Wirtschaftsvölkerrecht. Markus Krajewski
sicherzustellen, die ein gemeinsames Vorgehen erfordern, und um allgemein die Durchführung dieses Abkommens und die Erreichung seiner Ziele zu erleichtern. Sooft in diesem Abkommen die gemeinsam handelnden Vertragsparteien erwähnt sind, werden sie als VERTRAGSPARTEIEN bezeichnet.
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Die Vertragsparteien trafen periodisch und ad hoc zusammen und erfüllten die Funktion, die in internationalen Organisationen typischerweise von einer Mitgliederversammlung erfüllt wird. Die Aufgaben und Befugnisse der VERTRAGSPARTEIEN wurden mit Gründung der WTO gemäß Ziffer 2 b) GATT 1994 entweder von der WTO als Organisation oder von der Ministerkonferenz der WTO[1] übernommen.
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Im Laufe der Jahre entstanden weitere Organe, die den VERTRAGSPARTEIEN untergeordnet waren und die verschiedene institutionelle Aufgaben übernahmen. So wurde 1960 der GATT-Rat geschaffen, der regelmäßiger als die Vertragsparteien tagte. Ebenso entwickelte sich ein institutionalisiertes Streitbeilegungssystem. Als Grundlage der Streitschlichtung im GATT 1947 galten Artikel XXII, XXIII GATT. Danach sollten bei Streitigkeiten zunächst die betroffenen Parteien miteinander Konsultationen führen. Erwiesen sich diese als erfolglos, waren Konsultationen der VERTRAGSPARTEIEN mit den Streitparteien vorgesehen. Statt direkter Konsultationen der VERTRAGSPARTEIEN wurden seit Mitte der 1950er Jahre ad hoc Schiedsgerichte (Panel) eingesetzt, denen ein Streit zur Entscheidung vorgelegt wurde. Allerdings bedurfte sowohl die Einsetzung eines Panels als auch die Annahme seiner Entscheidung einer Entscheidung der VERTRAGSPARTEIEN, die im Konsens ergehen musste. Damit kam der beklagten Partei für die Einsetzung des Panels ein faktisches Vetorecht zu. Ebenso konnte die unterlegene Partei die Annahme einer Entscheidung verhindern. Dies beeinträchtigte die Effektivität des Verfahrens deutlich.
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Die materiell-rechtlichen Vorschriften des GATT 1947 enthielten in erster Linie Diskriminierungsverbote und Verpflichtungen zum Abbau von Zöllen und anderen Handelshemmnissen. Da das GATT 1947 heute als Kern des GATT 1994 weiterbesteht, wie sich aus Ziffer 1 GATT 1994 ergibt, sind die materiell-rechtlichen Regeln des GATT 1947 auch Teil des WTO-Rechts. Sie werden daher in diesem Zusammenhang dargestellt.
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Die Rechtsordnung des GATT 1947 enthielt eine Besonderheit, die an dieser Stelle kurz erwähnt werden muss. Das Protokoll über die vorläufige Anwendung des GATT verpflichtete keine der Vertragsparteien zu einer Änderung bestehender Gesetze. Daraus folgte, dass nationales Recht, das dem GATT entgegenstand und bereits vor dessen Inkrafttreten galt, beibehalten werden durfte (sog. „grandfather rights“).
Anmerkungen
Dazu unten Rn. 226.
c) GATT-Verhandlungsrunden
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Die Geschichte des GATT 1947 ist durch mehrjährige multilaterale Verhandlungsrunden geprägt, in deren Rahmen schrittweise Zölle gesenkt wurden. Zum Abbau anderer Handelshemmnisse wurden außerdem verschiedene völkerrechtliche Abkommen ausgehandelt, die neben das GATT 1947 traten. Mit ihnen wurde die Rechtsordnung des GATT 1947 präzisiert und erweitert.
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Den ersten fünf Verhandlungsrunden des GATT zwischen 1947 und 1961 gelang ein erheblicher Abbau der Zölle. Die Zollreduktion führte jedoch dazu, dass nicht-tarifäre Handelsschranken, insbesondere handelspolitischen Abwehr- und Schutzmaßnahmen, an Bedeutung zunahmen. Bereits in der sechsten GATT-Runde, der Kennedy-Runde (1962–1967) wurde daher neben einer weiteren Zollreduzierung ein Abkommen zu Antidumping-Maßnahmen ausgehandelt.[1]
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In der Tokio-Runde (1973–1979) wurde dieses Abkommen um weitere Zusatzabkommen ergänzt (Tokio-Kodizes), die unter anderem Subventionen, Zollwertbestimmungen und technische Handelshemmnisse betrafen. Die zusätzlichen Abkommen der Kennedy- und der Tokio-Runde waren eigenständige völkerrechtliche Verträge, die neben dem GATT bestanden. Die GATT-Vertragsparteien hatten die Wahl, einem Nebenabkommen beizutreten oder fernzubleiben. Diese Möglichkeit wurde als „GATT à la carte“ bezeichnet und hatte zur Folge, dass innerhalb des GATT-Systems Verträge mit unterschiedlichen Mitgliedschaften bestanden. Der Umfang der materiellen Verpflichtungen der GATT-Vertragsparteien unterschied sich somit zum Teil erheblich. Zudem verfügten einige Abkommen über eigenständige Verfahren zur Streitschlichtung. Betraf ein Streitfall mehrere Abkommen, konnte sich die klagende Partei daher dasjenige Abkommen und Streitbeilegungsverfahren aussuchen, das für die klagende Partei die größten Erfolgsaussichten bot. Diese Zersplitterung der Rechtsordnung des GATT 1947 wurde als Missstand empfunden und war ein Anlass für die Verhandlungen der Uruguay-Runde.
Anmerkungen
Zu Dumping siehe unten Rn. 403 ff.
Teil 2 Welthandelsrecht › III. Entwicklung des Welthandelssystems › 4. Die Uruguay-Runde (1986–1994)
4. Die Uruguay-Runde (1986–1994)
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Grundlegende Veränderungen erfuhr das Welthandelssystem durch die 1986 in Punta del Este (Uruguay) eröffnete achte GATT-Handelsrunde, die sog. Uruguay-Runde. Die Verhandlungen umfassten sowohl traditionelle Themen wie Zollabbau als auch Themen, die erstmals auf der Tagesordnung des Welthandelssystems standen wie Dienstleistungen, geistiges Eigentum und Investitionen. Außerdem sollte der Landwirtschafts- und Textilhandel in das Welthandelsrecht wieder eingegliedert werden, da sich für diese Sektoren im Laufe der Jahre Sonderregime herausgebildet hatten, für die Regeln des GATT nicht galten. In den Verhandlungen standen die Interessen der Industrieländer am Dienstleistungshandel, am Schutz des geistigen Eigentums und am Schutz von Auslandsinvestitionen den Interessen der Entwicklungsländer am Abbau der Handelsbeschränkungen für landwirtschaftliche Produkte und Textilien gegenüber.
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Die institutionelle Neugestaltung des Welthandelssystems insbesondere durch die Gründung einer neuen internationalen Organisation war zu Beginn der Verhandlungen noch kein Thema. Erst im Jahr 1990 schlugen Kanada und die EG eine „Multilaterale Handelsorganisation“ vor, die als Dach der verschiedenen Abkommen dienen sollte.
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Die auf ursprünglich vier Jahre angelegten Verhandlungen sollten nach 1990 durch die Ministerkonferenz in Brüssel abgeschlossen werden, was jedoch aufgrund zahlreicher Meinungsverschiedenheiten, vor allem im Agrarsektor, scheiterte. Der Konflikt zwischen den USA und der EG über die Subventionierung der Landwirtschaft erwies sich in diesem Kontext als zentraler Streitpunkt. Hintergrund dieses Streits war die unterschiedliche Art und Weise der Förderung der Landwirtschaft: Während die USA direkt die Produzenten landwirtschaftlicher Produkte unterstützten, wurden in der EG die Agrarprodukte selbst, z.B. durch Ausfuhrsubventionen, unterstützt. Zwar verbessern beide Formen der Unterstützung die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Landwirtschaft, die Unterstützungssysteme wirken sich jedoch unterschiedlich auf die Weltmarktpreise aus.
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Ende 1991 legte GATT-Generalsekretär Arthur Dunkel einen Entwurf für eine Abschlusserklärung vor (Draft Final Act, auch Dunkel-Draft), der