Neue Theorien des Rechts. Группа авторов

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und 2000er Jahren ein. Die Rechtswissenschaft hatte sich in dieser Zeit der inter- und transnationalen Verrechtlichung angenommen, die nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus stattgefunden hatte. Dies gilt für den Ausbau und die Konstitutionalisierung des Völkerrechts genauso wie für die Emergenz von neuartigen Rechtsregimen, etwa im Bereich des Wirtschaftsverkehrs (lex mercatoria), des Finanzrechts (lex financiaria) oder des Umweltrechts. Die SystemtheorieSystemtheorie des Rechts beobachtet in all diesen Fällen ein transnationales Recht, das aus der Globalisierung der Funktionssysteme hervorgeht[231]. Dabei löst sich das Recht in Teilen von seiner privilegierten Koppelung mit dem politischen System des Nationalstaats. Es dient anderen Funktionssystemen, und dort insbesondere der Weltwirtschaft, um normative Erwartungen zu stabilisieren. Schließlich sei das Recht, so die Annahme der Systemtheorie, durch seine Funktion zu bestimmen, so dass auch jenseits des staatlichen Gewaltmonopols oder zentralisierter Durchsetzungsmacht ein Recht jenseits des Staates zu identifizieren ist.

      Die Vielfalt unterschiedlicher Regelungsbereiche mitsamt ihren teils überlappenden Kompetenzen wird als Ausdifferenzierung von Rechtsregimen fassbar[232]. Die unterschiedlichen Sozialbereiche und Funktionssysteme generieren ein je eigenes regimespezifisches Recht, das sie in vielen Fällen auf |60|Vertragsnormen und eigene Gerichtsbarkeiten oder Streitschlichtungsinstitutionen stützen. Diese Regimediagnose ist folgenreich für das Verhältnis von Recht und sozialen Konflikten. Die Widersprüche der Weltgesellschaft drücken sich in vielen Fällen in juridischen Regimekollisionen aus. So kollidiert beispielsweise das Recht des Freihandels, wie es in den 1990er und 2000er Jahren im Rahmen der WTO ausgebildet wurde, regelmäßig mit dem sozialen Recht des UN-Sozialpakts. Im Recht des Cyber-Space treffen die Grundrechte der Nutzer_innen auf das bestehende Vertragsrecht der Internetkonzerne[233]. Um einen Umgang mit diesen neuartigen Regimekollisionen zu finden, bietet sich weder ein Rückzug auf den Nationalstaat noch die Vereinheitlichung in einer politischen Weltgemeinschaft an; vielmehr erscheint ein transnationalisiertes Kollisionsrecht aussichtsreich, das die Konfliktlagen handhabbar macht und die Regime in ihre Schranken weist[234]. Die Ansatzpunkte erstrecken sich von der Verrechtlichung der nötigen Gegenmacht- und Kontrollmechanismen bis hin zu Berücksichtigungspflichten, die die Responsivität der Regime durch die »Herstellung wechselseitiger Reflexivität in den Rechtsfragmenten« sicherstellen[235].

      Die Rechtsregime reichen in vielen Fällen über eine bloße Verrechtlichung hinaus. Die SystemtheorieSystemtheorie identifiziert jedenfalls nicht nur ein transnationales Recht, sondern durchaus schon Ansätze einer robusteren Konstitutionalisierung. Nicht nur der Rechtsbegriff, sondern auch die Tradition des Konstitutionalismus wird neu situiert, indem insbesondere die gewachsene Rolle eines gesellschaftlichen Konstitutionalismus deutlich wird[236]. Die VerfassungVerfassung der Weltgesellschaft verwirklicht sich »(…) nicht exklusiv in den Stellvertreter-Institutionen der internationalen Politik, sie kann aber auch nicht in einer alle gesellschaftlichen Bereiche übergreifenden Globalverfassung stattfinden, sondern sie entsteht inkrementell in der Konstitutionalisierung einer Vielheit von autonomen weltgesellschaftlichen Teilsystemen«[237]. Weder die politische Weltgemeinschaft noch die Nationalstaaten, sondern die Evolution der Regime selbst bringt inkrementell aus der jeweiligen Bereichslogik heraus höherrangige Normierungen hervor, die es plausibel machen, hier Verfassungsinstitutionen zu verorten. Dies ist der Fall, wenn höherrangige Beobachtungen eintreten, die die allgemeine Verfasstheit der Regime, ihre konstituierenden Dimensionen, ihre Grenzen zu den sozialen Umwelten zum Gegenstand haben – wenn also die Normierungen der |61|Normierungen geregelt werden. Sind diese sekundären Normierungen dauerhaft mit reflexiven Sozialprozessen verkoppelt, ist von einer Verfassungsbildung auszugehen[238]. Verträge und »einfaches Recht« avancieren zu verfassungsartigen Grundordnungen, wenn die rechtliche Urteils- und Entscheidungsfindung in Gerichtsbarkeiten oder die rechtssetzenden Kommunikationen eine solche konstituierende Reflexivität ausbilden.

      Von diesem Standpunkt wird eine immanente Kritik des transnationalen Konstitutionalismus möglich. Die Verrechtlichung, die seit den 1990er Jahren einsetzte, stabilisierte in vielerlei Hinsicht die Eigenrationalität der jeweiligen Regime. Sie stützte mithin ihren Expansionsdrang ab – mit den bekannten Folgen einer zunehmenden Ökonomisierung, Verwissenschaftlichung und Militarisierung der (Welt-)Gesellschaft[239]. Eine angemessene Kritik kann sich deshalb nicht auf externe Maßstäbe oder Prinzipien stützen, die sie schematisch auf die Welt anwendet. Eher sind Gegenbewegungen zum Expansionsdrang der Systeme von innen her zu stärken und im Sinne einer hybriden Konstitutionalisierung auf Dauer zu stellen:

      »Eine ›hybride Konstitutionalisierung‹ ist in dem Sinne gefragt, dass externe gesellschaftliche Kräfte, also neben staatlichen Machtmitteln, rechtliche Normierungen und ›zivilgesellschaftliche‹ Gegenmacht aus anderen Kontexten – Protestbewegungen, NGOs, Gewerkschaften – in der Weise so massiven Druck auf die expansionistischen Funktionssysteme ausüben, dass sie innere Selbstbeschränkungen aufbauen, die tatsächlich greifen.«[240]

      Wie und wo sich diese Selbstbeschränkungen verkörpern, kann nur aus der Beobachtung der jeweiligen Koppelungsverhältnisse hervorgehen und nicht allgemein festgelegt werden. Als Einfallstor für die gewünschte Gegenmacht dienen beispielsweise die Menschenrechte und gesellschaftliche Protestbewegungen, genauso wie Kollisions- und wechselseitige Berücksichtigungsnormen durchaus zur Einhegung beitragen. Damit ist die systemtheoretische Diagnose anschlussfähig für eine Aktualisierung der sozialliberalen Traditionslinie im Bereich der Wirtschaftsverfassung, die auf eine Entflechtung ökonomischer Machtkonzentration zielt[241]; für die MarxMarx, Karl’sche Traditionslinie einer Selbstverwaltung des gesellschaftlichen Lebens[242]; genauso wie für Diskussionen um das Verhältnis von |62|Macht und Gegenmacht in der fragmentierten Weltgesellschaft[243]. In jedem dieser Kontexte insistiert die SystemtheorieSystemtheorie des Rechts jedoch auf der funktionalen Differenzierung der Sozialsysteme. Jeder Versuch, die VerfassungVerfassung der Weltgesellschaft von einem »god’s point of view« – sei es der Wirtschaft, der Politik oder einer wissenschaftsgetriebenen Technokratie – zu errichten, läuft Gefahr, die Weltgesellschaft zu vereinnahmen und so bestehende evolutionäre Errungenschaften zu unterlaufen.

      III. Kritische SystemtheorieSystemtheorie

      In jüngerer Zeit hat sich die SystemtheorieSystemtheorie des Rechts wieder stärker dem grundlegenden Verhältnis von Recht und Gesellschaft zugewendet und insbesondere den Dialog mit Ressourcen der Kritischen Theorie gesucht[244]. Noch in den 1970er Jahren hatten sich Systemtheorie und Kritische Theorie wechselseitig abgegrenzt[245]. Doch bei Lichte betrachtet, existierte schon immer ein unterschwelliger Dialog. Beide Theorietraditionen beobachten eine selbstreferentielle Schließung von Sozialsystemen und verfolgen eine immanente Kritik, die nicht äußere Ideale an das Recht heranträgt, sondern seine Verstrickung in die funktional ausdifferenzierte Gesellschaft analysiert[246]. Dementsprechend sind die jüngeren Beiträge davon gekennzeichnet, eine Analyse und Kritik des Rechts zu entfalten, die die Erkenntnisfortschritte der Systemtheorie aktualisiert.

      Im Mittelpunkt steht ein weiteres Mal die Unterscheidung zwischen System und Umwelt. Während LuhmannLuhmann, Niklas noch die operative Geschlossenheit des Rechts so verstanden hatte, dass die sozialen Umwelten tatsächlich nur ein diffuses Negativkorrelat der Systeme darstellen, werden sie in den neueren Beiträgen deutlicher substantiiert. Andreas Fischer-Lescano hat vorgeschlagen, die Theorie der funktionalen Differenzierung des Rechts zu ergänzen. Die Ausdifferenzierung des Rechts beruhe nicht nur auf Geschlossenheit, so Fischer-Lescano, sondern auch auf wirksamen sozialen und juridischen Kräften[247]. Entgegen »vitalistischen« Annahmen gehen diese Kräfte dem Rechtssystem zeitlich nicht voraus oder |63|entziehen sich gar der Veränderbarkeit. Sie rufen aber Widerstände, Überschreitungen und Reibungen im Verhältnis von System und Umwelt hervor. Als Sozialsystem presst das Recht die oft arationale oder gar nicht sprachfähige »Pluralität lebendiger Kräfte« in ein enges Korsett[248]. Dazu zählen nicht zuletzt auch die natürlichen Umwelten und die Körperlichkeit der Menschen[249]. Im Recht gelten nur rechtliche Kommunikationen, es verfährt mit seinen eigenen Rationalitätsstandards, an denen die nicht-rechtlichen sozialen Kräfte regelmäßig scheitern. Dies kann sich gar zu einer strukturellen Gewalt des Rechts steigern, wenn die Selbstreferenz der Systeme die jeweils heterogenen Kräfte abweist[250].

      Im Recht schwingt aber nicht nur die Gewalt der Inkommensurabilität, sondern auch eine


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