Klausurenkurs im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht. Thomas Rauscher
schon, ob nach italienischem Recht die Ehe geschieden werden kann, weil sie (Rn 149) aus italienischer Sicht noch immer als bigamisch und daher aufhebbar anzusehen ist. Aus Art. 117 Abs. 1 cc (MAT g) ergibt sich aber, dass die Ehe deshalb nicht nichtig, sondern vorbehaltlich eines Aufhebungsurteils wirksam ist. Eine Aufhebung ist aber nicht erfolgt und dem beim AG Köpenick anhängigen Aufhebungsantrag kann (soeben Rn 150) nicht stattgegeben werden.
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Anders als im Fall der (oft auf Formmängel beruhenden) hinkenden Nichtehe lässt sich auch nicht sagen, dass es widersprüchlich wäre, die Scheidung einem Recht zu unterstellen, welches die Ehe für mangelhaft hält. Das italienische Recht betrachtet die Ehe ja gleichwohl als wirksam; eine aufhebbare Ehe kann aber, solange sie nicht aufgehoben ist, durchaus geschieden werden. Würde einer der Ehegatten (in Italien) einen Antrag nach Art. 117 Abs. 1 cc (MAT h) stellen, müsste sich das Gericht sogar mit dem in jeder zivilisierten Rechtsordnung beachtlichen Einwand des Rechtsmissbrauchs (Berufung auf einen bei Eheschließung beiden Ehegatten bekannten Mangel nach über 30 Jahren) auseinandersetzen.
b) Zerrüttungsscheidung nur bei gerichtlicher Trennung
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Einzig in Betracht kommender Ehescheidungsgrund ist Art. 3 Abs. 2 lit. b des italienischen Scheidungsgesetzes (MAT i). Dieser Scheidungsgrund setzt nach dem klaren Wortlaut eine gerichtliche oder gerichtlich bestätigte Ehetrennung und nachfolgend 1-jähriges bzw 6-monatiges Getrenntleben voraus. Das ist nicht gegeben, da ein Ausspruch oder eine gerichtliche Bestätigung einer Trennung nicht stattgefunden hat. Faktische Trennung genügte nur übergangsweise bei Inkrafttreten des Scheidungsgesetzes. Danach wäre der Scheidungsantrag als unbegründet abzuweisen.
3. Deutsche lex fori als „regelwidriges“ Scheidungsstatut
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Die Ehe könnte jedoch nach deutschem Recht gemäß Art. 10 Rom III-VO zu scheiden sein. Dies setzt voraus, dass das nach Art. 5 oder Art. 8 anzuwendende Scheidungsstatut eine Ehescheidung nicht vorsieht. Ähnlich wie zu Art. 17 Abs. 1 S. 1 aF EGBGB[11] mag man darüber streiten, ob unter Art. 10 Rom III-VO auch eine nachhaltige Verzögerung der Ehescheidung nach dem eigentlichen Scheidungsstatut hierunter fällt. Jedoch besteht nach der Verkürzung der Trennungsfrist für streitige Scheidungen im italienischen Recht auf 12 Monate der Unterschied zum deutschen Recht nur noch in dem Erfordernis der formellen Feststellung des Getrenntlebens, was die unter § 1566 Abs. 1 BGB beliebte Umgehung des Trennungsjahres vermeidet und im Grunde der eheerhaltenden Tendenz einer „Besinnungsfrist“ besser entspricht als das nur faktische Getrenntleben des § 1567 BGB. Es ist also, selbst wenn man Art. 10 Rom III-VO erweiternd auslegen wollte, nicht von einer unzumutbaren Erschwernis der Scheidung auszugehen. Der zweite Fall des Art. 10 Rom III-VO, eine geschlechtsspezifische Diskriminierung in den Scheidungstatbeständen, ist offensichtlich nicht gegeben.
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Somit ist der Scheidungsantrag ausschließlich nach italienischem Recht zu beurteilen und damit unbegründet. In Betracht kommt eine Antragsänderung (§ 263 ZPO) zu einem Antrag auf gerichtliche Ehetrennung nach italienischem Recht, über den dann ebenso zu entscheiden wäre wie nachfolgend Rn 180 ff. Eine divorzio breve, also eine
Ergebnis:
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Die Ehe kann derzeit nach dem maßgeblichen italienischen Scheidungsstatut im gerichtlichen Verfahren nicht geschieden werden.
Frage 2: (Abwandlung 1): Gewöhnlicher Aufenthalt beider Ehegatten in Locarno
1. Brüssel IIa-VO: Vorrang gegenüber lex fori
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Die Abwandlung in Frage 2 betrifft nur die internationale Zuständigkeit.
a) Fehlende Zuständigkeit nach Art. 3 Brüssel IIa-VO
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Wie im Ausgangsfall beurteilt sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ausschließlich nach der Brüssel IIa-VO, denn der Antragsgegner ist Italiener (Art. 6 lit. b Brüssel IIa-VO). Eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte kann sich damit nur aus Art. 3 Brüssel IIa-VO ergeben.
Art. 3 Brüssel IIa-VO kennt jedoch keine Zuständigkeit, die alleine an die Staatsangehörigkeit des Antragstellers anknüpft. Weder haben die Ehegatten beide eine deutsche Staatsangehörigkeit (Art. 3 Abs. 1 lit. b Brüssel IIa-VO) noch ist die deutsche Staatsangehörigkeit der Frieda durch einen 6-monatigen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland verstärkt (Art. 3 Abs. 1 lit. a Str. 6 Brüssel IIa-VO).
b) Lex fori bei Zuständigkeit in keinem Mitgliedstaat
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Fraglich ist jedoch vorliegend, ob die Ausschließlichkeit nach Art. 6 Brüssel IIa-VO einer Einschränkung bedarf. Die Bestimmung steht vor dem Hintergrund, dass in einem einheitlichen europäischen Zuständigkeitssystem grundsätzlich alle Gerichte in Mitgliedstaaten als gleichwertig anzusehen sind und deshalb jedem Unionsbürger und in der EU sich aufhaltenden Nicht-Unionsbürger die Inanspruchnahme der Gerichte anderer Mitgliedstaaten zumutbar ist, soweit Art. 3 Brüssel IIa-VO keine Zuständigkeit der Gerichte seines Heimatstaates vorsieht. Diese Rechtfertigung könnte freilich entfallen, wenn Art. 3 Brüssel IIa-VO keinem Mitgliedstaat die internationale Zuständigkeit zumisst. In diesem Fall ist in der Tat nach verbreiteter Ansicht Art. 6 Brüssel IIa-VO teleologisch zu beschränken oder der Rechtsgedanke des Art. 7 Brüssel IIa-VO greift auch gegen die Ausschließlichkeit nach Art. 6 Brüssel IIa-VO durch.[12]
c) Vorliegen der Ausnahme
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Die Voraussetzungen für diese Ausnahme von Art. 6 Brüssel IIa-VO liegen vor: Hätten die Ehegatten wie im Ausgangsfall eine gemeinsame italienische Staatsangehörigkeit, so ergäbe sich aus Art. 3 Abs. 1 lit. b Brüssel IIa-VO die internationale Zuständigkeit italienischer Gerichte. Mangels gemeinsamer Staatsangehörigkeit in der Abwandlung 1 führen hingegen alle Zuständigkeitsanknüpfungen des Art. 3 Abs. 1 lit. a Brüssel IIa-VO in einen Staat, in dem beide oder ein Ehegatte gewöhnlichen Aufenthalt haben oder während der Ehe hatten. Alle Varianten weisen damit in die Schweiz, die kein Mitgliedstaat ist und daher auch nicht nach der Brüssel IIa-VO zuständig sein kann.
d) Internationale Zuständigkeit nach § 98 FamFG
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Folgt man der hM im Schrifttum, so ist damit vorliegend Art. 6 Brüssel IIa-VO verdrängt und der Rückgriff auf § 98 Abs. 1 Nr 1 FamFG möglich. Deutsche Gerichte sind zuständig, weil Frieda Deutsche ist.
2. Örtliche Zuständigkeit
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Friedas Anwalt wird also Scheidungsantrag bei einem örtlich zuständigen deutschen Familiengericht stellen. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 122 Nr 6 FamFG, da kein Ehegatte im Inland gewöhnlichen Aufenthalt hat. Zuständig ist das AG – FamG – Schöneberg in Berlin.
3.