Umsatzsteuerrecht. Christian Möller
Wasser und Strom durch den Vermieter nach Auffassung der Finanzverwaltung regelmäßig steuerfrei. EuGH und BFH sehen dies neuerdings anders, wenn gesonderte Zähler vorhanden sind.[55]
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Soweit nicht Haupt- und Nebenleistungen betroffen sind, kann im Einzelfall dennoch eine einheitliche Leistung vorliegen. Die Rechtsprechung betont, dass ein einheitlicher wirtschaftlicher Vorgang umsatzsteuerrechtlich nicht künstlich aufgespalten werden dürfe.[57] Dadurch soll eine möglichst einfache Anwendung des Umsatzsteuerrechts erreicht werden.[58] Ob ein einheitlicher wirtschaftlicher Vorgang vorliegt, ist aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers zu beurteilen.[59] Beispiele:
• | Eine Kfz-Inspektion mit Ölwechsel ist eine einheitliche sonstige Leistung, in der die Lieferung des Motoröls aufgeht. Ein reiner Ölwechsel ist dagegen eine Lieferung des neuen Öls; das Einfüllen des Öls sowie das Ablassen des Altöls und dessen Entsorgung sind unselbstständige Nebenleistungen.[60] |
• | Der Betreiber eines Sportstudios erbringt an seine Kunden eine einheitliche steuerpflichtige Leistung; wenn Teil des Angebotes (als Beispiel) auch die Nutzung von Squashcourts ist, führt dies nicht dazu, dass anteilig eine steuerfreie Vermietung (§ 4 Nr 12 UStG) anzunehmen ist.[61] |
• | Die Grabpflege ist eine einheitliche sonstige Leistung, in der eine ebenfalls vereinbarte Blumenlieferung durch den Gärtner aufgeht. Es kommt also auf die gesamte Leistung der Regelsteuersatz von 19 % zur Anwendung, der ermäßigte Steuersatz von 7 % für die Lieferung von Blumen (§ 12 Abs. 2 Nr 1 UStG i. V. m. Anl. 2 Nr 8 UStG) dagegen nicht.[62] |
• | Wenn dagegen der Betreiber einer Baumschule die gelieferten Pflanzen teilweise auch einpflanzt, sollen separate Leistungen vorliegen: eine Pflanzenlieferung, die mit 7 % versteuert wird (§ 12 Abs. 2 Nr 1 UStG i. V. m. Anl. 2 Nr 8 UStG) und eine davon zu unterscheidende sonstige Leistung (das Einpflanzen), die dem Regelsteuersatz unterliegt.[63] Auch ein Unternehmer, der einem Landwirt Saatgut liefert und es einsät, erbringt mit der (dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden) Lieferung des Saatgutes und der Einsaat zwei separate Leistungen.[64] |
• | Wenn ein Verleger die Publikation eines Buches nur übernimmt, wenn ihm der Autor eine bestimmte Zahl von Exemplaren des Buches zu einem Preis über dem Ladenpreis abnimmt, erbringt der Verleger an den Autor ebenfalls zwei separate Leistungen: eine Lieferung von Büchern zum ermäßigten Steuersatz (§ 12 Abs. 2 Nr 1 i. V. m. Anl. 2 Nr 49 UStG) und eine dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistung (Publikation). Die von den Autoren an den Verleger gezahlten „Buchpreise“ sind also aufzuteilen.[65] |
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Beispiel:
Die Klägerin eines BFH-Falles[66] veranstaltete sog. „Dinner-Shows“. Für den Eintrittspreis wurde den Gästen ein Varietéprogramm und ein darauf abgestimmtes Vier-Gänge-Menü (mit „Begleitmusik“) geboten. Die Klägerin ging davon aus, dass sie mit der Veranstaltung der „Dinner-Show“ zwei selbstständige Leistungen erbringe: Umsätze, die dem Regelsteuersatz unterliegen (Menü) und solche, die dem ermäßigten Steuersatz unterliegen (Varieté). Zu Recht?
Lösung: Der BFH[67] betont unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH, dass in der Regel jede Lieferung oder Dienstleistung als eigene, selbstständige Leistung zu betrachten sei. Anders sei aber in zwei Fällen zu entscheiden, nämlich wenn eine bloße Nebenleistung vorliege, und wenn ein „untrennbarer wirtschaftlicher Vorgang“ zu beurteilen sei, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Im Fall sei eine bloße Nebenleistung nicht anzunehmen, weil Show und Menü ganz unterschiedlichen und gleichgewichtigen Zwecken dienten. Es liege aber eine einheitliche Leistung vor. Die künstlerischen und kulinarischen Leistungen seien untrennbar miteinander verbunden und bildeten daher eine „komplexe Leistung“. Den Besuchern der Shows gehe es gerade um die Mischung aus Unterhaltung und gutem Essen. Darauf, dass Varieté und Menüs im Wirtschaftsleben auch getrennt angeboten würden, komme es nicht an. Die komplexe Leistung der „Dinner-Show“ unterliege nicht dem ermäßigten Steuersatz, den § 12 Abs. 2 Nr 7 lit. a) UStG u. a. für Eintrittsberechtigungen für Theater vorsehe. Die Theatervorführung sei nämlich nicht Hauptbestandteil der einheitlichen Gesamtleistung, da der Charakter der Shows gerade durch die Mischung aus Unterhaltung und gutem Essen bestimmt werde, sodass beide Leistungsbestandteile gleichwertig seien.
Anmerkungen
BFH, Urt. v. 18.12.2008 – V R 38/06, BeckRS 2008, 24003678.
UStAE Abschn. 1.1 Abs. 1 S. 1.
UStAE Abschn. 2.7 Abs. 1 S. 3; Klenk, in: Sölch/Ringleb, UStG, 77. EL Juni 2016, § 2 Rn 311.
UStAE Abschn. 1.2 Abs. 2 m. w. N.
BFH, a.a.O. (Fn 162).
Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, § 1 Rn 28.
Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, § 1 Rn 30.
BFH, Urt. v. 15.4.2010 – V R 10/08, BeckRS 2010, 24004057.
BFH, a.a.O. (Fn 169) m.N. zur Rspr. des EuGH.
UStAE Abschn. 1.1 Abs. 1 S. 2.
UStAE Abschn. 1.1 Abs. 1 S. 4.
BFH, Urt. v. 18.12.1996 – XI R 12/96, DStR 1997, 658 (659).
BFH, Urt. v. 15.4.2010 – V R 10/08, BeckRS 2010, 24004057.