Handbuch Ius Publicum Europaeum. Martin Loughlin

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politische Konfiguration bezeichnet, in der die von der Nationalversammlung gewählte Mehrheitskoalition nicht mit dem politischen Lager des amtierenden Staatschefs übereinstimmt. Da die Regierung und die Minister im Vertrauen der Nationalversammlung stehen müssen, ist der Präsident dazu gezwungen, eine ihm politisch nicht gleichgesinnte Person an die Spitze der Regierung zu setzen und so die Exekutive auf eine Cohabitation rechter und linker Parteien zu stützen.[96] Diese Konstellation, die es bislang dreimal gab (1986–1988; 1993–1995; 1997–2002), hat nahezu automatisch einen Machtverlust des Präsidenten der Republik zur Folge. Besonders in Hinblick auf die französische Innenpolitik geht die Cohabitation mit einem beinahe vollständigen Verlust der Möglichkeiten präsidentieller Einflussnahme auf die Regierungspolitik einher. Gleichwohl verfügt der Präsident über einige verfassungsrechtliche Instrumente, die der Regierung ebenso gut schaden wie sie behindern können, wie etwa die Weigerung, ein Thema auf die Tagesordnung des Ministerrates zu setzen, die Weigerung, bestimmte Dekrete oder Ordonnances zu unterzeichnen oder die Weigerung, eine außerordentliche Parlamentssitzung einzuberufen. Die Cohabitation, die den Staatschef in seiner politischen Handlungsfähigkeit radikal beschränkt, verwandelt das institutionelle System Frankreichs grosso modo in ein parlamentarisches Regime moderner Prägung, also ein Regime, an dessen Regierungsspitze ein mit effektiven Mitteln ausgestatteter Regierungschef steht, der mit Hilfe dieser Mittel die ihn stützende Parlamentsmehrheit lenkt und leitet. Wenn das Regime ohne Cohabitation präsidentieller Natur bleibt, so wird es in Perioden der Cohabitation zu einem System „primoministerialer“ Art. Die Verfassung produziert insofern zwei mögliche Regime und könnte als „duale Verfassung“ bezeichnet werden. Allerdings dürfte die Cohabitation mit der Kürzung des Präsidentenmandats und der Einführung des Quinquennat wenn nicht unmöglich, so doch zumindest unwahrscheinlich werden (unten Rn. 52).

      § 2 Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Frankreich › II. Die Entwicklung des Verfassungssystems › 3. Europäisierung und Internationalisierung

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      § 2 Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Frankreich › II. Die Entwicklung des Verfassungssystems › 4. Der zunehmende Einfluss der Gerichtsbarkeit

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