Verteidigung in der Hauptverhandlung. Klaus Malek
die qualifizierte Belehrung gemäß § 35a S. 3, also nicht mehr in der Hauptverhandlung statt.
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Die Hauptverhandlung ist der auf das Vor- und Zwischenverfahren folgende Teil des Strafprozesses, in dem der angeklagte Sachverhalt verbindlich aufgeklärt und als Grundlage für das Urteil festgestellt werden soll. Sie gilt gemeinhin als das „Kernstück“ des Strafprozesses,[2] denn während die vorangehenden Verfahrensabschnitte nur zur Vorbereitung der Sachverhaltsaufklärung in der Hauptverhandlung dienen, ist für das Urteil des Gerichts allein das Ergebnis der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung selbst maßgebend (§ 261). Die außerhalb der Hauptverhandlung gewonnenen und nicht prozessordnungsgemäß in diese eingeführten Erkenntnisse dürfen dagegen ebenso wenig verwertet werden wie Erkenntnisse nach Schluss der Verhandlung.[3] Ein Verstoß hiergegen kann die Revision begründen.[4]
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Diese prozessuale Situation führt häufig gerade bei unerfahrenen Strafverteidigern dazu, die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens für den Ausgang des Prozesses in sträflicher Weise zu unterschätzen. Bosbach beklagt zu Recht, dass die prägende Kraft des Ermittlungsverfahrens – vor allen Dingen durch die Untersuchungen von Peters[5] über die Fehlerquellen im Strafprozess – mittlerweile zwar Allgemeingut sei, und in der Praxis das Ermittlungsverfahren „einen zentralen Bereich der Wirkkraft einer effektiven Verteidigung“ darstelle, dass aber die Strafverteidigung in diesem Verfahrensstadium trotzdem immer noch ein „Mauerblümchendasein“ führe.[6] Als Gründe hierfür seien in Betracht zu ziehen die schlichte Unkenntnis der rechtlichen Möglichkeiten des Verteidigers im Ermittlungsverfahren, die auf fehlender praktischer Erfahrung basierende Fehleinschätzung der Risiken in der Hauptverhandlung, Probleme mit der angemessenen Honorierung, schließlich auch die taktische Überlegung, sein Pulver nicht vorzeitig zu verschießen und zuletzt auch die Erwägung, den spektakulären Auftritt in der Hauptverhandlung der unauffälligen Arbeit im Ermittlungsverfahren vorzuziehen.[7] Wie dem auch sei: Keine der genannten Erwägungen rechtfertigt es, die Verteidigung im Ermittlungsverfahren schleifen zu lassen oder auf die leichte Schulter zu nehmen. Fehler und Unterlassungen, die der Verteidiger im Ermittlungsverfahren begangen hat, sind in der Hauptverhandlung meistens gar nicht, und in seltenen Fällen gerade noch mit Glück zu bereinigen.
Hinweis
So wenig wie die Hauptverhandlung im Hinblick auf das Ermittlungsverfahren als „Vergangenheitsbewältigung“ missverstanden werden darf, so sehr hat sie im Hinblick auf das Revisionsverfahren der „Zukunftsplanung“ zu dienen. Auch wenn dem Verteidiger in erster Linie daran gelegen sein muss, ein für seinen Mandanten günstiges Ergebnis bereits in der Tatsacheninstanz zu erreichen, so hat er doch auch an den Fall zu denken, dass er auf einen ungünstigen Verfahrensausgang mit der Durchführung der Revision reagieren muss. Als Grundregel muss gelten: Wer in der Tatsacheninstanz untätig geblieben ist, insbesondere keine Anträge gestellt hat, hat in der Revision kaum eine Chance. Hauptbetätigungsfeld der Verteidigung in der Hauptverhandlung ist im Hinblick auf die Revision das Beweisantragsrecht, aber auch die „Sachverhaltsfestschreibung“ durch Wahrnehmung von Erklärungsrechten oder Protokollierungsanträgen bietet revisionsrechtliche Möglichkeiten. Zu bedenken ist weiter, dass die Untätigkeit der Verteidigung in zahlreichen Fällen den Rügeverlust in der Revision zur Folge haben kann. Im Grunde genommen gibt es kaum ein Prozessverhalten des Verteidigers oder des Angeklagten, das bei richtiger Ausübung keine revisionsrechtliche Relevanz erlangen könnte. Der Verteidiger tut gut daran, diese Auswirkungen im Auge zu behalten und bei seiner Verteidigungsführung zu beachten.
Anmerkungen
Zu Recht weisen Meyer-Goßner/Schmitt § 257c Rn. 1 darauf hin, dass die Regelung der Verständigung an falscher Stelle in das Gesetz eingefügt worden ist. Sie hätte vor und nicht hinter die Vorschriften zur Beweisaufnahme gehört.
Z. B. Meyer-Goßner/Schmitt Vor § 226 Rn. 1.
Grundlegend zum Inbegriff der Hauptverhandlung BGH B. v. 21.1.2016, 2 StR 433/15.
BGH StV 1996, 80.
Fehlerquellen im Strafprozess. Eine Untersuchung der Wiederaufnahmeverfahren in der Bundesrepublik Deutschland, 1. Bd. 1970, 2. Bd. 1972, 3. Bd. 1974.
Bosbach Einleitung S. 1 f.
Bosbach Einleitung S. 2.
Teil 2 Allgemeines › III. Wesentliche Verfahrensgrundsätze in der Hauptverhandlung
III. Wesentliche Verfahrensgrundsätze in der Hauptverhandlung
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Die tragenden strafprozessualen Prinzipien in der Hauptverhandlung klassischer Prägung sind die Grundsätze der Öffentlichkeit, der Mündlichkeit, aus dem das Prinzip der Verhandlungseinheit folgt, und der Unmittelbarkeit.
Teil 2 Allgemeines › III. Wesentliche Verfahrensgrundsätze in der Hauptverhandlung › 1. Öffentlichkeitsgrundsatz
1. Öffentlichkeitsgrundsatz
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Die Öffentlichkeit der Verhandlung stellt einemächtige Gewähr der Vertheidigung dar. Vor den Augenaller Bürger fällt es schwer, die Bürgerrechte imAngeklagten zu verletzen(Vargha Die Vertheidigung in Strafsachen, 1879, § 445) |
Gemäß § 169 GVG ist die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse öffentlich. Die staatstheoretische Begründung, wonach die Öffentlichkeit die Rechtsprechung der Gerichte kontrollieren und dem Angeklagten Schutz vor Willkür bieten soll, sollte die Verteidigung nicht gänzlich aus dem Blick verlieren, wenngleich diese nach heute vorherrschender Auffassung ihre Bedeutung im Wesentlichen verloren hat und ganz überwiegend das Informationsinteresse der Allgemeinheit („Massenmedienöffentlichkeit“) im Vordergrund steht.[1]
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Der Öffentlichkeitsgrundsatz gilt für alle Hauptverhandlungen, nicht jedoch für andere Verhandlungen im Strafverfahren, z.B. die kommissarische Vernehmung von Zeugen, und solche, die außerhalb der Hauptverhandlung vorgenommen werden dürfen,[2] etwa Verhandlungen über Ablehnungsanträge.[3] Der Grundsatz postuliert die jedermann zustehende Möglichkeit, sich ohne Schwierigkeiten Kenntnis von Ort und Zeit der Verhandlung sowie im Rahmen der räumlichen Möglichkeiten und örtlichen Verhältnisse[4] Zutritt zur Verhandlung zu verschaffen.[5] Dies ist z.B. nicht der Fall, wenn die Verhandlung gegen einen Angeklagten nicht auf einem im Gerichtsgebäude für jedermann erkennbar angebrachten Terminzettel vermerkt