Bankrott und strafrechtliche Organhaftung. Jörg Habetha

Bankrott und strafrechtliche Organhaftung - Jörg Habetha


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von § 283 StGB bloße Zahlungsstockungen, wie gesehen, nicht genügen,[60] ist zusätzlich eine prognostische Beurteilung der Zeitraumilliquidität anhand eines Finanzplans erforderlich, um auch zukünftige, innerhalb des mindestens sechswöchigen Prognosezeitraums zu erwartende Liquiditätszuflüsse und fällig werdende Verbindlichkeiten zu erfassen.[61] Zu berücksichtigen sind auch kurzfristig veräußerbare Vermögensgegenstände bzw. sonst liquide Mittel, die kurzfristig, ggf. auch durch Kredite, beschafft werden können.[62]

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      Darüber hinaus hat die Rechtsprechung gebilligt, Zahlungsunfähigkeit (alternativ) allein anhand wirtschaftskriminalistischer Beweisanzeichen – die auch im Rahmen von § 17 Abs. 2 InsO Indizien einer Zahlungsunfähigkeit sind – festzustellen.[63] Dies relativiert die praktische Bedeutung einer eigenständigen Auslegung des Merkmals Zahlungsunfähigkeit im strafrechtlichen Kontext.[64] Zu den insoweit relevanten Indizien zählen etwa Mahnungen, die Zustellung von Mahn- oder Vollstreckungsbescheiden, Scheck- und Wechselproteste, der Verzicht auf Skonti, die erkennbare Suche nach Kreditgebern oder erhebliche Ausweitung der Kreditlinie, ein Wechsel der Hausbank oder Kontenpfändungen.[65] Zudem ist insbesondere eine längerfristige bilanzielle Überschuldung Indiz dafür, dass eine Zahlungsunfähigkeit nicht nur vorübergehenden Charakter besitzt. Die durch eine andauernde Überschuldung belegte, manifeste negative Eigenkapitalbilanz erschwert die Beschaffung von zusätzlichem, liquiditätssicherndem Fremdkapital nicht selten erheblich oder schließt diese aus.[66] Die Kumulation derartiger Beweisanzeichen, die eine Zahlungsunfähigkeit belegt, erfolgt anhand eines chronologischen Warnzeichendiagramms.[67]

      Teil 3 Anwendungsbereich des Bankrotts in der Krise des Bankkunden – Schutzzweck und Reichweite der KrisenmerkmaleB › III. Drohende Zahlungsunfähigkeit

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      Die Zieldivergenz zwischen Insolvenzverfahren und Strafrecht ist im Rahmen des Krisenmerkmals drohender Zahlungsunfähigkeit besonders ausgeprägt. Der Insolvenzgrund drohender Zahlungsunfähigkeit i.S. von § 18 Abs. 1 InsO verlangt, dass der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage ist, die bestehenden Zahlungspflichten zum Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen.[68] Ziel des ergänzend eingeführten Insolvenzeröffnungstatbestands ist es, dem Schuldner eine frühzeitige Insolvenzantragstellung zu ermöglichen, um rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu Erhalt, Sanierung und Fortführung des betroffenen Unternehmens treffen zu können.[69] Im Gegensatz hierzu bewirkt das Merkmal im strafrechtlichen Regelungskontext eine erhebliche Vorverlagerung der Strafbarkeit.[70] Der Zielkonflikt liegt deutlich zu Tage.[71] Dieser Umstand verhindert nicht selten die Verwirklichung der insolvenzrechtlichen Intention des Gesetzgebers.[72] Die unbesehene Übernahme des insolvenzrechtlichen Begriffsverständnisses scheidet daher auch hier aus.[73] Das Tatbestandsmerkmal einer „drohenden“ Zahlungsunfähigkeit umschreibt sowohl den erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit, mit dem der Eintritt von Zahlungsunfähigkeit zu erwarten ist, gleichzeitig den im Rahmen der Prognose zu berücksichtigenden Zeitraum. Das Merkmal ist im Rahmen von § 283 Abs. 1 StGB mit Blick auf das Erfordernis ausreichender Strafwürdigkeit sowie auf Art. 103 Abs. 2 GG[74] Ansatzpunkt von Restriktionen.[75] Überdies ist ebenfalls der strafprozessuale Grundsatz „in dubio pro reo“ zu beachten, der zu einer restriktiven Handhabung der insolvenzrechtlichen „Vorgabe“ im Rahmen des Bankrotts führt.[76] Dies gilt sowohl für die Kriterien der Zahlungsunfähigkeit, an denen die drohende Zahlungsunfähigkeit anknüpft, als auch für die zusätzlichen prognostischen Elemente.

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      Mit Blick auf das Schutzgut von § 283 Abs. 1 StGB wird die Intensität der Gefährdung wirtschaftlicher Interessen der Gläubigerschaft sowohl durch den Grad der Wahrscheinlichkeit des späteren Eintritts von Zahlungsunfähigkeit des Schuldners[77] als auch durch die zeitliche Nähe dieser Folge[78] bestimmt. Strafrechtlich genügt nicht eine „nahe liegende Möglichkeit“ des Eintritts von Zahlungsunfähigkeit. Erforderlich ist, dass unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls der Eintritt von Zahlungsunfähigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.[79] Dabei sind nur bereits entstandene, d.h. rechtlich bereits begründete, Zahlungspflichten zu berücksichtigen.[80] Die zu prognostizierende Liquiditätslücke muss auch hier einen wesentlichen Teil der Verbindlichkeiten erfassen, d.h. mindestens 25 % betragen.[81] Darüber hinaus bedarf ebenfalls der Prognosezeitraum zusätzlicher Restriktion. Ein Abstellen auf den letzten Fälligkeitszeitpunkt bestehender Verbindlichkeiten[82] ist gerade mit Blick auf begründete Dauerschuldverhältnisse zu weitgehend. Die Prognoseunsicherheit wächst mit zunehmender Zeitspanne deutlich und gerät zunehmend in den Bereich der Spekulation. Ein ausgedehnter Prognosezeitraum ist zwar mit dem insolvenzrechtlichen Zweck von § 18 InsO, dagegen nicht mit dem strafrechtlich maßgeblichen Strafwürdigkeitserfordernis vereinbar. Zugleich erfordert Art. 103 Abs. 2 GG eine feste Obergrenze.[83] Der zu betrachtende Zeitraum, der noch eine hinreichend sichere Finanzvorschau erlaubt, beträgt regelmäßig ein Jahr.[84] Der bei längeren Zeiträumen zunehmenden Prognoseunsicherheit kann auch durch eine Erhöhung des erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrads kaum mehr hinreichend sicher begegnet werden.[85]

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      Daneben sind sämtliche zur Verfügung stehenden Mittel, d.h. neben der vorhandenen Liquidität und den zu erwartenden Einnahmen, insbesondere auch verfügbare „Kreditmöglichkeiten“ sowie die zu erwartende Auftragsentwicklung, zu berücksichtigen.[86] Die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit muss bereits zum Zeitpunkt der Vornahme der Bankrotthandlung – nicht erst danach – bestehen.[87] Drohende Zahlungsunfähigkeit kann betriebswirtschaftlich insbesondere durch eine Finanzvorschau und Liquiditätsplanung ermittelt werden.[88] Daneben kommt (alternativ) die Feststellung auf der Grundlage kriminalistischer Beweisanzeichen in Betracht,[89] wobei freilich zu bedenken ist, dass im Vergleich zu eingetretener Zahlungsunfähigkeit bereits schwächere Anzeichen, etwa drohende Schadenersatzansprüche, drohende Zusammenbrüche wichtiger Kunden, die drohende Kündigung von Bankkrediten oder der anhaltend stockende Ausgleich laufender Verbindlichkeiten als Indizien in Betracht kommen.[90] Andererseits ist der Schluss, dass die Unternehmensleitung solchen Entwicklungen nicht (rechtzeitig) entgegensteuern kann, nur selten mit der erforderlichen Sicherheit zu ziehen.

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      Wegen der Ungewissheit der weiteren Entwicklung besteht eine Parallele zum Insolvenzgrund der Überschuldung, der allerdings anders als (drohende) Zahlungsunfähigkeit nicht an der Liquiditäts-, sondern an der Vermögenslage des Unternehmens anknüpft. Der Eintritt von Überschuldung ist zugleich Indiz drohender Zahlungsunfähigkeit, da der Mangel an Eigenkapital in Relation zum Fremdkapitalanteil des Vermögens eine zukünftige Fremdkapitalfinanzierung erschwert. Dies gilt insbesondere bei längerfristiger Überschuldung.[91] Überschuldung scheidet sowohl im insolvenz- wie im strafrechtlichen Sinn bei Bestehen einer positiven Fortführungsprognose aus.[92] Eine positive Fortführungsprognose kann gestellt werden, wenn die ökonomische Ertrags- und Leistungsfähigkeit nach sachkundiger Prüfung aller maßgeblichen erkennbaren Umstände absehbar gewährleistet oder wiederhergestellt werden kann, wobei insbesondere auch eine Liquiditätsplanung erforderlich ist.[93] Dieser Grundgedanke ist auf das Krisenmerkmal drohender Zahlungsunfähigkeit im Zusammenhang des § 283 StGB übertragbar. Die im Rahmen der Fortführungsprognose anzustellende Beurteilung erscheint mit der prognostischen Prüfung drohender Zahlungsunfähigkeit insoweit durchaus vergleichbar. Die Prüfungsinhalte überschneiden sich jedenfalls in wesentlichen Teilbereichen.[94] Die wirtschaftliche Krise, die durch eine drohende Zahlungsunfähigkeit beschrieben wird, hat dann kein hinreichendes, Strafwürdigkeit auslösendes Gewicht, wenn dem Betroffenen trotz vorhandener gegenläufiger Indizien (die auf drohende Zahlungsunfähigkeit hindeuten) eine Fortführung des Unternehmens nach Behebung der sich andeutenden Liquiditätskrise voraussichtlich dennoch möglich sein wird. Jedenfalls kann in diesen Fällen eine Überwindung des drohenden Liquiditätsdefizits nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden, so dass die Fortführung nicht gänzlich unwahrscheinlich ist. Der Insolvenzgrund drohender Zahlungsunfähigkeit kann im Insolvenzrecht auf derartige


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