Der Verletzte im Sinne des § 172 StPO bei Vermögensdelikten zum Nachteil von Kapitalgesellschaften. David Albrecht
liegen, dass die Zuständigkeit für das gerichtliche Klageerzwingungsverfahren den Oberlandesgerichten zugewiesen ist und ein Rechtsmittel, das eine einheitliche Rechtsprechung ermöglichen könnte, nicht statthaft ist (§§ 175, 304 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 StPO). Dennoch lassen sich im Wesentlichen zwei Strömungen ausmachen, die im Folgenden dargestellt werden.
1. Begrenzung auf den straftatbestandlichen Schutzzweck
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Einige oberlandesgerichtliche Entscheidungen und Teile der Literatur nehmen eine unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung nur dann an, wenn das betroffene Recht dem Schutzbereich des jeweils in Betracht kommenden Straftatbestands unterfällt.[23] Inhaltlich entspricht dieses Begriffsverständnis dem oben[24] genannten, das unmittelbar auf den Schutzbereich der erfüllten Strafnorm abstellt. Auch die hier dargestellte Auffassung legt die tatbestandlichen Schutzbereiche dabei im Vergleich zum materiellen Recht tendenziell weit aus. Begründet wird dies mit dem Zweck des Klageerzwingungsverfahrens, eine Kontrolle des Legalitätsprinzips zu ermöglichen.[25] Um dies effektiv zu gewährleisten, sei es notwendig, den Kreis der Antragsberechtigten weit zu fassen. Daher sollen auch Personen, deren Rechtsgüter nur „nachrangig“ oder „mittelbar“ durch den jeweiligen Tatbestand geschützt werden, verletzt im Sinne der Vorschrift sein.[26] Praktische Bedeutung hat dies etwa bei den Aussagedelikten,[27] der Rechtsbeugung[28] und der Urkundenfälschung[29]. Im Übrigen findet jedoch ganz überwiegend eine Orientierung am materiellen Recht statt. Und wie auch dort sind die tatbestandlichen Schutzbereiche in ihrem Umfang umstritten.[30]
2. Erweiterung auf sonstige rechtlich anerkannte Nähebeziehungen
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Über die Anknüpfung an den tatbestandlichen Schutzzweck hinaus nimmt die h.M. eine unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung auch dann an, wenn eine sonst rechtlich anerkannte Nähebeziehung zur Tat besteht. So bejaht auch sie im Falle eines vollendeten Tötungsdelikts die Verletzteneigenschaft der in § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO genannten Angehörigen des Opfers.[31] Daneben soll auch das Recht zur Stellung eines Strafantrags die Verletzteneigenschaft begründen.[32]
Teil 2 Der Verletztenbegriff in § 172 StPO › A. Meinungsstand zum Verletztenbegriff in § 172 StPO › VI. Zusammenfassung
VI. Zusammenfassung
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Das Meinungsbild zur Definition des Verletztenbegriffs in § 172 StPO ist somit im Wesentlichen durch drei Auffassungen geprägt. Nach der ersten ist derjenige verletzt, der infolge der Tat ein berechtigtes Vergeltungs- bzw. Genugtuungsinteresse hat. Die zweite knüpft an den (weit auszulegenden) Schutzbereich des jeweils in Betracht kommenden Straftatbestandes an. Die dritte und zugleich vorherrschende Ansicht nimmt darüber hinaus die Verletzteneigenschaft bei solchen Personen an, deren besondere Nähebeziehung zur Tat in sonstiger Weise rechtlich anerkannt ist. Sofern nicht vereinzelt unmittelbar auf diese Definition zurückgegriffen wird, leitet die h.M. sie aus dem Oberbegriff der unmittelbaren Rechtsbeeinträchtigung ab.
Anmerkungen
RGSt 23, 361 (362); RMilGE 6, 133 f.; 8, 14 f.; 10, 188 (190 f.); OLG Bremen NJW 1950, 960; Löwe/Rosenberg RStPO, § 170 Nr. 5 b; zu Dohna Strafprozessrecht, S. 143; Rosenfeld Reichs-Strafprozess, S. 207; Brandt JW 1928, 2192; einschränkend Bennecke/v. Beling Lehrbuch, S. 484.
RMilGE 6, 133 f.; 8, 14 (15); Brandt JW 1928, 2192.
Oetker GA 66 (1919), 469 (490); Bennecke/v. Beling Lehrbuch, S. 484.
Oetker GA 66 (1919), 469 (490).
Eb. Schmidt StPO Teil II, § 171 Rn. 12.
Eb. Schmidt StPO Teil II, § 171 Rn. 10.
Eb. Schmidt StPO Teil II, § 171 Rn. 14.
Eb. Schmidt StPO Teil II, § 171 Rn. 18.
Eb. Schmidt StPO Teil II, § 171 Rn. 18 unter Verweis auf OLG Dresden bei Alsberg I Nr. 364.
OLG Braunschweig NdsRPfl. 1965, 17 ff.; OLG Celle NdsRPfl. 1954, 209; ähnlich auch OLG Jena bei Alsberg I Nr. 368; OLG Stuttgart Justiz 1976, 306; OLG Dresden NStZ-RR 1998, 338.
Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht, § 41 Rn. 5; Peters Strafprozess, § 57 IV; ähnlich Schlüchter Strafverfahren, Rn. 79.1 Fn. 225a; im Ansatz auch Frisch JZ 1974, 7 ff.; Bloy JR 1980, 480 f., Anm. zu OLG Hamburg, Beschl. v. 30.11.1979 – 3 Ws 60/79 –.
Oetker GA 66 (1919), 469 (490); Nothmann GA 76 (1932), 71 (75 ff.).
S. etwa Kohlrausch RStGB, Vor § 153 Nr. 2; v. Hippel Lehrbuch, § 84 I.
Oetker GA 66 (1919), 469 (491); Nothmann GA 76 (1932), 71 (78).
Nothmann GA 76 (1932), 71 (77, 80 f.); Oetker GA 66 (1919), 469 (491).
SK-StPO-Wohlers § 172 Rn. 25 f.; LR-Graalmann-Scheerer § 172 Rn. 52 ff.; Frisch JZ 1974, 7 ff.; Bloy JR 1980, 480 f., Anm. zu OLG Hamburg, Beschl. v. 30.11.1979 – 3 Ws 60/79 –; Hefendehl GA 1999, 584 (589 f.); Küpper Jura 1989, 281 (282 f.).
LR-Graalmann-Scheerer § 172 Rn. 54; SK-StPO-Wohlers § 172 Rn. 26; KMR-Plöd (73. EL November 2014) § 172 Rn. 21; Frisch JZ 1974, 7 (11 f.); Hefendehl GA 1999, 584 (589 f.); Küpper Jura 1989, 281 (282 f.).
KMR-Plöd