Bankrott und strafrechtliche Organhaftung. Jörg Habetha
drohen) möglicherweise durch unternehmerische Maßnahmen behoben werden können. In diesem Fall fehlt ein Strafwürdigkeit begründendes Ausmaß der wirtschaftlichen Krise. Die vorzunehmende Prüfung ist, wie gezeigt, der Beurteilung einer Fortführungsprognose im Falle von Überschuldung inhaltlich wenigstens angenähert.[95]
Teil 3 Anwendungsbereich des Bankrotts in der Krise des Bankkunden – Schutzzweck und Reichweite der Krisenmerkmale › B › IV. Überschuldung
IV. Überschuldung
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Der Insolvenztatbestand „Überschuldung“ (i.S.v. § 19 InsO) ist, wie gesehen, auf juristische Personen beschränkt.[96] Im Zusammenhang mit dem wortgleichen strafrechtlichen Krisenmerkmal fehlt dagegen eine vergleichbare Restriktion. Der Gesetzgeber hat hierauf bewusst verzichtet.[97] Überschuldung wird dementsprechend im Rahmen von § 283 Abs. 1 StGB auf das Vermögen jedes Schuldners bezogen angewandt.[98] Dieser Umstand erweitert den personellen Anwendungsbereich im strafrechtlichen Kontext.[99] Auf der Grundlage des FMStG[100] gilt insolvenzrechtlich ein modifizierter Überschuldungstatbestand.[101] Das Vorliegen bilanzieller Überschuldung und eine negative Fortführungsprognose sind danach gleichrangige Tatbestandsmerkmale. Der Eröffnungstatbestand scheidet bei positiver Fortführungsprognose aus. Diese Restriktion des insolvenzrechtlichen Krisenbegriffs ist in das Insolvenzstrafrecht zu übertragen.[102]
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Überschuldung erfordert einerseits bilanzielle Überschuldung, d.h. dass das Aktivvermögen des Schuldners die Verbindlichkeiten nicht mehr deckt.[103] Die Ermittlung erfolgt auf der Grundlage eines Überschuldungsstatus (stichtagsbezogene Überschuldungsbilanz).[104] Maßgeblich ist der tatsächliche Wert der vorhandenen Wirtschaftsgüter.[105] Stille Reserven, etwa handels- oder steuerrechtlich nicht aktivierbare immaterielle Wirtschaftsgüter sowie der „good-will“, sind zu berücksichtigen.[106] Der Buchwert unter Berücksichtigung der Abschreibungen gemäß Steuer- oder Handelsrecht ist dagegen nicht maßgeblich.[107] Auf der Passivseite sind alle echten Verbindlichkeiten, d.h. alle gegenwärtigen Zahlungsverpflichtungen, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus der Insolvenzmasse zu berichtigen wären, einzustellen.[108] Da die Regelung des § 19 Abs. 1 S. 2 InsO a.F. (bis auf Weiteres) nicht anwendbar bleibt, erscheint problematisch, ob die Feststellung des Marktwerts der vorhandenen Wirtschaftsgüter anhand von Liquidations- oder (regelmäßig höheren) Fortführungswerten zu erfolgen hat.[109] § 19 Abs. 1 S. 2 InsO a.F. sah den Ansatz zu „going-concern-Werten“ vor, wenn eine positive Fortführungsprognose gestellt werden konnte. Aktuell scheidet Überschuldung bei positiver Fortführungsprognose – auch als Krisenmerkmal i.S.d. § 283 Abs. 1 StGB – dagegen bereits a priori aus.[110] Der Prognosezeitraum soll sich (entsprechend der im Kontext drohender Zahlungsunfähigkeit relevanten Zeitspanne) regelmäßig auf das laufende sowie das folgende Geschäftsjahr beziehen.[111] Einer strafrechtlichen Restriktion bedarf der Grad der Wahrscheinlichkeit einer positiven Fortführungsprognose. Während insolvenzrechtlich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Fortführung erforderlich ist,[112] kommt es strafrechtlich darauf an, dass die Fortführung nicht gänzlich unwahrscheinlich ist.[113] Neben dem Grundsatz „in dubio pro reo“ [114] ist strafrechtlich zu bedenken, dass Überschuldung in diesem Kontext eine derart vertiefte wirtschaftliche Krise beschreiben soll, die im Falle einer Bankrotthandlung Strafwürdigkeit begründet. Letzteres ist bei Vorliegen bilanzieller Überschuldung nur der Fall, wenn die Unternehmensfortführung mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist.[115] Die Bewertungsproblematik der Wirtschaftsgüter stellt sich daher nur bei (mit hoher Wahrscheinlichkeit) negativer Fortführungsprognose. Der tatsächliche Wert vorhandener Vermögensgegenstände wird (häufig maßgeblich) dadurch beeinflusst, ob deren Verwertung im Rahmen einer Liquidation oder der Unternehmensfortführung realisiert werden soll. Da das letztgenannte Szenario im Falle einer negativen Fortführungsprognose faktisch ausscheidet, ist die Wertermittlung bei der Feststellung von Überschuldung im Kontext von § 283 StGB an den Liquidationswerten, nicht dagegen am „going-concern-Wertansatz“, auszurichten.[116] Sofern strafrechtlich eine negative Fortführungsprognose festgestellt ist, besteht kein Anlass bei Ermittlung des tatsächlichen Werts, dennoch die Fiktion einer Unternehmensfortführung zu berücksichtigen. Im Falle einer positiven Fortführungsprognose bedarf es einer zusätzlichen Prüfung anhand eines Überschuldungsstatus, wie gesehen, nicht mehr, da in diesem Fall Überschuldung unabhängig von dem Ergebnis des Vermögensvergleichs ausscheidet. Die Feststellung von Überschuldung bereitet in der Praxis häufig Probleme. Nach überwiegender Ansicht im Schrifttum sei von Überschuldung nur auszugehen, wenn sämtliche ernsthaft vertretenen Schätzungsmethoden das Vorliegen von Überschuldung feststellen,[117] was die Anwendung häufig auf evidente Krisenfälle beschränkt.[118]
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