Bankrott und strafrechtliche Organhaftung. Jörg Habetha

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bewirkt, sind aufgrund des abweichenden Regelungszusammenhangs und der damit verbundenen Relativität der Rechtsbegriffe sowie der deutlich divergierenden Zielrichtungen der betroffenen Normen nicht vermeidbar.

      Teil 3 Anwendungsbereich des Bankrotts in der Krise des Bankkunden – Schutzzweck und Reichweite der KrisenmerkmaleB › II. Zahlungsunfähigkeit

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      Zahlungsunfähigkeit liegt nach insolvenzrechtlicher Legaldefinition vor, wenn der Schuldner nicht mehr in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 S. 1 InsO). Auf die noch vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung erforderlichen zusätzlichen Merkmale eines dauerhaften Unvermögens des Schuldners, seine aktuell zu erfüllenden Verbindlichkeiten noch im Wesentlichen zu befriedigen, hat der Gesetzgeber dagegen bewusst verzichtet, um durch die Erweiterung dieses Insolvenzgrundes eine frühzeitige Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu gewährleisten.[37] Allein an der Voraussetzung eines ernsthaften Einforderns hält die Rechtsprechung in Zivilsachen im Rahmen eines „insolvenzrechtlichen Fälligkeitsbegriffs“ auch nach Einführung der Insolvenzordnung, wie gesehen, fest.[38]

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      Es ist umstritten, ob die insolvenzrechtlichen Weiterungen bei der strafrechtlichen Definition des Krisenmerkmals „Zahlungsunfähigkeit“ bindend zu berücksichtigen sind. Die Rechtsprechung[39] und Teile des Schrifttums[40] legen der strafrechtlichen Begriffsbestimmung auch insoweit eine strenge Zivilrechtsakzessorietät zu Grunde. Danach sei die Maßgeblichkeit der Merkmale „Dauerhaftigkeit und Wesentlichkeit“ des Liquiditätsdefizits ebenfalls im Rahmen des § 283 Abs. 1 StGB entfallen.[41] Die Zeitspanne der Illiquidität müsse in Anlehnung an das Insolvenzrecht[42] noch mindestens drei Wochen umfassen; die Liquiditätslücke im Mindestmaß 10 % betragen.[43] Diese strikte Insolvenzrechtsakzessorietät ist jedoch, wie gezeigt, keineswegs zwingend. Eine eigenständige, von den insolvenzrechtlichen Vorgaben grundsätzlich gelöste, autonom strafrechtliche Begriffsbestimmung erscheint ebenso wenig sinnwidrig. Sie ist wegen des abweichenden Regelungszusammenhangs vielmehr vorzugswürdig. Die Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit, die die Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtfertigen, müssen strafrechtlich gesehen (am Maßstab des Bankrotts) nicht ohne Ausnahme eine in Zusammenschau mit der Bankrotthandlung ausreichende Gefährdung der ökonomischen Interessen der Gläubigerschaft begründen.[44] Die insolvenzrechtlichen „Vorgaben“ kennzeichnen das strafrechtlich relevante Unrecht (Ausmaß der Krisensituation) keineswegs ausnahmslos und hinreichend sicher.

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      Auch im Anschluss an die Insolvenzrechtsreform sind insolvenzrechtlich nur solche Forderungen in die Betrachtung einzubeziehen, die von Seiten der (Unternehmens-)Gläubiger ernsthaft eingefordert werden.[45] Dieses Kriterium wurde bereits zuvor zur Beschränkung des strafrechtlichen Krisenmerkmals „Zahlungsunfähigkeit“ herangezogen, da nur Forderungen, die bei Fälligkeit (i.S. von § 271 BGB) auch ernsthaft eingefordert werden, geeignet sind, Geldilliquidität i.S. einer manifesten Krisensituation zu begründen.[46] Teile des Schrifttums[47] und die Rechtsprechung,[48] die im Grundsatz einer strengen Insolvenzrechtsakzessorietät zuneigen, wollen dieses Kriterium im Anschluss an die Einführung der Insolvenzordnung allerdings aufgeben. Diese Auffassung wird jedoch gerade unter der Prämisse einer strengen Insolvenzrechtsakzessorietät im Anschluss an die aktuelle Rechtsprechung des BGH in Zivilsachen, die – im Unterschied hierzu – auch weiterhin an einem insolvenzrechtlichen Fälligkeitsbegriff unter Einschluss des Merkmals eines ernsthaften Einforderns festhält,[49] zu revidieren sein. Gerade eine streng an die insolvenzrechtlichen Vorgaben angelehnte strafrechtliche Begriffsausfüllung kann auf das Merkmal des „ernsthaften Einforderns“ nicht verzichten. Hinsichtlich dieses restriktiven Kriteriums besteht – zwischen einer strikten und einer (nur) funktionalen Insolvenzrechtsakzessorietät – nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH in Zivilsachen daher keine Diskrepanz (mehr). Unabhängig davon kann der strafrechtliche Krisenbegriff nicht weiter gefasst werden als der insolvenzrechtliche Eröffnungsgrund. Dieses Ergebnis ist auch mit Blick auf § 283 StGB sachlich zutreffend, da Verbindlichkeiten, bezüglich derer Gläubiger durch ein Unterlassen des Einforderns zu erkennen geben, dass keine sofortige Leistung erwartet wird, die aktuelle Liquiditätssituation faktisch nicht negativ beeinflussen.[50] In diesen Konstellationen genügt das Ausmaß der Krise (noch) nicht, um in Zusammenschau mit einer Bankrotthandlung des § 283 Abs. 1 StGB (und der objektiven Bedingung der Strafbarkeit, § 283 Abs. 6 StGB) ein strafwürdiges Unrecht zu begründen.

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      Eine strikt an den Parametern des Insolvenzrechts (Zeitraum der Illiquidität: drei Wochen; Liquiditätslücke 10 %) orientierte Auslegung genügt den strafrechtlichen Anforderungen an die Feststellung von Zahlungsunfähigkeit als Krisenmerkmal des § 283 Abs. 1 StGB nicht. Es handelt sich – auch in der insolvenzrechtlichen Judikatur – bei Lichte besehen nur um Richtwerte mit Indizcharakter. Die „10 %-Grenze“ markiert bei genauer Betrachtung nur einen Referenzwert für eine zivilrechtliche Beweislastverteilung: Während der Schuldner im Fall von Liquiditätslücken, die diesen Referenzwert übersteigen, die Beweislast dafür trägt, dass Zahlungsunfähigkeit nicht vorliegt, kehrt sich die Beweislastverteilung bei Unterschreitung des Schwellenwertes um.[51] In das Strafrecht kann diese Beweisregel schon prozessual unter Beachtung des „in dubio pro reo“ Satzes nicht übernommen werden.[52] Das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit ist selbst bei Erreichen oder Überschreiten dieser Grenze – selbst nach insolvenzrechtlicher „Vorgabe“ – widerlegbar, d.h. hierdurch keineswegs ausreichend sicher festgestellt. Aus diesem Grund ist strafrechtlich ein „Sicherheitszuschlag“ veranlasst. Um Unsicherheiten auszuschließen, ist im Rahmen von § 283 Abs. 1 StGB eine Liquiditätslücke von wenigstens 25 % der (ernsthaft eingeforderten) Verbindlichkeit erforderlich, um die Voraussetzungen des Krisenmerkmals zu begründen.[53]

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      Entsprechendes gilt für die strafrechtliche Feststellung der Dauerhaftigkeit der Liquiditätslücke zur Beurteilung der Zeitraumilliquidität.[54] Die dreiwöchige Frist berücksichtigt nur die Dauer, welche die Kapitalbeschaffung „für gewöhnlich“ erfordert.[55] In Einzelfällen besteht – auch nach der Rechtsprechung in Zivilsachen – die Möglichkeit, dass eine Liquiditätslücke – absehbar – noch zu einem späteren Zeitpunkt zurückgeführt werden kann.[56] Dies gilt insbesondere für (kleinere) Unternehmen, die wirtschaftlich nur von wenigen Auftraggebern abhängig sind.[57] Die Anwendung starrer Grenzen, die unabhängig vom jeweils zu würdigenden Einzelfall Geltung beanspruchen, erscheint im strafrechtlichen Kontext zur Abgrenzung zwischen (noch) straflosem und überhaupt strafbarem Verhalten problematisch. Jedenfalls ist strafrechtlich auch im Zusammenhang der Abgrenzung von Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsstockung ein Sicherheitszuschlag veranlasst. Strafrechtlich ist danach ein Illiquiditätszeitraum von wenigstens sechs Wochen Voraussetzung.[58]

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      Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Krisenmerkmal der Zahlungsunfähigkeit im Kontext der §§ 283 ff. StGB die Feststellung einer Liquiditätslücke von mindesten 25 % der fälligen – und ernsthaft eingeforderten – (Geld-)Verbindlichkeiten erfordert, die dauerhaft, d.h. wenigstens über einen Zeitraum von sechs Wochen (Zeitraumilliquidität) fortbesteht.

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      Die Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit sind durch eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung


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