BGB-Erbrecht. Lutz Michalski
einsetzte. Am 1.3.2018 schrieb sie auf eine Abschrift dieses Testaments „Das mache ich hiermit rückgängig. Bayreuth, 1.3.2018“ und unterschrieb anschließend. In der Folgezeit ging es E gesundheitlich immer schlechter. Am 29.12.2018 wurde sie ins Krankenhaus eingeliefert. Am 30.12.2018 bat sie ihre Tochter T, ihrer Haushälterin H zu sagen, diese möge „das andere Testament“ vernichten. Als T nachfragte, welches „andere Testament“ die E denn meinte, erwidert E „das wo ich draufgeschrieben habe“. T erzählte dies dann zwar noch am selben Abend der H. Diese war sich jedoch nicht wirklich sicher, was sie nun tun sollte, durchsuchte erst einmal das ganze Haus nach dem „anderen Testament“, fand aber nichts. Am 31.12.2018 verstarb E. Am 1.1.2019 fand H beim nochmaligen Suchen auf dem Dachboden doch noch die Testamentsabschrift mit dem Vermerk der E vom 1.3.2018 und verbrannte diese. Ist S Alleinerbe geworben? Lösung: → Rn. 210
Literatur:
Hellfeier, Die Neuerrichtung eines durch schlüssige Handlung nach § 2255 S. 1 BGB widerrufenen Testaments, ZEV 2003, 1; Helms, Der Widerruf und die Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen bei Geschäfts- und Testierunfähigkeit, DNotZ 2003, 104; Hohmann, Zum Widerruf durch Einwirkung auf die Testamentsurkunde, ZEV 1996, 271; Klunzinger, Die Maßgeblichkeit des Erblasserwillens beim Widerruf des Widerrufs, DNotZ 1974, 278; von Lübtow, Zur Lehre vom Widerruf des Testaments, NJW 1968, 1849; Merle, Zur Rückgabe eines öffentlichen Testaments aus der amtlichen Verwahrung, AcP 171 (1971) 486; Stodolkowitz, Fortgeschrittenenklausur – Zivilrecht: Erbrecht – Auslegung, Widerruf und Anfechtung von Testamenten, JuS 2009, 826.
Teil III Die gewillkürte Erbfolge › § 8 Widerruf eines Testaments › I. Allgemeines
I. Allgemeines
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Gem. § 2253 kann der Erblasser ein Testament sowie einzelne in einem Testament enthaltene Verfügungen jederzeit widerrufen. Er ist also an ein Testament – anders als an vertragsmäßige Verfügungen in einem einen Erbvertrag (→ Rn. 275 ff.) und teilweise auch an wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament (→ Rn. 247 ff.) – zu Lebzeiten nicht gebunden. Dies ist letztlich ein weiterer Aspekt der Testierfreiheit.[1]
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Schützenswerte Interessen der bisher im Testament Bedachten stehen dem Widerruf nicht entgegen. Das Testament wird erst im Zeitpunkt des Todes wirksam. Bis zu diesem Zeitpunkt erwirbt der jeweils Bedachte keine Rechte, insb. auch kein Anwartschaftsrecht.[2] Dies gilt auch dann, wenn der Erblasser seine Verfügung dem Bedachten mitgeteilt hat. Denn der Erblasser könnte selbst durch einen Vertrag nicht auf das Widerrufsrecht verzichten (§ 2302). Allenfalls in extrem gelagerten Ausnahmefällen kann eine Haftung aus § 826 in Betracht kommen.[3]
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Da auch der Widerruf eine letztwillige Verfügung ist, kann nur ein Testierfähiger sein Testament widerrufen.[4] Eine besondere Widerrufsfähigkeit gibt es hingegen nicht mehr. § 2353 Abs. 2 a.F., der Erleichterungen für den Widerruf durch Entmündigte vorsah, ist mit der Abschaffung des Rechtsinstituts der Entmündigung gegenstandslos geworden. Ein Betreuter (§§ 1896 ff.) kann sein Testament jederzeit widerrufen, sofern er nicht testierunfähig (§ 2229 Abs. 4) ist.[5]
Teil III Die gewillkürte Erbfolge › § 8 Widerruf eines Testaments › II. Widerrufsarten
II. Widerrufsarten
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Ein Testament kann nur auf vier Arten widerrufen werden (numerus clausus)[6]: durch ein Widerrufstestament (§ 2254, → Rn. 190), durch eine spätere, mit dem früheren Testament in Widerspruch stehende Verfügung (§ 2258, → Rn. 191 ff.), durch Vernichtung oder Veränderungen der Testamentsurkunde (§ 2255, → Rn. 194) und beim öffentlichen Testament durch Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung (§ 2256, → Rn. 202 f.). Die bloße Billigung des Verlusts der Testamentsurkunde[7] oder die bloße Äußerung des Erblassers, dass er davon ausgehe, dass das Testament unwirksam geworden sei[8], bewirken hingegen keinen wirksamen Widerruf. Andererseits ist es jedoch aufgrund der Gleichwertigkeit aller Testamentsformen irrelevant, welche Form das zu widerrufende Testament hat (eigenhändiges oder öffentliches, ordentliches oder außerordentliches): Jedes Testament kann grundsätzlich in jeder der vier genannten Formen widerrufen werden.[9] Einzige Ausnahme ist der Widerruf durch Rücknahme aus amtlicher Verwahrung (§ 2256); er ist auf öffentliche Testamente beschränkt (→ Rn. 202).
1. Widerrufstestament, § 2254
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Erstens kann der Widerruf gem. § 2254 durch ein reines Widerrufstestament erfolgen, das sich auf den Widerruf eines Testaments oder darin enthaltener Regelungen beschränkt. Da es sich um ein Testament handelt, muss es allen gesetzlichen Anforderungen der gewählten Testamentsform entsprechen.[10] Der Widerruf braucht nicht ausdrücklich erklärt werden („hiermit widerrufe ich“), sondern es genügt, wenn die Widerrufsabsicht dem Testament im Wege der Auslegung entnommen werden kann[11] (Bsp.: handschriftlicher und unterschriebener Zusatz auf einer maschinengeschriebenen Testamentsabschrift, der erst in Verbindung mit dieser einen vollverständlichen Sinn erhält[12]).
2. Spätere, mit dem früheren Testament im Widerspruch stehende Verfügung, § 2258
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Wenn mehrere Testamente eines Erblassers vorhanden sind, so ist zu prüfen, ob diese in ihrer Gesamtheit den Willen des Erblassers repräsentieren oder ob eine spätere Verfügung mit einer früheren in Widerspruch steht. Wenn und soweit ein solcher Widerspruch besteht, wird die frühere Verfügung gem. § 2258 Abs. 1 durch die spätere aufgehoben. Anders als beim Widerrufstestament gem. § 2254 tritt die Aufhebung gem. § 2258 Abs. 1 kraft Gesetzes ein; es bedarf hierfür weder eines Widerrufswillens noch der Kenntnis des Erblassers von der früheren Verfügung.[13]
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Die Aufhebungswirkung reicht nach dem klaren Wortlaut von § 2258 Abs. 1 nur soweit, wie sich die Verfügungen widersprechen. Ein Widerspruch liegt zum einen vor, wenn mehrere letztwillige Verfügungen sachlich nicht miteinander vereinbar sind, die getroffenen Anordnungen sich also gegenseitig ausschließen.[14] Doch selbst wenn die einzelnen testamentarischen Anordnungen sachlich miteinander in Einklang stehen, liegt ein Widerspruch dann vor, wenn nach dem Willen des Erblassers die spätere Verfügung allein und ausschließlich gelten soll,