Neue Theorien des Rechts. Группа авторов

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die an die prägenden Codierungen anschließen. Während das politische System entlang der Codierung Machtüberlegenheit/Machtunterlegenheit strukturiert ist und sich darauf versteht, kollektiv bindende Entscheidungen herzustellen, die Wirtschaft entlang der Codierung Zahlung/Nicht-Zahlung kommuniziert[197], orientiert sich das Rechtssystem an der Unterscheidung Recht/UnrechtUnrecht und sorgt für die Stabilisierung normativer Erwartungen, indem es auch dann die Geltung von Normen behauptet, wenn sie in der Realität gebrochen oder nicht befolgt werden.

      |52|II. Realparadoxien des Rechts

      Auf diese Weise verkompliziert sich die Selbstreferenz. Was sich vordergründig als selbstinteressierte Unabhängigkeit oder Verselbstständigung darstellt, ruht am Ende doch auf einer Fremdreferenz im Hinblick auf die sozialen Umwelten auf. Die Selbstreferenz wird nur durch Abgrenzung und Bezug auf die jeweilige soziale Umwelt möglich. Recht grenzt sich von anderen Sozialsystemen, wie Wirtschaft, Religion oder Politik ab, muss sich dabei aber auch auf eine diffuse soziale Umwelt einstellen oder wenigstens mit ihr rechnen[198]. Am Beginn jeder Systembildung steht folglich eine Unterscheidung zwischen Innen und Außen[199]. Sie ruft kommunikative Anschlussmöglichkeiten genauso wie den Ausschluss einer nicht-markierten Außenseite hervor. Damit legen die Systeme auch »Schnitte in die Welt« oder »verletzen« sie gar[200]: Sie greifen in den unmarked state ein und transformieren ihn in das Negativkorrelat der Innenseite des Systems (unmarked space)[201]. Dies führt in eine Fundierungsparadoxie, da sich die jeweiligen Formen gegenüber ihren Umwelten selbstreferentiell schließen und doch konstitutiv auf sie bezogen bleiben. Als Irritation, als Rauschen, als das Andere oder gar als Bedrohung des Systems können sie nie vollständig verdrängt werden[202]. Soziale Systeme sind also nicht vollkommen unabhängig und geschlossen, sondern auch umweltabhängig und in gewisser Hinsicht offen.

      Die SystemtheorieSystemtheorie des Rechts beobachtet, wie die Unterscheidung zwischen System und Umwelt einen Wiedereintritt innerhalb des Systems finden kann. LuhmannLuhmann, Niklas beschreibt diesen voraussetzungsreichen Vorgang als re-entry[203]. Das Rechtssystem erschließt auf diesem Wege die Spielräume, um die Grenzen zwischen Recht und Nicht-Recht zu thematisieren, sie zu verschieben, oder das, was als Recht gilt, zu erneuern. Die einschlägige Formel lautet: »re-entry der Unterscheidung in das Unterschiedene«[204]. Demnach ist zu beobachten, dass ein |53|Wiedereintritt der Unterscheidung zwischen Recht und Nicht-Recht stattfindet, und zwar innerhalb des Rechts. Die Unterscheidung zwischen System und Umwelt wird dann innerhalb des sich schon von der Umwelt abgrenzenden Systems thematisch. Im Sinne eines crossing überquert das Außen die Grenze zwischen Innen und Außen und die Umwelten treten auf der Innenseite wieder auf.

      Die Möglichkeit eines solchen Wiedereintritts ist von hoher Bedeutung, da das Recht dadurch eine eigene Reflexivität ausbildet, wenn es sich selbst zum Gegenstand der Kritik und Erneuerung macht. So treten Momente ein, in denen die überlieferten Routinen und Lehrmeinungen, die dogmatischen Figuren und Auslegungstechniken grundsätzlich zur Diskussion gestellt und gegebenenfalls verändert werden. Insbesondere wird dann auch danach gefragt, ob das Recht noch der »Gesellschaft« gerecht wird, ob und wie es von anderen Sozialsystemen, etwa der Politik, der Wirtschaft, der Religion oder den Bewusstseinssystemen der Individuen, abhängt und was daraus zu schlussfolgern ist: Soll sich das Recht responsiv zu seinen sozialen Umwelten verhalten oder im Gegenteil darauf bestehen, dass es sich gerade nicht von außen irritieren lässt[205]? Ein klassisches Beispiel, an dem dieses Problem auf sich aufmerksam macht, entstammt der Verfassungsrechtsprechung. Dort stellt sich die Frage, ob die VerfassungVerfassung als »lebende Verfassung« zu verstehen ist, die sich verändernden gesellschaftlichen Umständen anpasst, oder ob sie gerade im Gegenteil als Grundentscheidung gilt, die rechtliche Normen und Prinzipien vor ständiger Veränderung durch die Gesellschaft abschirmt[206].

      Die SystemtheorieSystemtheorie zeigt, wie das Recht diese Fundierungsprobleme in der Regel verdrängt. Es hält feine Techniken der Ent-Paradoxierung bereit, um den Rechtsbetrieb am Laufen zu halten. Vor Gericht darf nicht andauernd reflektiert, es muss entschieden werden[207]; ein Ausstieg aus dem Rechtscode ist nicht möglich, und der kommunikative Anschluss an die »h.M.«, die herrschende Meinung, begrenzt ab initio, was überhaupt infrage zu stellen ist. Doch es ergeben sich auch Spielräume, die auf eine Öffnung der bestehenden Entscheidungsroutinen und Rechtsbegriffe hinauslaufen. Das Einfallstor, um die Fundierungsparadoxien wieder sichtbar zu machen, sind sogenannte »Kontingenzformeln«, d.h. Formeln, die darauf zielen, die jeweiligen Kommunikationen einer weiteren, übergreifenden Beobachtung auszusetzen und ihre Änderbarkeit zu gewährleisten. Im Fall |54|des Rechts dient die »Gerechtigkeit« als Orientierungspunkt, um Grundsatzfragen und Revisionsbedarf aufzuwerfen[208]. Wird die Gerechtigkeit des Rechts angesprochen, tritt eine Reflexion auf die jeweiligen Grenzziehungen ein, die sich bis zur subversiven Überschreitung des bisherigen Rechtshorizonts steigern kann[209]. Jüngere rechtstheoretische Arbeiten beobachten darüber hinaus im Hinblick auf die Globalisierung von Funktionssystemen, wie Weltwirtschaft oder Weltpolitik, dass insbesondere die Menschenrechte eine ähnliche Funktion übernehmen. Im Gegensatz zur überlieferten Rechtsphilosophie, die sich eifrig um den besonders weiten oder engen Umfang der Menschenrechte streitet, wird hier ihr reaktiver Charakter betont. Sie sind das Medium, in dem das globalisierte Recht auf seine Umweltbezüge reflektiert und sich für Ansprüche der sozialen Umwelten – hier der »Menschen« – öffnen kann[210].

      III. VerfassungVerfassung als strukturelle Koppelung von Recht und Politik

      Aus diesen Überlegungen resultiert ein innovativer Zugriff auf den Begriff der VerfassungVerfassung und die Tradition des Konstitutionalismus. In der Rechts- und Verfassungstheorie war immer umstritten, ob die Verfassung am Ende als Ausdruck einer vorgängigen politischen Entscheidung des »Volkes« oder als notwendige Folge rechtlicher Herrschaftsbegrenzung verstanden werden sollte[211]. Die SystemtheorieSystemtheorie argumentiert hier nuancierter. Die Verfassung wird nicht einseitig auf den Vorrang politischer Entscheidung oder rechtlicher Herrschaftsbegrenzung zurückgeführt; vielmehr gilt sie als evolutionäre Errungenschaft, in der die beiden Funktionssysteme Recht und Politik eine wechselseitige Verbindung eingehen. Die Verfassung reagiert auf die »Differenzierung von Recht und Politik« und »den damit gegebenen Verknüpfungsbedarf«[212]. Wiederum ist die funktionale Differenzierung entscheidend: Recht und Politik differenzieren sich schrittweise aus und sind in der Verfassung systematisch i.S. einer strukturellen Koppelung aufeinander bezogen. Als strukturelle Koppelung bezeichnet die Systemtheorie |55|die jeweiligen Interpenetrationen, die entstehen, wenn »ein System bestimmte Eigenarten seiner Umwelt dauerhaft« voraussetzt und sich auf sie »verlässt«[213]. Durch Verfassungsbildung wird das Herstellen kollektiv bindender Entscheidungen (Politik) rechtlich formalisiert (und dadurch ermöglicht und beschränkt), und umgekehrt wird die Stabilisierung normativen Erwartens (Recht) an die Politik, insbesondere die Gesetzgebung, angebunden. Ist diese Ko-Evolution der beiden Systeme erst einmal in der Verfassung institutionalisiert, verändert sich die Codierung des rechtlichen und politischen Systems. Denn sowohl der politische Machtcode (Machtüberlegenheit/Machtunterlegenheit) als auch der Rechtscode (Recht/UnrechtUnrecht) müssen sich zusätzlich einer Beobachtung vom Typ verfassungsgemäß/verfassungswidrig aussetzen, die als höherrangig gilt[214]. Dann »hebt die Verfassung ab«[215]. Sie hält nicht nur fest, wie Recht, Politik und Gesellschaft zusammenspielen und sich voneinander abgrenzen, sie hält auch eine Option der Revision und Erneuerung bereit. Mit Bezug auf die höherrangige Verfassung werden Rechtsentscheidungen und politische Entscheidungen neu verhandelt und sowohl bestehende Institutionen als auch gesellschaftliche Bewegungen können sich von dort aus zum Handeln ermächtigen. Die Kämpfe um die Verfassung und ihre Normen machen die Grenzziehungen zwischen Recht, Politik und Gesellschaft der Veränderung zugänglich. Diese höherrangige, konstituierende Verfassungspolitik knüpft zwar an die etablierte Selbstreferenz in Recht und Politik an, vermag sie aber gleichsam zu revolutionieren[216].

      Die dort stattfindenden Kämpfe verhelfen sich nun nicht einzig als verallgemeinerte politische Gründungsmomente im Sinne von »constitutional moments« zum Ausdruck, sondern funktional spezifiziert in der Codierung der jeweiligen Funktionssysteme. Die Verfassungsfrage stellt sich nicht nur im Hinblick auf die großen Gründungsmomente der Politik, sondern ebenso in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen, etwa im Bereich der


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