Besonderes Verwaltungsrecht. Группа авторов
Der Bürgermeister hat nach allen Gemeindeordnungen das Recht und die Pflicht, Beschlüsse des Gemeinderates zu beanstanden bzw. zu widersprechen, wenn diese nach seiner Auffassung rechtswidrig sind[450]. Die Beanstandung bzw. der Widerspruch des Bürgermeisters hat in der Regel aufschiebende Wirkung und führt dazu, dass sich der Gemeinderat mit der Angelegenheit erneut befassen muss. Ist nach Ansicht des Bürgermeisters auch der neue Beschluss rechtswidrig, muss er ihm erneut entgegen treten und unverzüglich die Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde herbeiführen[451]. Das Beanstandungs- bzw. Widerspruchsrecht hat den Zweck, durch eine innergemeindliche Rechtskontrolle spätere kommunalaufsichtliche Maßnahmen zu vermeiden[452]. Darüber hinaus sehen einige Gemeindeordnungen ein Recht (keine Pflicht) des Bürgermeisters vor, Beschlüssen zu widersprechen, wenn diese nach seiner Ansicht das Wohl der Gemeinde gefährden[453]. Dieser Widerspruch führt zwar zu einer erneuten Befassung der Angelegenheit durch den Gemeinderat, jedoch nicht zu einer Einschaltung der Kommunalaufsichtsbehörde. Das ist darauf zurückzuführen, dass es um zweckwidrige und für die Gemeinde nachteilige Entscheidungen, nicht jedoch um eine rechtswidrige Willensentschließung geht. Hat der Gemeinderat nach Widerspruch des Bürgermeisters einen erneuten Beschluss gefasst, ist ein weiterer Widerspruch des Bürgermeisters daher unzulässig[454].
cc) Entscheidungszuständigkeiten
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Der Bürgermeister hat in nicht aufschiebbaren Angelegenheiten ein Eilentscheidungsrecht. Das bedeutet, dass er im Zuständigkeitsbereich des Gemeinderates an dessen Stelle entscheidet, sofern die Angelegenheit nicht bis zur nächsten Gemeinderatssitzung aufgeschoben werden kann[455]. In der näheren Ausgestaltung des Eilentscheidungsrechts weichen die Gemeindeordnungen voneinander ab: Der Gemeinderat ist aber im Allgemeinen über die getroffenen Eilentscheidungen zu unterrichten[456]; er kann diese aber nicht überall wieder aufheben[457].
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Der Bürgermeister ist ferner für die Geschäfte der laufenden Verwaltung zuständig[458], wobei es auf die konkrete Ausgestaltung des maßgeblichen Kommunalgesetzes ankommt, ob ihm diese Kompetenz unentziehbar vorbehalten ist oder ein Zugriffsrecht des Gemeinderats besteht[459]. Nach der Rechtsprechung, der das Schrifttum weitgehend folgt, sind Geschäfte der laufenden Verwaltung solche, „die in mehr oder weniger regelmäßiger Wiederkehr vorkommen und zugleich nach Größe, Umfang, Verwaltungstätigkeit und Finanzkraft der beteiligten Gemeinde von sachlich weniger erheblicher Bedeutung sind“[460]. Einen fixen Geschäftskreis gibt es damit nicht; Parameter der Häufigkeit und Bedeutsamkeit sind vor allem Gemeindegröße, Üblichkeit und Leistungsfähigkeit[461].
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Schließlich bestehen Entscheidungszuständigkeiten des Bürgermeisters bei denjenigen Angelegenheiten, die der Gemeinderat auf den Bürgermeister übertragen hat, weil sie nicht zum eigenen unaufhebbaren Vorbehaltsbereich gehören[462]. Allerdings besteht hier ohne weiteres ein Rückholrecht der Gemeindevertretung. Etwas anderes gilt für die gesetzlich übertragenen Aufgaben, vor allem die Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung und die Auftragsangelegenheiten, bei denen der Gesetzgeber nicht nur die Gemeinde, sondern zugleich gemeindeintern ein bestimmtes Organ in die Pflicht genommen hat[463]. Hierdurch ist höherrangig ein unentziehbarer Kompetenztitel des Bürgermeisters geschaffen worden, in welchem der Gemeinderat keine Mitwirkungsrechte hat, wenn das Gesetz nicht ausdrücklich solche Kompetenzen einräumt[464].
dd) Verwaltungsleitung
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Der Bürgermeister ist der Hauptverwaltungsbeamte, d.h. er leitet die Verwaltung der Gemeinde in eigener Zuständigkeit[465]. Er ist für die sachgemäße Erledigung der Aufgaben und den ordnungsmäßigen Gang der Verwaltung verantwortlich und regelt die innere Organisation der Gemeindeverwaltung[466]. Eine Untergliederung der Verwaltung in Ämter, Dezernate, Fachbereiche o.ä. begründet nicht deren organschaftliche Selbstständigkeit. Teilweise bestehen in den Ländern Mitentscheidungszuständigkeiten der Gemeindevertretung.[467]
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Der Bürgermeister ist ferner Fachvorgesetzter, Dienstvorgesetzter bzw. oberste Dienstbehörde der Gemeindebediensteten[468]. Beigeordnete (auch „weitere Bürgermeister“ oder „Stadträte“ genannt)[469] können in größeren Gemeinden und Städten bestellt werden, um den Bürgermeister bei der Verwaltungsleitung zu unterstützen und zu entlasten. Die Beigeordneten vertreten den Bürgermeister in ihrem Geschäftsbereich[470]. Aus ihrem Kreis kommt grundsätzlich auch der ständige allgemeine Stellvertreter des Bürgermeisters[471]. Je nach landesgesetzlicher Ausgestaltung erhalten Beigeordnete dann, wenn sie mit organschaftlichen Rechten ausgestattet werden, Status eines wehrfähigen Gemeindeorganteils[472].
ee) Externe Vertretung
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Der Bürgermeister ist gesetzlicher Vertreter der Gemeinde[473]. Die Vertretung hat organschaftlichen Charakter. Dem Bürgermeister kommt die Aufgabe zu, für die Gemeinde außenwirksame Handlungen vorzunehmen und rechtsgeschäftliche Erklärungen abzugeben, wobei Grundlage eines entsprechenden Tätigwerdens unter Umständen ein gemeindeinterner Beschluss in der betreffenden Angelegenheit ist bzw. sein muss[474]. Die Vertretungsbefugnis kann indes nur durch Gesetz und nicht durch einen Beschluss des Gemeinderats beschränkt werden. Gibt der Bürgermeister im Rahmen der externen Vertretungsbefugnis Erklärungen ab, sind diese auch dann wirksam, wenn die interne Willensbildung missachtet, d.h. vor allem entgegen der Beschlusslage des Gemeinderates gehandelt wird[475]. Es muss also strikt zwischen der internen Willensbildungszuständigkeit, die zwischen den Gemeindeorganen aufgeteilt ist (Rn. 138 ff.), und der externen Vertretungsbefugnis, die einheitlich beim Bürgermeister liegt, unterschieden werden[476].
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Die Gemeindeordnungen sehen aber als Schutz der Gemeinde und des Gemeinderates vor eigenmächtigen Handlungen des Bürgermeisters die Schriftform für Erklärungen vor, durch welche die Gemeinde verpflichtet werden soll[477]. Zudem muss der Bürgermeister derartige Erklärungen eigenhändig unterzeichnen[478]. Verpflichtungserklärungen sind privat- und verwaltungsrechtliche Willenserklärungen, durch die eine rechtliche Verpflichtung der Gemeinde zu einer Leistung oder zu einem Handeln begründet wird[479]. Dabei genügt es nicht, dass die Verpflichtung nur eine nichtbezweckte Nebenfolge der Erklärung ist, sondern diese muss gerade eine Verpflichtung zum Ziel haben. Die Gemeindeordnungen schweigen zu den rechtlichen Folgen eines Verstoßes gegen das Schriftformerfordernis[480]. Die rechtlichen Konsequenzen richten sich deshalb nach der in Rede stehenden Handlungsform[481]: Während ein Verwaltungsakt regelmäßig nur rechtswidrig ist, ist eine Zusicherung bei fehlender Schriftform gemäß § 38 Abs. 1 S. 1 VwVfG nichtig; die Wirksamkeit eines öffentlich-rechtlichen Vertrages scheitert an § 59 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 125 BGB. Schwieriger gestalten sich die Fehlerfolgen bei privatrechtlichen Verpflichtungsverträgen. Bei diesen kann zur Begründung der Nichtigkeit nicht auf § 125 BGB zurückgegriffen werden, weil die Bundesländer infolge von Art. 55 EGBGB keine Gesetzgebungskompetenz zur Normierung privatrechtlicher Formvorschriften haben[482]. Das Schriftformerfordernis gemeindlicher Verpflichtungserklärungen wird daher nicht als Formerfordernis im Sinne von § 125 BGB, sondern als Beschränkung der Vertretungsmacht des Bürgermeisters verstanden[483]. Da eine Genehmigung der Formfehler nicht in Betracht kommt, kann ein wirksamer Vertrag nur durch Neuabschluss zustande kommen[484]. Der Bürgermeister haftet nach überwiegender Ansicht trotz des vertretungsrechtlichen Verständnisses bei einem Verstoß gegen die gemeindlichen Vorschriften nicht als falsus procurator nach § 179 BGB[485]. Der Bundesgerichtshof begründet dies damit, dass die in § 179 BGB normierte Vertrauenshaftung sich im Kern auf das Vertrauen bezieht, dass der Vertreter für den Vertretenen bindend handeln kann, nicht aber darauf, dass der Vertreter die in den Gemeindeordnungen angeordneten Förmlichkeiten zutreffend beachtet[486]. In Betracht kommt in solchen Fällen aber eine Haftung des Bürgermeisters aus § 839 BGB[487].
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Vorbehaltlich