Handbuch des Strafrechts. Manuel Ladiges
eines vorläufigen Berufsverbotes gem. § 132a StPO gegen den Beschuldigten eingegriffen wird.[127] Der besonderen Grundrechtsrelevanz entsprechender Maßnahmen wird auf der Tatbestandsseite durch das Erfordernis „dringender Gründe“ Rechnung getragen, die für die Annahme sprechen müssen, dass gegen den Beschuldigten ein Berufsverbot nach § 70 StGB angeordnet werden wird; ein einfacher Anfangsverdacht i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO reicht mithin nicht aus.[128] Angesichts der überragenden Bedeutung des Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigt allerdings allein das Vorliegen der in § 132a StPO i.V.m. § 70 StGB normierten Voraussetzungen noch nicht die Verhängung eines vorläufigen Berufsverbots. Nach der Rechtsprechung des BVerfG muss vielmehr hinzukommen, dass die Anordnung erforderlich ist, um bereits vor rechtskräftigem Abschluss des Hauptverfahrens Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter abzuwehren, die aus einer Berufsausübung durch den Beschuldigten resultieren können. Nur wenn dies der Fall sei, stelle sich die als Präventivmaßnahme mit Sofortwirkung ausgestaltete Anordnung nach § 132a StPO als Ausdruck der Schrankenregelung des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG dar.[129]
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Einen Eingriff in die Rechte aus Art. 12 Abs. 1 GG stellen darüber hinaus unmittelbar an die Berufstätigkeit des Strafverteidigers anknüpfende Maßnahmen dar.[130] Bedeutung kommt der Berufsfreiheit beispielsweise bei der Frage nach der Angemessenheit der Vergütung des Pflichtverteidigers zu: Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG gebietet Art. 12 Abs. 1 GG in besonders umfangreichen oder besonders schwierigen Verfahren, dem Umstand, dass es sich bei der Bestellung zum Pflichtverteidiger um eine besondere Form der Indienstnahme einer Privatperson zu öffentlichen Zwecken handelt, durch eine entsprechende Vergütung Rechnung zu tragen.[131] Danach muss die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleiben, wenn der Anspruch des Pflichtverteidigers auf Auslagenerstattung im Interesse des Gemeinwohls an einer Einschränkung des Kostenrisikos begrenzt wird, und dem Pflichtverteidiger ist ein angemessener Vorschuss zu zahlen, wenn das Strafverfahren lange dauert, die höhere Pauschgebühr mit Sicherheit zu erwarten ist und es für den Verteidiger unzumutbar ist, die Festsetzung der endgültigen Pauschgebühr abzuwarten.[132] Dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG unterfallen des Weiteren auch die in § 148 StPO normierten Kommunikationsrechte, ohne die dem Verteidiger eine Berufsausübung nicht möglich wäre.[133] In materiell-rechtlicher Hinsicht ist schließlich die einschränkende Auslegung zu berücksichtigen, der das BVerfG den Geldwäschetatbestand im Hinblick auf die Honorarannahme durch Strafverteidiger unterwirft. Danach ist sowohl § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB als auch § 261 Abs. 1 S. 1 StGB verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass nur dann ein gerechtfertigter Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit vorliegt, wenn der Strafverteidiger im Zeitpunkt der Entgegennahme des Honorars oder eines Vorschusses sicher weiß, dass das Geld aus einer von § 261 StGB umfassten Vortat herrührt.[134] Eingriffe strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen in die Berufsfreiheit anderer Personen sind eher selten Gegenstand von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts; in einem Beschluss vom 20. Dezember 2018 erklärte es die 3. Kammer des Zweiten Senates jedoch für mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, dass dem Anbieter eines E-Mail-Dienstes aufgegeben worden war, den Ermittlungsbehörden die Internetprotokolladressen (IP-Adressen) der auf ihren Account zugreifenden Kunden zu übermitteln, obwohl er seinen Dienst aus Datenschutzgründen so organisiert hatte, dass er diese nicht protokollierte.[135]
h) Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG)
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Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung; gem. Art. 13 Abs. 2 GG dürfen Durchsuchungen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden. In Art. 13 Abs. 3–6 GG wurden durch das 45. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 26. März 1998[136] nach kontroverser Diskussion[137] Regelungen für den Lausch- und Spähangriff geschaffen. Die daraufhin mit dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 4. Mai 1998[138] eingeführten Vorschriften zur Durchführung der akustischen Überwachung von Wohnraum zu Zwecken der Strafverfolgung wurden vom BVerfG mit Urteil vom 3. März 2004 in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt.[139] Die mit dem Gesetz zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts[140] verabschiedete Neuregelung fand sodann die Billigung der 3. Kammer des Zweiten Senats.[141] Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung zu,[142] der in der Vergangenheit in § 100c Abs. 4 und 5 StPO a.F. und nunmehr in § 100d StPO eine detaillierte, wenngleich auch weiterhin kritikwürdige[143] einfachgesetzliche Regelung gefunden hat.
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Das BVerfG hebt in ständiger Rechtsprechung hervor, dass in seinen Wohnräumen jeder das Recht hat, in Ruhe gelassen zu werden, und dass eine Durchsuchung schwerwiegend in diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre eingreift.[144] Hieraus leitet das Gericht strenge Anforderungen an die Begründung der richterlichen (vgl. Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 StPO) Durchsuchungsanordnung[145] und an die Inanspruchnahme der Eilkompetenz wegen Gefahr im Verzug durch die Strafverfolgungsbehörden ab.[146] In allgemeiner Form werden diese Fragen im Abschnitt über die Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) des Kapitels über die Prozessgrundrechte erörtert (vgl. → StPO Bd. 7: Lindemann, § 3 Rn. 10 ff.), auf den auch vorliegend verwiesen werden soll. Bedenken begegnet, dass die neuere Rechtsprechung des BVerfG die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes aufgrund von Fehlern bei der Anordnung oder Durchführung der Durchsuchung als „begründungsbedürftige Ausnahme“ ansieht,[147] was beispielsweise dazu geführt hat, dass die 2. Kammer des Zweiten Senats in der Verwertung eines bei einer rechtswidrigen Durchsuchung gemachten Zufallsfundes keine Verletzung der Rechte des Beschuldigten aus Art. 13 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG gesehen hat.[148] In dieser Entwicklung zeigen sich die negativen Auswirkungen der bereits einleitend (Rn. 4) kritisierten Überhöhung der „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ zu einem den Abwehrrechten des Beschuldigten entgegenzusetzenden Abwägungstopos.
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Anders als die physische Durchsuchung soll die sog. Online-Durchsuchung eines in einer Wohnung befindlichen Rechners (vgl. auch Rn. 23) nach Ansicht des BVerfG nicht den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG tangieren,[149] was im Schrifttum zu Recht als ungereimt kritisiert worden ist.[150] So wird dem vom BVerfG ins Feld geführten Argument, die Strafverfolgungsbehörden könnten üblicherweise nicht genau wissen, an welchem Ort sich das zu infiltrierende informationstechnische System befinde, überzeugend entgegengehalten, dass bei Unsicherheit über das durch eine Maßnahme tangierte Grundrecht eben im Zweifel die für Eingriffe in dieses Grundrecht geltenden verfassungs- und einfachrechtlichen Anforderungen zu beachten sind.[151]
i) Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG)
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Aus der in Art. 14 Abs. 1 GG verbürgten Eigentumsgarantie ergeben sich Anforderungen vor allem an die Anordnung und Durchführung strafprozessualer Sicherungsmaßnahmen nach den §§ 111b ff. StPO. Dabei ist davon auszugehen, dass die Kammerrechtsprechung des BVerfG zu diesem Fragenkreis[152] auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung zum 1. Juli 2017,[153] durch das u.a. auch die Vorschriften über die Sicherstellung von Vermögenswerten einer grundlegenden Umgestaltung unterzogen worden sind,[154] grundsätzlich weiterhin Geltung beansprucht.
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Mit Blick auf die Anwendung der §§ 111b ff. StPO hebt das BVerfG zu Recht hervor, dass sich aus der Intensität des Eingriffes in die Rechte des Betroffenen aus Art. 14 Abs. 1 GG eine Pflicht der Behörden und Gerichte zu sorgfältiger Sachverhaltserforschung und Abwägung der im Falle eines vorläufigen Vermögenszugriffs konfligierenden Interessen ergibt.[155] Wird durch die Sicherungsmaßnahmen das gesamte oder nahezu das gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis des Betroffenen entzogen, reicht nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz allein die Vermutung,