Klausurenkurs im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht. Thomas Rauscher
Die Ehe könnte nach Art. 117 Abs. 1 cc (MAT g) durch Klage (MAT h) aufhebbar sein.
Dazu müsste ein Verstoß gegen eine der dort genannten Normen vorliegen; in Betracht kommt nur Art. 86 cc (MAT e). Marcello müsste im Zeitpunkt der Eheschließung anderweitig verheiratet gewesen sein. Das ist fraglich, weil die 1967 geschlossene Ehe des Marcello mit Dörte am 17.8.1968 rechtskräftig von einem deutschen Gericht geschieden wurde.
b) Auf die Wirksamkeit der Scheidung anwendbares Recht
147
Nach welchem Recht die Wirksamkeit der Scheidung zu beurteilen ist, ist seit der zum Spanier-Beschluss des BVerfG[5] (vgl Art. 13 Abs. 2 EGBGB) führenden Rechtsprechung unklar:
aa)
148
Mit dem BGH[6] wäre zu argumentieren, nach seinem für die Eheschließungsvoraussetzungen maßgeblichen italienischen Heimatrecht sei Marcello am 1.6.1970 noch mit Dörte verheiratet gewesen; denn das an diesem Tag noch geltende (Datum in MAT i) alte italienische Recht habe damals die in Deutschland ausgesprochene Ehescheidung vom 17.8.1968 als ordre-public-widrig (MAT k) angesehen und nicht anerkannt.
Diese Folgerung des italienischen Rechts könnte sodann gegen den deutschen ordre public (Art. 30 aF EGBGB entspricht Art. 6 EGBGB) verstoßen: Die Anwendung einer Rechtsordnung, welche die Unauflöslichkeit der Ehe postuliert und im konkreten Fall deshalb einem deutschen Scheidungsurteil die Anerkennung versagt, verstößt gegen Grundprinzipien des deutschen Rechts; der Inlandsbezug besteht, weil Frieda, der die Eheschließung mit Marcello versagt worden wäre, Deutsche ist.
bb)
149
Diese Lösung übersieht jedoch, dass es sich bei der Frage der noch bestehenden Ehe um eine Vorfrage im Tatbestand eines Ehehindernisses (Art. 86 cc) handelt, die nicht ohne Weiteres dem Hauptstatut (Eheschließungsvoraussetzungen der neuen Ehe) untersteht. Vorfragen sind nach deutschem Recht grundsätzlich selbstständig anzuknüpfen. Nur wenn man – zur Vermeidung hinkend mangelhafter Ehen – diese Vorfrage unselbstständig vom italienischen Eheschließungsstatut aus anknüpft, kommt man wieder zu der oben (Rn 148) geschilderten Lösung. Bei selbstständiger Vorfragenbeurteilung ist, da ein Scheidungsurteil[7] vorliegt, nicht beim deutschen IPR anzusetzen (Art. 17 Abs. 1 aF EGBGB); auch wenn die Scheidung Hauptfrage ist, beurteilt sich die Wirkung des Scheidungsurteils nicht nach dem Scheidungsstatut, sondern prozessual. Ein deutsches Scheidungsurteil (seit 1.9.2009 Scheidungsbeschluss) wirkt, ein ausländisches ist ggf anerkennungsfähig.[8] Das vorliegende deutsche Scheidungsurteil ist also schlicht wirksam. Die Ehe von Marcello und Dörte war damit aus deutscher Vorfragensicht am 17.8.1968 aufgelöst.
[Hinweise: Da ordre-public-Verstöße nicht nach einer späteren Rechtslage bewertet werden können, spielt die spätere Anerkennungsfähigkeit des Scheidungsurteils in Italien (MAT k) keine Rolle. Der BGH erwägt noch – und lehnt dies zu Recht ab –, ob es angesichts der sich in Italien abzeichnenden Rechtsänderung den Verlobten zumutbar gewesen wäre, abzuwarten, statt den „Tondern-Trick“[9] anzuwenden.]
Ergebnis:
150
Nach beiden Ansichten ist die Ehe von Frieda und Marcello (aus Sicht deutscher Gerichte) nicht vom Mangel der Doppelehe behaftet, der Eheaufhebungsantrag also unbegründet.
III. Ehescheidungsantrag
1. Anwendbares Recht – Rom III-VO
a) Zeitlicher Anwendungsbereich
151
Am 30.12.2010 ist die das Ehescheidungsstatut regelnde Rom III-VO (Nr 1259/2010) in Kraft getreten; sie gilt jedoch erst ab dem 21.6.2012 (Art. 21 Rom III-VO) und ist gemäß Art. 18 Abs. 1 Rom III-VO auf gerichtliche Verfahren anwendbar, die ab dem 21.6.2012 eingeleitet wurden. Ob für die Verfahrenseinleitung Art. 16 Brüssel IIa-VO entsprechend gilt, kann hier dahinstehen, da der hilfsweise gestellte Scheidungsantrag nach dem Stichtag gestellt und zugestellt wurde.
b) Sachlicher, räumlicher Anwendungsbereich
152
Der sachliche Anwendungsbereich gemäß Art. 1 Abs. 1 Rom III-VO ist für die Ehescheidung eröffnet. Eine Begrenzung des räumlichen Anwendungsbereichs besteht nicht: Die Anknüpfungen der Rom III-VO sind lois uniformes; sie gelten auch, wenn sie ein Recht berufen, welches nicht das Recht eines an der Verstärkten Zusammenarbeit, in welcher die Rom III-VO erlassen wurde, teilnehmenden Mitgliedstaats ist.
c) Rechtswahl
153
Eine vorrangige Rechtswahl in den Grenzen des Art. 5 Rom III-VO haben die Ehegatten nicht getroffen. Anzuknüpfen ist somit objektiv nach der Anknüpfungsleiter des Art. 8 Rom III-VO. Soweit diese Bestimmungen auf den Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts abstellen, ist diese entsprechend Art. 16 Brüssel Ia-VO zu beurteilen, so dass grundsätzlich auch bei Anhängigkeit in Deutschland die Einreichung bei Gericht maßgeblich ist, wenn keine Versäumnisse des Antragstellers hinsichtlich der nachfolgenden Zustellung vorliegen.
d) Gewöhnlicher Aufenthalt im selben Staat
154
In Anwendung von Art. 8 Rom III-VO liegen die Voraussetzungen der lit. a nicht vor, weil im Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht im selben Staat haben. Lit. b liegt ebenfalls nicht vor; zwar hatten die Ehegatten zuvor beide gewöhnlichen Aufenthalt in Italien und Marcello hat diesen beibehalten. Doch hat Frieda den gewöhnlichen Aufenthalt bereits am 1.2.2015 und damit mehr als ein Jahr vor Anrufung des Gerichts am 29.3.2016, aufgegeben.
e) Gemeinsame Staatsangehörigkeit
155
Fraglich ist, ob eine gemeinsame Staatsangehörigkeit iSd. Art. 8 lit. c Rom III-VO vorliegt. Zwar sind beide Ehegatten italienische Staatsangehörige, nachdem Frieda 2008 die italienische Staatsangehörigkeit auf Antrag erworben hat. Jedoch hat Frieda hierdurch die deutsche Staatsangehörigkeit nicht gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 StAG verloren, weil dieser Verlusttatbestand nicht eintritt, wenn ein Deutscher die Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaats erwirbt (§ 25 Abs. 1 S. 2 StAG in der seit 28.8.2007, also bereits beim Antragserwerb, geltenden Fassung). Fraglich könnte sein, ob die deutsche Staatsangehörigkeit der Frieda nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB vorgeht; dies ist im Anwendungsbereich von EG/EU-Verordnungen zu verneinen; jedenfalls bei Doppelstaatern mit zwei mitgliedstaatlichen Staatsangehörigkeiten sind diese auch für Zwecke der kollisionsrechtlichen Anknüpfung als gleichwertig zu betrachten.[10] Damit besitzen die Ehegatten iSd. Art. 8 lit. c Rom III-VO gemeinsam die italienische Staatsangehörigkeit.
f) Sachnormverweisung
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Die Verweisung in italienisches Recht ist Sachnormverweisung auf das materielle Scheidungsrecht (Art. 11 Abs. 1 Rom III-VO).
2. Italienisches Ehescheidungsrecht
a) Scheidung bei Aufhebbarkeit nach Scheidungsstatut