Handbuch des Strafrechts. Manuel Ladiges
IV.Staatsanwaltschaft12, 13
V.Schwur- und Schöffengerichte14, 15
C.Die Strafprozessordnung für das Deutsche Reich16 – 30
I.Entstehungsgeschichte16 – 18
1.Verfassungsrechtliche Grundlagen – Reichstagsinitiative16
II.Wesentliche Inhalte19 – 24
3.Hauptverhandlung, Beschuldigtenstellung und Verteidigung21
4.Strafgerichtsverfassung, Laienbeteiligung22
5.Instanzenzug und Berufungsfrage23
III.Wissenschaftliche Bearbeitung und ausgewählte Streitfragen25 – 29
2.Reichweite von § 136 RStPO27
3.Reichweite von § 251 RStPO (§ 252 StPO)28
4.Körperliche Untersuchung des Unverdächtigen29
IV.Wissenschaftshistorische Einordnung30
D.Reformdiskussion nach Erlass der Reichsstrafprozessordnung31 – 35
II.Streitpunkte32, 33
IV.Entwürfe und Scheitern der Reform – Chronologie35
I. Übersicht
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Die Reichsstrafprozessordnung (RStPO) vom 1. Februar 1877 trat am 1. Oktober 1879 gemeinsam mit dem Gerichtsverfassungsgesetz, der Konkursordnung und der Zivilprozessordnung als Teil der sog. Reichsjustizgesetze in Kraft.[1] Im Gegensatz zum Reichsstrafgesetzbuch (RStGB), dessen Grundlage das Strafgesetzbuch für die preußischen Staaten von 1851 bildete, konnte bei den Vorarbeiten zur RStPO nicht auf ein bestimmtes Gesetzbuch zurückgegriffen werden. Zu groß war die Rechtszersplitterung unter und selbst innerhalb der deutschen Partikularstaaten. So galten zum Zeitpunkt der Reichsgründung in Bayern zwei gänzlich unterschiedliche Prozessrechte, in Preußen fanden gar drei Verfahrensrechte Anwendung. Selbst der gemeine, frühneuzeitliche Strafprozess hatte in einigen Kleinstaaten überdauert.[2] Ungeachtet der herrschenden Rechtszersplitterung hatte sich in der vormärzlichen Rechtswissenschaft und den nach 1848 in rascher Folge erlassenen partikularen Strafprozessordnungen ein Grundmodell des deutschen reformierten Strafprozesses herausgebildet, das den Gesetzgebungsarbeiten nach 1871 zu Grunde lag. Im Folgenden gilt es zunächst, an die liberalen und etatistischen Wurzeln dieses öffentlich-mündlichen, unmittelbaren Strafprozesses zu erinnern (Rn. 2 ff.), um sodann die Gesetzeslage vor Erlass der Reichsjustizgesetze zu skizzieren (Rn. 5) und die Grundstruktur des reformierten Strafprozesses herauszuarbeiten (Rn. 6 ff.). Ein Seitenblick gilt der Strafprozessordnung für die braunschweigischen Staaten, der aufgrund ihrer konsequenten Umsetzung des Anklageprinzips eine Sonderstellung zukommt (Rn. 8).
1. Vormärzliberalismus und Paulskirche
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„Die Verwirklichung der Gerechtigkeit und die Wirksamkeit der Strafgesetzgebung fordern ein Strafverfahren, welches auf dem Anklageprinzip, der Mündlichkeit, der Öffentlichkeit und dem Schwurgericht (…) beruht“[3]. Mit diesen Worten fasste Carl Joseph Anton Mittermaier (1787–1867) die rechtspolitischen Forderungen zusammen, die liberale Politiker und Rechtswissenschaftler seit dem frühen 19. Jahrhundert erhoben.[4] Der so beschriebene reformierte Strafprozess stand in direktem Gegensatz zum tradierten nichtöffentlichen, schriftlichen und mittelbaren Verfahren, das über Jahrhunderte in Deutschland Anwendung gefunden hatte.[5] Die Reform des Strafverfahrens stellte ein Politikum ersten Ranges dar, zumal die Vormärzliberalen auf der Etablierung von Schwurgerichten bestanden. Wie fernliegend das heute unangefochtene Institut der freien berufsrichterlichen Beweiswürdigung noch in den 1840er Jahren war, erhellt die Aussage Carl Theodor Welckers (1790–1869),