Handbuch des Strafrechts. Manuel Ladiges
in Gerichtsverfahren[95] hat sich der Gesetzgeber gleichwohl für eine (moderate) Lockerung des Verbotes von Rundfunk- und Filmaufnahmen im Gerichtssaal entschieden (vgl. zuvor bereits § 17a BVerfGG für Verhandlungen des BVerfG). Das Gesetz hält zwar grundsätzlich an dem Verbot fest (§ 169 Abs. 1 S. 2 GVG), ermöglicht jedoch nunmehr unter bestimmten Voraussetzungen die Tonübertragung der Hauptverhandlung in einen Medienarbeitsraum (§ 169 Abs. 1 S. 3–5 GVG), die Anfertigung von Tonaufnahmen zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken in Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung (§ 169 Abs. 2 GVG) sowie die Anfertigung von Ton- und Filmaufnahmen von Entscheidungsverkündungen beim BGH (§ 169 Abs. 3 GVG).[96] In der Entscheidung aus dem Jahr 2001 hat das BVerfG zu Recht darauf hingewiesen, dass die bis zur rechtskräftigen Verurteilung zu Gunsten des Angeklagten sprechende Unschuldsvermutung eine zurückhaltende, mindestens aber eine ausgewogene Berichterstattung durch die Medien gebietet. Darüber hinaus sei eine mögliche Prangerwirkung zu berücksichtigen, die durch eine identifizierende Medienberichterstattung bewirkt wird.[97] Mit Blick auf die Pressearbeit der Strafverfolgungsbehörden im Ermittlungsverfahren ist schließlich gleichermaßen eine möglichst grundrechtsschonende Vorgehensweise anzumahnen.[98]
e) Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 GG)
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Gem. Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Das Strafverfahrensrecht trägt dem u.a. durch die Anerkennung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Angehörige des Beschuldigten (§ 52 StPO) Rechnung, das nach h.M. auch dem Schutz des „Familienfriedens“ dient.[99] Auch bei der Entscheidung über Besuchskontakte im Vollzug von Untersuchungs- und Strafhaft ist die besondere Bedeutung der Familienbeziehungen zu berücksichtigen.[100] „Aufgabe des Staates ist es, in Erfüllung seiner verfassungsrechtlichen Pflicht, für die Erhaltung von Ehe und Familie zu sorgen, solche nachteiligen Auswirkungen des Freiheitsentzuges im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren, aber auch unter angemessener Beachtung der Belange der Allgemeinheit zu begrenzen.“[101] In besonders gelagerten Ausnahmefällen kann es daher geboten sein, für Besuche von Ehegatten und Kindern von Untersuchungsgefangenen Besuchsgelegenheiten auch außerhalb der allgemeinen Besuchstage zu schaffen.[102] Der besondere Schutz, den Art. 6 Abs. 1 GG familiären Kontakten zuteilwerden lässt, darf auch nicht mit dem Hinweis auf „altersbedingt sehr geringe Interaktionsmöglichkeiten“ besonders kleiner Kinder relativiert werden.[103] Auf die Ermöglichung von unüberwachten Langzeitbesuchen Familienangehöriger besteht hingegen nach h.M. kein verfassungsrechtlicher Anspruch;[104] sie „können“ jedoch nach § 19 Abs. 4 StVollzG NRW (und entsprechenden Vorschriften in anderen Landesgesetzen) „ermöglicht werden, wenn dies zur Förderung oder zum Erhalt familiärer, partnerschaftlicher oder anderer gleichwertiger Kontakte der Gefangenen geboten erscheint und verantwortet werden kann“.[105]
f) Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG)
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Art. 10 Abs. 1 GG erklärt das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis für unverletzlich; Beschränkungen dieser Rechte dürfen gem. Art. 10 Abs. 2 S. 1 GG nur aufgrund eines Gesetzes angeordnet werden. Durch die technischen Möglichkeiten des Internet und der mobilen Kommunikation ist gerade auch mit Blick auf den Informationszugriff zu Zwecken der Strafverfolgung eine Vielzahl von (einfach- und verfassungsrechtlichen) Auslegungs- und Abgrenzungsproblemen entstanden, die rege Diskussionen in Rechtsprechung und Schrifttum hervorgerufen haben.[106] Zu nennen sind hier beispielsweise die Frage nach den Voraussetzungen und Grenzen sog. Online-Durchsuchungen[107] oder die Diskussion um die rechtliche Einordnung der Beschlagnahme von E-Mails auf dem Mailserver des Providers.[108]
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Das BVerfG misst die hier in Rede stehenden Eingriffe nur dann am Maßstab des Art. 10 GG, wenn sie sich auf die Phase zwischen dem „Aus-der-Hand-Geben“ des Kommunikationsinhalts durch den Absender und der Ankunft der Mitteilung im alleinigen Herrschaftsbereich des Empfängers beziehen.[109] Für den Versand einer E-Mail ergibt sich daraus, dass nicht nur das Versenden und das Abrufen der Nachricht, sondern auch deren Speicherung auf dem Mailserver des Providers – der sich außerhalb des Herrschaftsbereichs der Kommunikationsteilnehmer befindet – als „Telekommunikation“ i.S.d. Art. 10 Abs. 1 GG einzuordnen ist.[110] Die bereits abgerufenen, auf dem Rechner des Empfängers gespeicherten E-Mails werden hingegen durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) sowie ggf. durch das Wohnungsgrundrecht (Art. 13 GG) geschützt.[111] Während unstreitig ist, dass Zugriffe der Strafverfolgungsbehörden während des Versandes der Nachricht durch den Absender sowie während des Abrufs durch den Empfänger am strengen Maßstab der Vorschriften über die Telekommunikationsüberwachung (§§ 100a ff. StPO) zu messen sind,[112] soll nach der Rechtsprechung von BVerfG und BGH die Ermächtigungsgrundlage für (offene) Zugriffe auf die auf dem Mailserver des Providers gespeicherten Kommunikationsinhalte ungeachtet der Zuordnung zum Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG den weniger restriktiven Vorschriften über die Sicherstellung und Beschlagnahme (§§ 94 ff. StPO) zu entnehmen sein.[113] Dies soll einem Rückgriff auf §§ 100a ff. StPO für verdeckte Ermittlungen nicht entgegenstehen.[114] Die vorerwähnten Grundsätze sollen schließlich nach Ansicht eines Teils des Schrifttums auch für den (offenen oder verdeckten) Zugriff auf Daten eines Nutzerkontos bei sozialen Netzwerken gelten.[115] In der Literatur wird der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Recht entgegengehalten, dass durch die Heranziehung der §§ 94 ff. StPO in den in Rede stehenden Fällen die Begrenzungsfunktion des Art. 10 GG unterlaufen und das Schutzniveau für einen wesentlichen Teil des Kommunikationsvorganges in einem unvertretbaren Maße abgesenkt wird.[116] Technische Ermittlungsmaßnahmen nach § 100i Abs. 1 StPO, die der Ermittlung der Geräte- und Kartennummern sowie des Standorts von Mobiltelefonen dienen, fallen nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht in den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG.[117]
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In den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG greift nach der Rechtsprechung des BVerfG das Abschöpfen von Daten an den an einem Kommunikationsvorgang beteiligten Endgeräten (sog. Quellen-TKÜ) ein,[118] wohingegen die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können (sog. Online-Durchsuchung), an dem aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) abgeleiteten Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme gemessen wird.[119] Nach der zu § 5 Abs. 2 Nr. 11 VerfSchG NRW a.F. ergangenen Entscheidung des BVerfG ist ein Eingriff in dieses Grundrecht nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen. Überragend wichtig i.d.S. sind Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt.[120] Entsprechende Maßnahmen sind überdies grundsätzlich unter den Vorbehalt richterlicher Anordnung zu stellen, und das Gesetz, das zu ihnen ermächtigt, muss Vorkehrungen enthalten, um den Kernbereich privater Lebensgestaltung zu schützen.[121] Da die Strafprozessordnung in der Vergangenheit keine Ermächtigungsgrundlage enthielt, die diesen Anforderungen entsprach, wurde die Vornahme von Online-Durchsuchungen zu Zwecken der Strafverfolgung zu Recht als unzulässig erachtet.[122] Mit dem Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017[123] hat der Gesetzgeber nunmehr jedoch in § 100b StPO eine entsprechende Regelung geschaffen und gleichzeitig die Vorschrift zur Telekommunikationsüberwachung so umgestaltet, dass sie auch die Quellen-TKÜ[124] zulässt (vgl. § 100a Abs. 1 S. 2 StPO). Nachdem das BVerfG selbst die präventiv-polizeiliche Nutzung der in Rede stehenden Methoden nur unter äußerst restriktiven Voraussetzungen für zulässig hält und zuletzt Vorschriften des BKAG, welche die Online-Durchsuchung und die Quellen-TKÜ zu Zwecken der Gefahrenabwehr gestatteten, für teilweise verfassungswidrig erklärt hat,[125] darf bezweifelt werden, dass die neu geschaffenen Vorschriften einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung standhalten werden.[126]
g) Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG)
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