Neue Theorien des Rechts. Группа авторов

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hin, dass das Recht nicht für das Scheitern menschlicher Interaktion, sondern auch für ihr Gelingen wichtig sei. Eine Rechtskritik müsse ernst nehmen, dass insbesondere geschwächte Gruppen und Individuen sich immer wieder auf das Recht berufen, um ihre Position zu stärken. Eine Kritik des Rechts könne daher nicht auf die |75|Abschaffung oder Überwindung des Rechts abzielen, sondern müsse seine »radikale TransformationTransformation« anstreben[299].

      C. Wege aus dem Recht der bürgerlichen Gesellschaft

      Die hier vorgestellten Kritiken des Rechts stellen die Legitimation moderner, liberaler Staaten infrage, wonach der liberale Rechtsstaat eine, oder sogar die einzige, Staatsform sei, die in der Lage ist, die Freiheit und Gleichheit der Menschen innerhalb einer Gesellschaft zu schützen. In allen drei Fällen ist die gegen das bürgerliche Recht in Anschlag gebrachte Kritik der Ausgangspunkt für die Suche nach einem Ausweg aus den beschriebenen rechtlichen (und den entsprechenden gesellschaftlichen) Verhältnissen. Unabhängig von den jeweiligen Schwerpunkten der Autoren stellt sich damit die Frage nach dem Verhältnis von Recht und gesellschaftlichem bzw. politischem Wandel.

      Obwohl keiner der Autoren einen dezidiert sozialwissenschaftlichen Ansatz verfolgt, stellen alle Analysen den Zusammenhang zwischen der Herausbildung des bürgerlichen Rechts und den parallelen gesellschaftlichen Entwicklungen, nämlich der Entstehung kapitalistischer Produktionsverhältnisse her[300]Rechtskritik. In Benjamins Schriften finden sich zum Beispiel immer wieder Hinweise, dass seine Kritik nicht nur die rechtssetzende und rechtserhaltende Gewalt betrifft (die in allen Gesellschaftsformen wirken), sondern auch die spezifische Gewalt des bürgerlichen Rechts, die darin besteht, die strukturelle Gewalt der kapitalistischen Gesellschaft gleichzeitig zu ermöglichen und zu verdecken[301]Benjamin, Walter. Menkes Kritik der »Ermächtigung des Eigenen« durch die Form der subjektiven Rechtesubjektive Rechte basiert zu einem Großteil auf der Analyse der Rolle subjektiver Rechte zur Sicherung von Eigentum[302]. LoickLoick, Daniel wiederum bezieht sich ausführlich auf Marx, um die Trennungseffekte des bürgerlichen Rechts zu erfassen[303].

      Die Suche nach Wegen aus dem bürgerlichen Recht wirft damit auch die Frage auf, ob ein neues Recht zwingend neue gesellschaftliche Verhältnisse mit sich bringen muss. Die geschichtsphilosophische sowie gesellschaftswissenschaftliche Debatte, vor deren Hintergrund alle drei Autoren schreiben (ohne explizit auf diese einzugehen), betrifft also die Frage nach den Möglichkeiten und Bedingungen gesellschaftlichen Wandels. Es gilt nicht nur zu überlegen, wie ein weniger |76|gewaltvolles (BenjaminBenjamin, Walter), ein nicht-ontologisch-verstelltes selbstreflexives Recht (MenkeMenke, Christoph) oder ein nicht-juridisches Recht (LoickLoick, Daniel) grundsätzlich aussehen könnte, sondern auch, wie wir zu diesem Recht gelangen und welche Rolle das Recht selber in diesem Prozess spielen kann. Dabei sind diese rechts- und sozialtheoretischen Fragen von unmittelbarer Bedeutung für die Rechtspraxis: Von ihrer Beantwortung hängt ab, ob und welche Rolle dem Recht (zum Beispiel in der Form strategisch geführter Prozesse) bei der Hervorbringung einer anderen Gesellschaft, und eines anderen Rechts, eingeräumt wird.

      I. BenjaminBenjamin, Walter: die Entsetzung des RechtsEntsetzung des Rechts

      Wie oben bereits angedeutet, ist Benjamins Denken von einer auf den ersten Blick eigenwilligen Mischung theoretischer Bezüge geprägt, die den Zugang zu seinen Texten erschweren. In dem Text zur Kritik der Gewalt tritt dies deutlich an der Stelle zu Tage, in der BenjaminBenjamin, Walter andeutet, wie der sich wiederholende Kreislauf von rechtssetzender und rechtserhaltender Gewalt unterbrochen werden kann. Denn für BenjaminBenjamin, Walter steht fest, dass erst durch eine Unterbrechung dieses Zirkels eine wirklich neue, nicht auf Gewalt basierende Gesellschaft gegründet werden kann. Er schreibt:

      Auf der Durchbrechung dieses Umlaufs im Banne der mythischen Rechtsformen, auf der Entsetzung des RechtsEntsetzung des Rechts samt den Gewalten, auf die es angewiesen ist wie sie auf jenes, zuletzt also der Staatsgewalt, begründet sich eines neues geschichtliches Zeitalter[304].

      Diese »Entsetzung des RechtsEntsetzung des Rechts« erfolgt durch die Intervention einer nicht zweckgebundenen, von BenjaminBenjamin, Walter »göttlich« genannten Gewalt, die er aber kaum näher bestimmt. Es ist dann auch diese Stelle des Textes, die in der BenjaminBenjamin, Walter-Rezeption zu regen Debatten darüber führt, wie wir uns die von BenjaminBenjamin, Walter verlangte Entsetzung des Rechts vorstellen können. Kontrovers wird dabei insbesondere die Frage diskutiert, ob BenjaminBenjamin, Walter für eine gewaltfreie Gesellschaft eine Abschaffung des Rechts verlangt, oder lediglich eine andere Art des Rechts.

      So hat zum Beispiel Jacques DerridaDerrida, Jacques im Postscriptum zu dem eingangs schon erwähnten Aufsatz Gesetzeskraft Benjamins Figur der »Entsetzung des RechtsEntsetzung des Rechts« durch die Intervention einer »göttlichen Gewalt« als Abschaffung eines staatlichen Rechts gelesen und schreibt vor diesem Hintergrund:

      Die Vorstellung, daß man den Holocaust als Entsühnung und unentzifferbare Signatur eines gerechten und gewaltsamen göttlichen Zorns deuten könnte, versetzt uns in Angst und Schrecken[305].

      Weil für DerridaDerrida, Jacques der von BenjaminBenjamin, Walter skizzierte Ausweg aus dem Zyklus mythischer Gewalt nicht zu unterscheiden ist von gewaltvollen geschichtlichen Ereignissen |77|wie dem Holocaust, ist die Kritik der Gewalt für ihn nicht tragbar[306]. Anders wiederum die Lektüre der entsprechenden Stelle bei Christoph MenkeMenke, Christoph[307]. Er liest das Programm der »Entsetzung« des Rechts durch die göttliche Gewalt nicht als seine Suspendierung, sondern als Forderung nach einer Befreiung des Rechts von der Gewalt, nach einem Recht, das nicht länger gewaltvoll ist. Menkes Programm eines neuen Rechts, zu dem wir im nächsten Abschnitt kommen, ist auch der Versuch, Benjamins Formulierung der Entsetzung des RechtsEntsetzung des Rechts einen Ausdruck innerhalb des Rechts zu verleihen[308].

      Eine dritte Interpretationslinie von Benjamins Kritik der Gewalt nimmt Benjamins Analyse der notwendigen Verquickung von Recht und GewaltRecht und Gewalt ernst, ohne dabei die geforderte Entsetzung des RechtsEntsetzung des Rechts durch das Einbrechen einer göttlichen Gewalt mit der Suspendierung des Rechtstaates im Nationalsozialismus in Verbindung zu bringen. Autor*innen wie Cornelia Vismann[309], Bettine Menke[310], Werner Hamacher[311] oder Sami Khatib[312] lesen Benjamins Zur Kritik der Gewalt unter Berücksichtigung anderer Texte Benjamins (insbesondere Kapitalismus als Religion[313], Über den Begriff der Geschichte[314], Theologisch-politisches Fragment[315]), die das Problem einer kontinuierlichen Wiederholung von Gewalt in der Menschen-gemachten Geschichte (sowie Möglichkeiten diese zu unterbrechen) berühren. In dieser Lesart initiiert die göttliche Gewalt oder die Entsetzung des Rechts keine neue gesellschaftliche Ordnung, die chronologisch auf die gegenwärtigen Ordnung folgt. Vielmehr ist sie als eine kurzzeitige Unterbrechung der geschichtlichen Zeit, als ein vorübergehender Aufschub der Gewalt zu denken, in welcher »das morsche im Rechte« sichtbar wird. Werner Hamacher führt zur Beschreibung der Wirkungsweise der reinen, göttlichen Gewalt den Begriff des Afformativen ein[316]. Während ein performativer Akt etwas Neues einsetzt (und dabei |78|den Akt der Setzung leugnet), unterbricht das Afformative, ohne dabei etwas neu zu setzen. Nur in dieser Unterbrechung, die einen Blick auf die Gewalt des Rechts ermöglicht, könne mit BenjaminBenjamin, Walter die Hoffnung auf Gerechtigkeit bestehen:

      Rein kann eine Politik und die ihr korrespondierende Gewalt nur heißen, wenn sie unvermischt mit Interessen der Erhaltung oder der Programmierung von Lebensformen, unvermischt mit positiven Rechtsinstituten, die Form der Gerechtigkeit manifestiert[317].

      Eine politische oder rechtliche Strategie, die Benjamins Kritik der Gewalt zum Ausgang nimmt, kann vor dem Hintergrund dieser Lektüre nicht darauf abzielen die Gewalt des Rechts durch die Einsetzung einer neuen Ordnung oder die Hervorbringen gerechterer Urteile zu überwinden. Vielmehr müsste sie versuchen, die unterschiedlichen Formen, in denen das Recht auf Gewalt angewiesen ist, ans Licht zu bringen. Wenn, wie oben beschrieben, ein Aspekt der rechtlichen Gewalt für BenjaminBenjamin, Walter darin besteht, dass eine neue Ordnung als Recht eingesetzt wird, ohne dass ihre Berechtigung in letzter Instanz begründet werden kann, bestände eine Entsetzung dieser Ordnung im Aufzeigen ihrer Kontingenz mit dem Ziel dadurch neue Räume für politische Debatten zu eröffnen.

      Die


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