Umsatzsteuerrecht. Christian Möller
Differenzierung bei Schadensersatz, Beistellungen und Zuschüssen).
224
Der BFH ging früher davon aus, dass ein Leistungsaustausch nicht gegeben sei („echter Mitgliedsbeitrag“), soweit der Verein in Verwirklichung des Satzungszwecks unter Einsatz des Beitragsaufkommens tätig werde.[38] Entsprechende Aussagen finden sich noch heute im UStAE. Dort wird maßgeblich darauf abgestellt, ob die Beiträge für alle Mitglieder gleich hoch sind. Für diesen Fall werden nicht steuerbare echte Mitgliedsbeiträge bejaht. Wenn der Verein dagegen Leistungen erbringt, die den Sonderbelangen der einzelnen Mitglieder dienen, und er dafür Beiträge erhebt, die der tatsächlichen oder vermuteten Inanspruchnahme der Leistungen des Vereins durch das jeweilige Mitglied dienen, soll ein steuerbarer Leistungsaustausch vorliegen.[39]
225
Der BFH hält an seiner früheren Rechtsprechung seit der Entscheidung des EuGH in der Rs. Kennemer Golf & Country Club[40] nicht mehr fest.[41] Der EuGH hatte entschieden, dass die Mitgliedsbeiträge der Mitglieder eines Golfclubs Entgelt für steuerbare Leistungen des Clubs an die Mitglieder seien („unechte Mitgliedsbeiträge“). Diese Leistungen bestünden darin, dass der Club seinen Mitgliedern dauerhaft seine Sportanlagen und damit verbundene Vorteile zur Verfügung stelle. Der Steuerbarkeit stehe daher nicht entgegen, dass nicht alle Mitglieder die Einrichtungen des Vereins tatsächlich nutzten.
226
Steuerbare Leistungen einer Vereinigung an ihre Mitglieder sind danach immer dann zu bejahen, wenn die Vereinigung ihren Mitgliedern einen individuellen Vorteil zuwendet. Diese Voraussetzung ist insbesondere zu bejahen bei der Mitgliedschaft in Sportvereinen, die den Mitgliedern die Nutzung von Einrichtungen des Vereins, die Teilnahme an Kursen o. ä. ermöglicht.[42] Dass alle Mitglieder dieselben Vorteile genießen und einen einheitlichen Beitrag zahlen, steht der Steuerbarkeit nicht entgegen. Auch Berufsgemeinschaften können ihren Mitgliedern individuelle Vorteile zuwenden, etwa, indem sie für diese Werbung betreiben (Werbegemeinschaft). Für die Annahme echter (nicht steuerbarer) Mitgliedsbeiträge ist danach nur noch Raum, soweit sich eine Vereinigung allgemein für die Belange ihrer Mitglieder einsetzt, etwa, indem sie deren Interessen im gesellschaftlichen oder politischen Diskurs vertritt.[43] Soweit eine Vereinigung sowohl ihren Mitgliedern individuelle Vorteile verschafft als auch im genannten Sinne „überindividuell“ aktiv ist, ist ein gezahlter einheitlicher Mitgliedsbeitrag aufzuteilen.
§ 4 Leistung gegen Entgelt (Leistungsaustausch) › C. Einzelfälle zum Leistungsaustausch › VIII. Entlassung aus einem Vertrag
VIII. Entlassung aus einem Vertrag
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Wenn ein Unternehmer einen Vertragspartner „aus einem Vertrag entlässt“, also einer Aufhebung des Vertrages noch vor (vollständiger) Erfüllung zustimmt, stellt sich die Frage, ob eine dafür vom Vertragspartner an den Unternehmer geleistete Entschädigung das Entgelt für eine steuerbare Leistung des Unternehmers ist. Der BFH bejaht diese Frage, da der Unternehmer mit der Vertragsbeendigung über eine erworbene Rechtsposition (die Rechtsstellung aus dem Vertrag) verfüge.[44] Dem Konzept der Umsatzsteuer als einer Verbrauchsteuer entspricht es dagegen, danach zu fragen, ob der Vertragspartner als Gegenleistung für seine Zahlung einen verbrauchbaren Nutzen enthält. Nur wenn dies der Fall ist, ist ein Leistungsaustausch zu bejahen.[45]
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Beispiel 1:
Eine Rechtsanwältin vereinbart mit einer Mandantin laufende rechtliche Beratung gegen einen monatlichen Pauschalbetrag von € 1000. Der Vertrag hat eine Mindestlaufzeit von zwei Jahren. Schon nach einem Jahr einigen sich die Parteien auf Wunsch der Mandantin auf eine Aufhebung des Vertrages. Die Mandantin muss der Anwältin dafür eine „Entschädigung“ von € 6000 zahlen.
Lösung: Die Mandantin erhält von der Anwältin für die Zahlung der € 6000 keinen verbrauchbaren Nutzen, sondern – gar nichts. Ein Leistungsaustausch ist – entgegen dem BFH – zu verneinen.
Beispiel 2:
Ein Vermieter hat an einen Mieter eine Einzelhandelsfläche in bester Lage vermietet. Der Vertrag hat eine Laufzeit von zehn Jahren. Schon nach zwei Jahren erreicht den Vermieter die Anfrage eines Konkurrenten des Mieters, der die Fläche ebenfalls mieten möchte und bereit ist, die doppelte Miete zu zahlen. Der bisherige Mieter lässt sich gegen die Zahlung von € 500 000 auf die Aufhebung des Mietvertrages ein.
Lösung: Hier wendet der Mieter dem Vermieter durch die Aufhebung des Vertrages einen verbrauchbaren Nutzen zu, nämlich den (unmittelbaren) Besitz an der Mietfläche und die Möglichkeit, diese anderweitig zu vermieten. Ein Leistungsaustausch ist daher zu bejahen. Die Rückgabe der Mietsache ist aber – als „Umkehrung“ der steuerfreien Vermietung – (ebenfalls) steuerfrei (analog § 4 Nr 12 S. 1 lit. a)).[46]
§ 4 Leistung gegen Entgelt (Leistungsaustausch) › D. Mehrheit von Leistungen/einheitliche Leistung
D. Mehrheit von Leistungen/einheitliche Leistung
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Im Rahmen eines umfassenden Vertragsverhältnisses werden häufig mehrere Teilleistungen erbracht. Für die Umsatzsteuer stellt sich dann die Frage, ob von einer einheitlichen Leistung oder von mehreren getrennt zu beurteilenden selbstständigen Einzelleistungen auszugehen ist. Die Frage hat umsatzsteuerrechtlich insbesondere Bedeutung für die Bestimmung von Ort und Zeitpunkt der Leistung sowie für die Anwendung von Steuerbefreiungen und des Steuersatzes (s. die Beispiele unten).
230
Als Grundsatz ist jede Lieferung und jede sonstige Leistung als selbstständige Leistung zu betrachten.[47] Dass mehrere Einzelleistungen auf einem einheitlichen Vertrag beruhen und für sie ein Gesamtentgelt entrichtet wird, führt also grundsätzlich nicht dazu, dass sie umsatzsteuerrechtlich als Einheit zu behandeln sind.[48] Von diesem Grundsatz sind jedoch Ausnahmen anerkannt.
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Zunächst teilen sog. Nebenleistungen das Schicksal der Hauptleistung.[49] Eine Nebenleistung ist eine Leistung, die im Vergleich zur Hauptleistung nebensächlich ist, diese also wirtschaftlich ergänzt, abrundet und üblicherweise zusammen mit der Hauptleistung ausgeführt wird.[50] Davon ist insbesondere auszugehen, wenn die Leistung für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck darstellt, sondern das Mittel, um die Hauptleistung des Leistenden unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.[51] Beispiele:
• | Beim Verkauf von Gegenständen in Verpackungen („Warenumschließungen“) ist nicht zwischen der Lieferung der Gegenstände und der Lieferung der Verpackung zu unterscheiden. Vielmehr liegt eine einheitliche Lieferung vor; bezieht sich diese (als Beispiel) auf ermäßigt besteuerte Lebensmittel, beträgt der Steuersatz einheitlich 7 %.[52] |
• | Auch der Versand oder die Beförderung einer verkauften Sache an den Käufer ist keine selbstständige sonstige Leistung des Verkäufers, sondern reine Nebenleistung, die umsatzsteuerrechtlich das Schicksal der Hauptleistung (Lieferung) teilt.[53] |
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Die Vermietung einer Wohnung ist steuerfrei, die Vermietung eines Stellplatzes grundsätzlich steuerpflichtig (§ 4 Nr 12 S. 1, 2 UStG). Wird aber eine Wohnung mit Stellplatz vermietet, teilt die Stellplatzmiete als reine Nebenleistung das umsatzsteuerrechtliche Schicksal |