Verteidigung in der Hauptverhandlung. Klaus Malek
dass sein Mandant von anderen Verfahrensbeteiligten mit Umgangsformen bedacht wird, die sich der Grenze zur Beleidigung nähern, darf sich nicht wundern, wenn er als Verfahrensgegner nicht mehr ernst genommen wird. Gerade in der Hauptverhandlung, in der meist die erste direkte Konfrontation des Angeklagten mit Staatsanwaltschaft und Gericht stattfindet, erweist sich die Wichtigkeit des couragierten Verteidigerbeistandes für den Mandanten. Der Verteidiger muss daher gegenüber der Staatsanwaltschaft und dem Gericht mit dem Anspruch und dem Bewusstsein eines gleichgeordneten Verfahrensbeteiligten auftreten. Insbesondere unterliegt die Art seiner Verteidigungsführung nicht deren Kontrolle.[14] Im Verhältnis zum Staatsanwalt gilt der Grundsatz der Waffengleichheit zwischen Anklagebehörde und Verteidigung, der aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK herzuleiten ist, und der gewährleisten soll, dass den Beteiligten eines Strafverfahrens nicht ohne sachliche Notwendigkeit unterschiedliche Rechtspositionen im Prozess eingeräumt werden.[15] Dass die StPO selbst zahlreiche Regelungen enthält, die einem solchen Anspruch nicht gerecht werden,[16] sollte den Verteidiger nicht daran hindern, in geeigneten Situationen an die Existenz dieses Grundsatzes zu erinnern.
Hinweis
Von Seiten mancher Strafverteidiger wird der Staatsanwaltschaft vorgehalten, sie bezeichne sich gerne selbst als „objektivste Behörde der Welt“.[17] Mit diesem Vorwurf sollte man vorsichtig sein, denn er ist nicht zutreffend. Selbst wenn der Begriff ursprünglich von einem Staatsanwalt gekommen sein sollte,[18] so wurde diese für den Praktiker überraschende Etikettierung doch erst populär durch einen Vortrag des Strafrechtslehrers Franz von Liszt am 23.3.1901 beim Berliner Anwaltsverein, der sie allerdings als leicht erkennbare „Entgleisung“ bezeichnet hat![19] Neuere Äußerungen von Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden sind hierzu nicht bekannt geworden.[20]
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Der am Interesse des Angeklagten orientierte Verteidiger muss prinzipiell auch bereit sein, eine harte Verteidigungslinie zu führen, wenn dies dem Mandanten nützt. Er darf, wenn nötig, auch heftige Auseinandersetzungen nicht scheuen. Dies gilt auch und gerade im Zeitalter der konsensualen Verfahrenserledigung. Engagement und Konfliktbereitschaft in diesem Sinne bedeuten jedoch nicht Theaterdonner und Lautstärke um jeden Preis, wie dies leider von manchen Kollegen verstanden und von vielen Angeklagten als besonders energische Interessenvertretung missverstanden wird. Im Gegenteil: Korrekte Form verträgt sich sehr wohl mit Härte und Konsequenz in der Sache und kann diese sogar in ihrer Wirkung verstärken.[21]
Hinweis
Die Bereitschaft zur harten, aber an der Sache orientierten Auseinandersetzung sollte sich der Verteidiger auch nicht durch den Vorwurf miesmachen lassen, er betreibe „Konfliktverteidigung“. Wenn die Beschreibung des typischen „Konfliktverteidigers“ durch den ehemaligen Strafkammervorsitzenden Föhrig, der hier unus pro omnibus in die Verantwortung genommen werden soll,[22] der Gefühlswelt des Strafrichters im Allgemeinen entspräche, dann gehörten zu dieser Art der Verteidigung auch „beständige Unterbrechungen zur Abgabe (sinnloser) Erklärungen“ (§ 257 Abs. 2), „zahllose Anträge, vornehmlich auf Beweiserhebungen“ (§§ 246 ff.) und die Richterablehnung wegen Befangenheit (§§ 24 ff.).[23] „Alles Derartige still zu erdulden, allem nachzugeben, verzögert das Verfahren ersichtlich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag“, meint Föhrig, und empfiehlt seinen Kollegen „ständige Unterbrechungen, Spötteleien, Diskurse“, um den Verteidiger („Anwälte sind auch – nur – Menschen“) „aus dem Fahrwasser“ zu bringen.[24] Zeige sich der Verteidiger „beratungsresistent“, so sei sein Verhalten durch „stilles Mitschreiben“ zu protokollieren und dieser Protokollteil der Anwaltskammer auf dem Dienstweg zu übersenden.[25] Dem sei nichts hinzugefügt.
Die praktische Erfahrung zeigt, dass die Bereitschaft der Verteidigung, durch einseitige Nachgiebigkeit, etwa durch ein frühes Geständnis des Angeklagten ohne Taktieren und ohne die Vorteile einer Vereinbarung nach § 257c, dem Gericht die Arbeit zu erleichtern, in der Regel nicht honoriert wird. Über die Gründe für diese Erfahrung (von der es selbstverständlich Ausnahmen gibt!) kann nur spekuliert werden: Möglicherweise „verbindet“ eine lange dauernde Hauptverhandlung auch die Kontrahenten eines Strafverfahrens in dem Sinne, dass eine harte Bestrafung des Gegners schwerer fällt als in einem sprichwörtlich „kurzen Prozess“; vielleicht ist es in psychologischer Hinsicht auch einfacher, jemanden zu bestrafen, dessen Täterschaft durch das eigene Geständnis „einwandfrei“ feststeht und nicht nur aufgrund der gerichtsbekannt irrtumsanfälligen Würdigung von Indizien und Beweismitteln. Der Verteidiger darf sich deshalb bei Richtern, die er nicht kennt und nicht einzuschätzen vermag, nicht etwa durch mehr oder weniger deutliche Versprechungen ködern lassen („diese Kammer weiß ein Geständnis stets zu würdigen“[!]) und der naheliegenden Versuchung erliegen, durch eine „weiche“ Verteidigungslinie die Milde des Gerichts einhandeln zu wollen.
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Es ist nützlich, sich über Eigenarten und Besonderheiten von Richtern zu erkundigen, mit denen der Verteidiger noch nicht zu tun hatte.[26] „Vor Ort“ dürfte dies kein Problem sein. Aufwendiger können sich die Recherchen bei auswärtigen Gerichten gestalten. Hier empfiehlt sich die Erkundigung bei Kollegen am Gerichtsort, wobei die Chance auf nützliche Informationen recht groß ist, wenn man sich zunächst an den Mitgliederlisten der betreffenden Strafverteidigervereinigung oder der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im Deutschen Anwaltsverein orientiert. Bei den dort organisierten Strafverteidigern dürfte sicherlich Verständnis für das Anliegen des Kollegen zu erwarten sein. Sind die Berufe der Schöffen nicht aus der Besetzungsmitteilung oder der Termintafel ersichtlich, so sollte sich der Verteidiger nicht scheuen, gleich zu Beginn der Verhandlung danach zu fragen. Auch hieraus können sich manche Anregungen für die Verteidigung ergeben.
Teil 2 Allgemeines › IV. Die Stellung des Verteidigers und sein Verhältnis zu den Prozessbeteiligten › 3. Verhältnis zum Angeklagten
3. Verhältnis zum Angeklagten
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Durch Nichts und Niemanden darf sich der Vertheidigerabhalten lassen, das für den Schutz seines Clienten Nothwendigevorzukehren, auch nicht durch den Beschuldigten selbst(Vargha Die Vertheidigung in Strafsachen, 1879, § 215) |
Das Verhältnis des Verteidigers zu seinem Mandanten, die „Vertrauensfrage“, der Umgang mit dem Tatverdacht und dem Zweifel, sind schwierige und grundsätzliche Fragen, die den Rahmen von Ausführungen zur Hauptverhandlung sprengen würden, und die in der Regel auch bereits bei der Anbahnung und der Begründung des Mandatsverhältnisses, jedenfalls nicht erst in der Hauptverhandlung, zu klären sind.[27] Sympathisch erscheint mir im Umgang mit dem Zweifel an scheinbar „unglaublichem“ Mandantenvorbringen die Auffassung, Strafverteidiger seien letztlich alle Agnostiker (oder sollten es sein), indem sie sich zum Zweifel bekennen und der Gewissheit verweigern.[28] Engagierte Interessenvertretung bedeutet indessen nicht die völlige Identifizierung mit dem Mandanten. Hat er Zweifel an der Sachverhaltsversion seines Mandanten, so muss er diese ihm gegenüber äußern. Über die Verurteilungswahrscheinlichkeit, die häufig vom Mandanten erfragt wird, muss der Verteidiger, wenn er dazu in der Lage ist, eine realistische Einschätzung abgeben. Alles andere wäre nicht nur ein Vertrauensbruch, sondern ein Verstoß gegen vertragliche Pflichten.[29]
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Der Verteidiger ist auch gegenüber dem Angeklagten selbständig und, was die Verteidigungsführung im Einzelnen angeht, nicht weisungsabhängig. Besonders wichtig ist daher eine rechtzeitig vor der Hauptverhandlung besprochene gemeinsame Verteidigungsstrategie, die vom Verteidiger und vom Mandanten getragen wird. Ist dies nicht möglich, so muss das Mandatsverhältnis beendet werden, und zwar so rechtzeitig, dass dem Mandanten hieraus kein Schaden entsteht.[30] Treten Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten