Klausurenkurs im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht. Thomas Rauscher
war, schreibt nicht nur Überflüssiges in zu knapper Zeit, sondern langweilt auch den Leser.
4. Interpersonale, interlokale und intertemporale Fragen
a) Fragestellungen
13
Interpersonale und interlokale Fragestellungen ergeben sich, wenn in der vom deutschen IPR verwiesenen Rechtsordnung eine Rechtsspaltung im IPR und/oder im materiellen Recht besteht. Abhängig von den im jeweiligen Studium erwarteten rechtsvergleichenden Kenntnissen wird darauf durch die Mitteilung von Normen des betreffenden Staates hingewiesen oder die Kenntnis einiger Grundbegriffe vorausgesetzt.
Intertemporale Fragen können sich auf jeder Stufe der Prüfung ergeben; mit Ausnahme deutscher Normen, bei denen die Kenntnis der Standorte intertemporaler Regelungen erwartet wird (Art. 219 ff EGBGB, Schlussbestimmungen in Artikelgesetzen), werden dazu intertemporale Regeln der von eine Rechtsänderung betroffenen Rechtsordnung mitgeteilt. Zunehmende Bedeutung haben intertemporale Fragen im Kontext von EU-Rechtsinstrumenten, die regelmäßig ihren zeitlichen Anwendungsbereich in Schlussbestimmungen detailliert regeln.
b) Aufbauhinweise
14
Die Behandlung der Rechtsspaltung bei gespaltenem IPR erfolgt auf der Stufe der Rückverweisungsprüfung; also anlässlich der Suche nach dem anwendbaren fremden IPR. Ist das IPR einheitlich geregelt, das materielle Recht aber gespalten, so ist die Rechtsspaltung erst zu prüfen, wenn das ausländische Recht die Verweisung angenommen hat.
Intertemporale Kollisionen werden immer erst dort geprüft, wo es für die Falllösung darauf ankommt, ob die alte oder die neue Regelung Anwendung findet. Gelangt man erst im materiellen ausländischen Recht zu einer intertemporalen Frage, kann es dennoch der Übersichtlichkeit dienen, die intertemporale Frage vor der materiellen Lösung des Falles zu behandeln, wenn ein ganzes Rechtsgebiet (zB eine Reform des Kaufrechts, des Eherechts, des Erbrechts) betroffen ist.
5. Materielles ausländisches Recht
a) Anwendung und Auslegung
15
Materielles ausländisches Recht wird wohl in jeder universitären Schwerpunktprüfung mitgeteilt; bei Masterstudiengängen kommt es darauf an, ob ggf materiellrechtliche Kenntnisse einer bestimmten ausländischen Rechtsordnung zum Curriculum gehören. Selbst wenn man für seine bevorstehende Prüfung danach von der Mitteilung ausländischer Normen ausgehen darf, lohnt sich das rechtsvergleichende Studium. Durchaus erwartet werden kann nämlich ein vernünftiges Verständnis einer mitgeteilten ausländischen Regelung, das nicht selten systematische und dogmatische Grundkenntnisse voraussetzt. Wer eine legítima als Pflichtteil behandelt, im französischen Sachenrecht das Abstraktionsprinzip sucht, das domicile für den ins Englische übersetzten Wohnsitz hält und die mailbox theory noch nie gegen die Zugangstheorie abgegrenzt hat, hat es sicher schwerer, grundlegende auslandsrechtliche Zusammenhänge zu erfassen. Die oft gestellte Frage, „wie viel und welche Rechtsvergleichung zu lernen“ sei, lässt sich schwer beantworten.
Sich hier ein Fundament von Kenntnissen zu schaffen, ist in systematischer Weise mit dem wegweisenden und leider nicht neu verlegten Werk von Zweigert/Kötz[1] möglich, gewiss auch mit Leitfäden oder dicken Lehrbüchern zur Rechtsvergleichung jüngeren Datums. Die Faszination ausländischen Rechts, dessen Studium in historischem und sozialem Kontext auch Verständnis der fremden Kultur fördert, entsteht freilich nur, wenn man es nicht bei der Methodenlehre der Rechtsvergleichung belässt, der sich manche Werke nach dem eher praktisch orientierten Geschmack des Verfassers etwas zu breit widmen: Die in den letzten zwei Jahrzehnten zahlreich publizierten kleinen Lehrbücher zur Einführung in dieses und jenes Recht sind zwar nicht immer im methodischen Sinn Rechtsvergleichung, also Spiegelung des eigenen Rechtsverständnisses am fremden Recht; aber sie bieten beste Einstiege in die unbegrenzte spannende Welt der Verschiedenheit von Recht, Gesellschaft und Kultur. Vieles, was sich beim Nachschlagen der dort gefundenen Rechtsbegriffe (Sprachkenntnisse vorausgesetzt) bei Wikipedia findet – auch wenn diese Quelle nicht wissenschaftlich zitationsfähig ist – ist jedenfalls in den größeren Rechtsordnungen (USA, UK, Frankreich, Italien, Spanien) von durchaus ordentlicher Qualität. Überhaupt hat das Internet die rechtsvergleichenden Erkenntnisquellen revolutioniert und Studenten sollten sich in der Kunst der Quellen- und Entscheidungssuche üben. Nicht zuletzt die aus der gerichtlichen Praxis im Familien- bzw Erbrecht nicht wegzudenkenden Nachschlagewerke Bergmann/Ferid und Ferid/Firsching sollten jedenfalls bei der Falllösung im Seminar vertraut sein.
Schließlich sollten entsprechende Vorlesungen besucht werden, zumal wenn sie von muttersprachlichen Juristen aus der behandelten Rechtsordnung angeboten werden, auch wenn kein unmittelbarer Zwang dazu besteht. Es macht aber bei aller Breite dieses Studiums einen ganz besonderen Reiz der hier behandelten Fächer aus, dass man, ob im Studium oder später als Praktiker, immer wieder vor neuen Phänomenen steht.
b) Der deutsche ordre public
16
Art. 6 EGBGB ist eine Bestimmung, die in Praxis und Prüfung § 242 und § 138 BGB ähnelt. In der Praxis eine wichtige Generalklausel, mit der unerträgliche Ergebnisse, hier solche, die uns eine ausländische Rechtsordnung beschert, abgewehrt werden. In der Prüfung sind beide Normen nicht selten Anreiz, im Kandidaten die Sehnsucht nach individueller Gerechtigkeit zu wecken. Prüfungskandidaten sollten sich hier bremsen. Art. 6 EGBGB kann natürlich in einem Prüfungsfall vorkommen; dann liegt aber das Augenmerk darauf, ob sorgsam Inlandsbezug, Fallbezug und Verstoß gegen elementare Grundsätze deutschen Rechts geprüft werden. Wortreich lebenserfahrene Ausführungen zur Unerträglichkeit ausländischen Rechts sind nicht erwartet, kosten Zeit und schaden nicht selten der Arbeit in den Augen des Prüfers, zumal wenn es sich um wohlfeile Phrasen eines politisch korrekten Grundkonsenses handelt. So schwer es manchem Prüfling fällt: Art. 6 EGBGB ist nicht dazu da, andere Rechtsordnungen zu belehren, wie gerecht das deutsche Rechtssystem ist.
6. Völkervertragliche und europarechtliche Instrumente
a) Sachlicher Anwendungsbereich
17
Völkervertragliche und europarechtliche Instrumente des IPR und IZPR haben einen definierten sachlichen Anwendungsbereich, den man behandeln muss, sobald man positiv zu dem jeweiligen Instrument greift. Das Haager KSÜ gilt im Zuständigkeitsbereich für Schutzmaßnahmen über Kinder, also sind zunächst beide Begriffe zu behandeln; die Brüssel IIa-VO erfasst Ehescheidungen, -trennungen etc, also wird man schon an dieser Stelle die Frage behandeln, ob die Scheidung der Ehe zweier niederländischer Frauen unter die Verordnung fällt. Greift das Instrument für die zu lösende Frage nicht ein, so kann man sich alle weiteren Überlegungen, auch hilfsweiser Natur, ersparen. Kein Prüfer möchte Ausführungen zu den Vertragsstaaten eines Abkommens lesen, das schon in der Sache nicht anwendbar ist.
b) Zeitlicher Anwendungsbereich
18
Nicht ebenso eindeutig lässt sich der Standort der Behandlung des zeitlichen Anwendungsbereichs festlegen, da die zeitliche Geltung mit der Vertrags- oder Mitgliedstaatseigenschaft eines Staates zu tun haben kann. Ist ein Übereinkommen loi uniforme, gilt also unabhängig von Gegenseitigkeit, dann kommt es nur auf die intertemporale Geltung in Deutschland an. Andererseits kann die Anwendbarkeit von räumlich-persönlichen Voraussetzungen abhängen, die sich mit der intertemporalen Frage mischen: Wenn Art. 5 Abs. 1 Brüssel Ia-VO die Anwendung vom Wohnsitz des Beklagten in einem Mitgliedstaat abhängig macht, dann lässt sich bei Wohnsitz in einem Beitrittsstaat die zeitliche Anwendbarkeit erst beantworten, sobald man die Kriterien der räumlich-persönlichen Anwendbarkeit behandelt hat.
Geltung eines Rechtsinstruments, im Sinn der Anwendbarkeit im Fall, kann hierbei deutlich später eintreten als das Inkrafttreten. Vor allem EU-Instrumente