Bankrott und strafrechtliche Organhaftung. Jörg Habetha
hinaus – nicht, so dass diese Interessen auch strafrechtlich durch § 283 StGB nicht besonders geschützt sind.[34] Der Schutz der „Funktionsfähigkeit des gesamtwirtschaftlichen Systems“ ist allenfalls als abstrakte – allgemeine – Zielbestimmung des Wirtschaftsstrafrechts geeignet. Der Einwand, dass insofern der Anlass zur Schaffung der Strafnorm mit der Rechtsgutsbestimmung in unzulässiger Weise vermengt wird,[35] trifft dementsprechend zu. Hinzu kommt, dass die reklamierten faktischen Auswirkungen von Bankrottstraftaten auf nicht unmittelbar beteiligte Unternehmen, die letztlich nur eine Addition von Einzelschäden enthalten,[36] nicht belegt sind. Zweifellos haben Insolvenzen einzelner, insbesondere großer Unternehmen auch wirtschaftlich nachteilige Auswirkungen über den Kreis unmittelbar betroffener Gläubiger hinaus. Die Bankrotthandlung betrifft allerdings (abgesehen von § 283 Abs. 2 und § 283b StGB) allein das zum Zeitpunkt der Krise (noch) vorhandene Vermögen des Schuldners. Dieses genügt häufig ohnehin nur, um die Gläubigerforderungen nur zu einem (sehr geringen) Bruchteil zurückzuführen.[37] Ausschlaggebend für den „Dominoeffekt“ ist damit nicht selten der Umstand der Insolvenz (Krise) allein,[38] ohne dass die Bankrotthandlungen gesamtwirtschaftliche Auswirkungen – überindividuell – noch zusätzlich nennenswert vertiefen. Gravierende Folgewirkungen über den unmittelbar betroffenen Gläubigerkreis hinaus treten überdies im Fall von Privatinsolvenzen, die ebenfalls von den §§ 283 ff. StGB erfasst werden,[39] praktisch nicht ein.[40] Hinzu kommt, dass dem Schuldner derartige Folgewirkungen auch nicht zugerechnet werden können.[41] Das Argument einer möglichen „Sog- oder Spiralwirkung“, die im Übrigen soweit ersichtlich auch empirisch nicht belegt ist, greift ebenso wenig. Der an den Auswirkungen der Konkurrentensituation im Wettbewerb orientierte Gedanke ist inhaltlich nicht auf die Konstellation der Bankrottdelikte übertragbar.[42] Zudem beinhaltet die Argumentation, durch die §§ 283 ff. StGB zu verhindern, dass Wettbewerber dem einzelnen „schlechten“ Vorbild folgend gleichfalls normwidrig handeln, bei Lichte besehen nur eine Umschreibung positiver Generalprävention als Funktion des Strafrechts allgemein.[43] Auch aus diesem Grund liefert das Argument keinen Anhaltspunkt für ein überindividuelles Rechtsgut des Bankrotts. Auswirkungen von Bankrottdelikten auf das „Gesamtwirtschaftliche System“ liegen danach außerhalb des Schutzzwecks der Bankrottdelikte. Ein möglicher überindividueller Schutzzweck ist – orientiert am Tatbestand des Bankrotts – enger einzugrenzen und präziser zu bestimmen.[44]
90
Teilweise wird – insoweit restriktiver – insbesondere die „Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft“ als bankrottrelevanter Bestandteil der Gesamtwirtschaft und eigenständiges überindividuelles Schutzgut herausgehoben.[45] Diese Auffassung beruht auf der Erwägung, dass insbesondere die Kreditwirtschaft typischerweise[46] von den Verhaltensweisen (mit-)betroffen wird, die durch die Insolvenzdelikte der §§ 283 ff. StGB inkriminiert sind.[47] Zugleich hebt diese Auffassung die besondere (gesamt-)wirtschaftliche Bedeutung des Kreditwesens hervor.[48] Die individuellen Vermögensinteressen der Gesamtgläubigerschaft einerseits sowie das „Funktionieren der Kreditwirtschaft“ andererseits, seien aus diesem Grund als gleichrangige Schutzgüter zu behandeln.[49] In diesem Zusammenhang wird auch der Kredit als bedeutsames „Instrument“ des modernen Wirtschaftsverkehrs als besonders geschützt eingestuft.[50] Zunächst ist festzuhalten, dass der Bankrotttatbestand – als Ausgangspunkt der Rechtsgutsbestimmung – einzelne Gläubigergruppen, die, wie etwa das Kreditgewerbe, typischerweise von Insolvenzen ihrer Geschäftspartner wirtschaftlich betroffen werden können, nicht bevorzugt. Die „Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft“ als überindividuelles Schutzgut der §§ 283 ff. StGB unterstellt, hätte in der vorliegend zu untersuchenden Konstellation die bemerkenswerte Konsequenz, dass eine Beeinträchtigung dieses überindividuellen Rechtsguts durch Angehörige des Kreditgewerbes selbst – so gesehen „aus sich selbst heraus“ – Gegenstand eines Bankrottdelikts wäre. Die Möglichkeit der Verwirklichung von Insolvenzdelikten durch Bankmitarbeiter im Interesse von Kreditinstituten spricht allerdings eher gegen dessen Anerkennung.
91
Der Gedanke, dass der Kredit häufig Ursache (drohender) Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ist,[51] führt im Rahmen der Rechtsgutsbestimmung nicht weiter, da insoweit nicht die Gründe der Insolvenz, sondern die typischen Auswirkungen der Bankrotthandlungen maßgeblich sind.[52] Allerdings betrifft § 283 StGB inhaltlich häufig Konstellationen, in denen Gläubiger, die Leistungen an den (potentiellen) Gemeinschuldner bewirken, ohne sogleich (Zug-um-Zug) die vertraglich vorgesehene Gegenleistung zu erhalten, dem Schuldner insofern „Kredit“ (in einem weiten Sinn) gewähren.[53] In diesen Fällen besteht das Bedürfnis, den Gläubiger in der Krise des Schuldners besonders zu schützen. Dieser tatsächliche Bezug des Bankrotts könnte dafür sprechen, allenfalls ein institutionalisiertes Vertrauen in das ökonomische „Instrument“ des Kredits (in diesem weit verstandenen Sinn) als überindividuellen Rechtsgutsaspekt in den Schutzumfang von § 283 StGB einzubeziehen.[54] Die Ansprüche des konkret (individuell) betroffenen Kreditgebers sind jedoch bereits materieller Bestandteil der individuell geschützten Gläubigerinteressen.[55] Daneben werden von den §§ 283 ff. StGB überdies auch Ansprüche des Fiskus oder der Sozialversicherungsträger erfasst.[56] Derartige Forderungen beruhen nicht auf Kredit (in weitem Sinn) und stehen aus diesem Grund mit der Kreditwirtschaft in keiner Verbindung.
92
Der Schuldner verletzt oder gefährdet durch Bankrotthandlungen über die wirtschaftlichen Interessen des konkret betroffenen Gläubigerkreises – allein gegenüber diesem Kreis besteht die strafrechtliche Sonderpflicht[57] – richtigerweise kein gesamtökonomisches Vertrauen in den „Kredit“ oder die „Funktionsfähigkeit des Kreditwesens“. Typische gesamtwirtschaftliche Auswirkungen von Insolvenzdelikten,[58] speziell für die Kreditwirtschaft, mögen unter dem Aspekt der Strafwürdigkeit bestimmter Tathandlungen in der Krise Anlass des Gesetzgebers zur Normierung der Bankrottdelikte sein. Ein schuldrelevanter Bezug zu diesen überindividuellen Aspekten liegt jedoch nicht vor.[59] Die ins Feld geführten überindividuellen Rechtsgutsaspekte, insbesondere Gefahren für die „Funktionsfähigkeit“ der Kreditwirtschaft, beinhalten einen bloßen „Schutzreflex“, der sich aus den individuell geschützten Vermögensinteressen der Gesamtgläubigerschaft ableitet.[60] Es handelt sich letztlich (nur) um „mittelbare Gläubigerschäden“ ohne eigenständigen überindividuellen Schutzgutcharakter.[61] Allein die herausgehobene volkswirtschaftliche Bedeutung des Kreditwesens „erhebt“ diesen Wirtschaftssektor nicht zum überindividuellen Schutzgut der Bankrottdelikte.[62] Dementsprechend besteht eine besondere strafrechtliche Verpflichtung des Schuldners – als Sonderpflicht des Normadressaten von § 283 StGB – ausschließlich gegenüber seiner individualisierten Gläubigerschaft, nicht aber gegenüber einem Gemeinwesen, der Volkswirtschaft oder der Kreditwirtschaft als Ausschnitt hieraus.[63] In der nach Eintritt der Krise begründeten Sonderpflicht gegenüber der Gläubigerschaft liegt zugleich der Grund für die – von anderen Vermögensdelikten, die generell und krisenunabhängig gelten, abweichende – strafrechtliche Verantwortung bereits bei einfacher Fahrlässigkeit (vgl. § 283 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1 StGB), da der Schuldner in der Krise den Eintritt von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung besonders gewissenhaft zu prüfen hat und ihn in dieser Situation auch gegenüber den Gläubigern gesteigerte Sorgfaltspflichten treffen, so dass im Einzelfall bereits fahrlässiges Verhalten strafwürdig erscheint. Sofern eine Gläubigergefährdung außerhalb der Krise fahrlässig bewirkt wird (§ 283 Abs. 4 Nr. 2, Abs. 5 Nr. 2; § 283b Abs. 2 StGB), ist zu bedenken, dass nur Handlungen erfasst werden, die eine Krise herbeiführen und/oder mit einer Zahlungseinstellung, der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. der Ablehnung des Eröffnungsantrags mangels Masse „tatsächlich“ in Zusammenhang[64] stehen. Die Strafbarkeit fahrlässigen Verhaltens wird durch die objektive Bedingung der Strafbarkeit (§ 283 Abs. 6 StGB) erheblich limitiert, so dass die strafrechtliche Sanktion auch in diesen Fällen ohne überindividuellen Rechtsgutsbezug nicht unverhältnismäßig erscheint. Die hiermit verbundene Vorverlagerung der Strafbarkeit verlangt daher nicht nach einer Rechtfertigung durch Schöpfung übergeordneter (abstrakter) Rechtsgutsaspekte. Die etwa durch Betrug oder Untreue individuell verursachten Schäden sind ebenfalls – im Vergleich zum Bankrott sogar noch in gesteigertem Maß – geeignet, durch überindividuelle, volkswirtschaftlich