche Kontexte. Denn die jeweiligen Systeme erkennen nur spezifische Personenrollen in ihren Kommunikationskreisläufen an. Menschen sind Marktteilnehmer_innen, Käufer_innen, Verbraucher_innen, Gesunde, Kranke oder Wähler_innen, die jeweils nur hinsichtlich ihrer Inklusion in ein gesellschaftliches Subsystem zu Personen werden. Das Subjekt ist nur sinnvoll als Knotenpunkt unterschiedlicher Personenrollen zu erschließen. Dementsprechend ist auch das Rechtssubjekt der Effekt einer kommunikativen Bezeichnung des Rechts und keine vorausliegende Einheit. Dies bedeutet nicht, dass die Systemtheorie inhuman verfährt, wenn sie solche Einheitsfiktionen freilegt. Im Gegenteil versucht sie, den jeweiligen gesellschaftlichen Phänomenen tatsächlich auf den Grund zu gehen und sie möglichst angemessen zu rekonstruieren.
Nun hat zwar schon immer KommunikationKommunikation über Regeln, Normen oder Gesetze stattgefunden, doch der entscheidende Schritt zur Systembildung, der die rechtlichen Operationen selbstständig aus dem »Netzwerk eigener Operationen« heraus generiert, tritt erst im Übergang zur modernen Gesellschaft ein[185]. In einem langen Prozess, der mit der Entdeckung römischer Rechtsquellen im 12. und 13. Jahrhundert beginnt, entwickelt sich ein juridischer Spezialdiskurs, der das Recht von allen anderen sozialen Sphären abgrenzt[186]. Das Recht gewinnt |50|schrittweise an Eigenständigkeit: Im Recht gelten nur noch Rechtsbegriffe, Gerichte und Rechtsgelehrte werden damit betraut, das Recht anzuwenden und es fortzuentwickeln. So schließt sich das Rechtssystem und grenzt sich von seinen sozialen Umwelten ab. Unter den »sozialen Umwelten« versteht die SystemtheorieSystemtheorie nichts Vorgängiges oder Wesenhaftes. Die Umwelt bleibt ein »systemrelativer Sachverhalt«: »Jedes System nimmt nur sich aus seiner Umwelt aus. Daher ist die Umwelt eines jeden Systems eine verschiedene. Die Umwelt ist nur ein Negativkorrelat des Systems«[187]. An dieser Stelle zeigt sich die Radikalität der Selbstreferenz, denn erst die Systembildung bringt die Unterscheidung zwischen System und Umwelt hervor. Wer Anschluss im Recht finden will, muss sich auf diesen Typ der kommunikativen Selbstreferenz einlassen. Politische, wirtschaftliche oder wissenschaftliche Kommunikation kann jedenfalls nicht vollkommen unvermittelt auf das Rechtssystem zugreifen, sondern muss in juridische Grammatik überführt werden, um dort anschlussfähig zu sein.
Gunther TeubnerTeubner, Gunther hat in seiner Rechtstheorie ein ausführliches Modell vorgeschlagen, das diese Differenzierung ausleuchtet[188]. Er untersucht hier, wie sich die Systembildung im Recht vollzieht, und unterscheidet zwischen Selbstbeobachtung, Selbstkonstitution und Selbstreproduktion des Rechts[189]. Demnach intensiviert sich die Selbstreferenz des Rechts – von der bloßen Beobachtung der eigenen Systemkomponenten über den »operativen Umgang« mit diesen Komponenten bis hin zu ihrer »rekursiven Herstellung«. Aus der Verkettung dieser Prozesse entsteht schließlich ein »selbstreproduktiver Hyperzyklus«, der dem Recht als Sozialsystem zur Eigenständigkeit verhilft[190]. Der Hyperzyklus setzt die Rechtskommunikationen einer nochmaligen Beobachtung aus: Das Recht beobachtet nicht nur seine sozialen Umwelten, es beobachtet insbesondere sich selbst und setzt eine Selbstreflexion, d.h. eine juridische KommunikationKommunikation über die juridische Kommunikation in Gang[191]. Auf diese Weise wird im Recht nicht nur zwischen Recht und UnrechtUnrecht entschieden, sondern es entstehen ebenso »Argumentationszusammenhänge über die systemeigene Identität«, die versuchen, das was als Recht gilt, immer wieder aufs Neue zu bestimmen[192]. Diese Selbstbezüglichkeit des Rechts, in der Operationen auf sich selbst angewendet werden, verknüpft Rechtsverfahren, Rechtsakte, Rechtsnormen und Rechtsdogmatik und setzt sie einer nochmaligen Beobachtung aus[193].
|51|An dieser anspruchsvollen Grundstruktur der Selbstreferenz wird schon deutlich, dass es vorschnell wäre, nur eine starre Geschlossenheit am Werk zu sehen. Das Recht schließt sich nicht nur einseitig, sondern reguliert die eigene Selbstreproduktion. Insbesondere liegen auch kommunikative Möglichkeiten vor, die das, was bisher als Recht oder UnrechtUnrecht gilt, revidieren, oder die Verfahren, in denen die Unterscheidung angewendet wurde, verändern. Jede Entscheidung zwischen Recht und Unrecht kann in einem infiniten Regress einer nochmaligen Beobachtung vom Typ Recht/Unrecht unterzogen werden – und so eröffnet das Recht als geschlossenes System den Spielraum für einen kreativen Umgang mit dem jeweils gegebenen kommunikativen Variationspool[194]. Diese Spielräume drücken sich insbesondere in Deutungskämpfen innerhalb der Rechtsdogmatik und um Rechtsentscheidungen aus. Dort werden Konflikte um Veränderungs- und Anpassungsbedarfe in juridischer Grammatik ausgetragen. Und es kann auch dazu kommen, dass sich das Recht nicht nur von seinen sozialen Umwelten abgrenzt, sondern auch auf die Abhängigkeit von Umwelteinflüssen reflektiert und sich auf dieser Grundlage verändert[195]. Insofern bedeutet die operative Geschlossenheit des Rechts, wie sie die SystemtheorieSystemtheorie annimmt, ausdrücklich keine absolute, sondern nur eine relative bzw. relationale Geschlossenheit, die von einer inneren Reflexivität gekennzeichnet ist: Das Recht kann sich im Recht selbst zum Thema machen, sich veränderten sozialen Umweltbedingungen anpassen und verändern.
Die Funktion des Rechts wiederum besteht in der »Stabilisierung normativer Erwartungen«. Das Recht legt fest, mit »welchen Erwartungen man sozialen Rückhalt findet und mit welchen nicht«[196]. Dieser Rückhalt ist so stark, dass diese Erwartungshaltungen auch dann aufrechterhalten und durchgesetzt werden,