Ius Publicum Europaeum. Andrzej Wasilewski

Ius Publicum Europaeum - Andrzej Wasilewski


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eine autonome gerichtliche Institution der Streitentscheidung ausgebildet, nicht aber eine Gesetzgebung, die überzeugend von der Verwaltung abgegrenzt werden könnte.[15] Wenngleich der Vertrag von Lissabon den Begriff des Gesetzgebers (Art. 14 Abs. 1 und 16 Abs. 1 des Vertrags über die Europäische Union [EUV]), des Gesetzgebungsaktes und der gesetzgebenden Verfahren einführt (Art. 289 AEUV), bleiben nicht-parlamentarische und mit Aufgaben der Durchführung betraute Organe, namentlich Rat und Kommission, derart wichtig in den Rechtsetzungsverfahren, dass institutionell die Verwaltung nicht in Abgrenzung zur Legislative bestimmt werden kann. Den Verträgen ist keine prinzipielle Scheidung zwischen Legislative und Exekutive zu entnehmen. Zwar unterscheidet das Primärrecht zwischen der Festlegung (oder auch: Gestaltung, englisch: definition, defining) und der Durchführung (englisch: implementation, implementing) von Politiken (z.B. Art. 26 Abs. 2 EUV und Art. 9ff. AEUV), aber die Verträge haben einige Politiken so weit primärrechtlich vorgezeichnet, dass sie jede weitere Rechtsetzung als Durchführung bezeichnen, selbst wenn sie in Verfahren der Gesetzgebung erfolgt (siehe etwa Art. 212 Abs. 2 AEUV).

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      Dies sind die Fragen dieses Beitrags. Mit Blick auf den Gegenstand der Verwaltungsrechtswissenschaft will er zeigen, dass das Verständnis des Verwaltungsrechts als Sonderrecht von Hoheitsträgern eine Antwort liefert (II.1.). Für die Ausrichtung der Disziplin, ihr Ethos, schlägt er eine Verwaltungsrechtswissenschaft ex parte civium vor, die an die emanzipatorische Ausrichtung ihrer frühesten Schriften im 19. Jahrhundert anknüpft (II.2.). Bezüglich der Aufgabenstellung propagiert er die Dogmatik als identitätsprägenden Kern, eine Dogmatik allerdings, die interdisziplinär informiert und offen gegenüber anderen rechtswissenschaftlichen Fragestellungen ist (II.3.). Der dritte Teil unterbreitet auf dieser Grundlage einen Vorschlag für die Fortentwicklung des disziplinären Selbstverständnisses (III.), namentlich mittels einer Europäisierung und einer Pluralisierung, jedoch zentriert in dem Faszinosum hoheitlicher Macht.

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      Diese Thesen beruhen auf der Annahme, dass die Entfaltung einer Wissenschaft vom europäischen Verwaltungsrecht mit einer Hoffnung, einer Sorge und einem disziplinären Interesse zu erklären ist. Sie beruht erstens auf der Hoffnung, im Europarecht einen Bereich bürokratischer Rationalität zu identifizieren und zu fördern und damit zugleich eine zwischenstaatliche Konzeption dieses Rechts zu überwinden, die dem Recht nur geringen Selbststand (Normativität) lässt. Dies kann sowohl an funktionalistische Ideen anschließen, die auf bürokratisch-expertokratische Verfahren und Routinen setzen, als auch an föderalistische Konzeptionen: Stets geht es darum, den Eigenstand des Integrationsverbands gegenüber den Mitgliedstaaten zu unterstreichen und so einen Herrschaftsträger zu stärken, an dessen Regelungsmacht sich die Zukunft des Kontinents entscheidet.

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      Der Forschungsbereich europäisches Verwaltungsrecht ist zweitens der Sorge zu verdanken, dieses supranationale Recht könnte die liberaldemokratische Einbindung und Ausrichtung bürokratischer Herrschaft unterlaufen. Insoweit verschärft die Beobachtung eines europäischen Verwaltungsrechts die Frage nach adäquaten Sicherungen durch Transparenz, Rechtsschutz, materielle und prozedurale Standards und parlamentarische Einbindung. Es gibt einen Argwohn, die europäische öffentliche Verwaltung könnte Aspekte einer geheimen Bürokratie aufweisen, die fern, abgeschottet oder unsensibel Politiken verfolgt, welche die innerstaatliche Ordnung modifizieren, ja umgestalten, und die Bürger entmündigen, ja gängeln.

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      Ein dritter Aspekt, der in Deutschland weniger sichtbar ist, liegt in dem disziplinären Interesse, ein neues, wichtiges Forschungsfeld für das eigene Fach zu gewinnen. Über viele Jahrzehnte war die verwaltungsrechtliche von der völkerrechtlichen Forschung weitgehend getrennt. In vielen Staaten, etwa Frankreich, Italien, Österreich, Spanien oder dem Vereinigten Königreich, gibt es eine, wie die Landesberichte zeigen, entsprechende personelle Trennung mit bisweilen scharfen fachlichen Abgrenzungen. Im Zuge der Integration hat nun die Interaktion zwischen gemeinschaftsrechtlichen und nationalen verwaltungsrechtlichen Themen erheblich zugenommen, und entsprechend stellt sich die Frage, welche rechtswissenschaftliche Disziplin hierfür im Kern zuständig ist. Die Begriffsbildung europäisches Verwaltungsrecht erleichtert solche disziplinären „Landnahmen“ zu Lasten der auf Fragen des Überstaatlichen spezialisierten völker- und europarechtlichen Lehrstühle und Einrichtungen. Die Eroberung fremden Territoriums verändert jedoch in aller Regel die Eroberer: Römer, Goten und Quäker richteten sich nach ihren erfolgreichen Landnahmen neu aus.

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