Bankrott und strafrechtliche Organhaftung. Jörg Habetha
3 Anwendungsbereich des Bankrotts in der Krise des Bankkunden – Schutzzweck und Reichweite der Krisenmerkmale › A. Normzweck der §§ 283 ff. StGB
A. Normzweck der §§ 283 ff. StGB
Teil 3 Anwendungsbereich des Bankrotts in der Krise des Bankkunden – Schutzzweck und Reichweite der Krisenmerkmale › A › I. Individuelles Rechtsgut – wirtschaftliche Interessen der Gläubigerschaft
I. Individuelles Rechtsgut – wirtschaftliche Interessen der Gläubigerschaft
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Die Insolvenzdelikte des 24. Abschnitts (§§ 283 StGB ff.) schützen die wirtschaftlichen Interessen der Gesamtgläubigerschaft i.S. einer faktischen Interessengemeinschaft.[1] Dieser Schutzzweck ist in den verschiedenen Straftatbeständen des Abschnitts unterschiedlich akzentuiert.[2] Allgemein zielen die Insolvenzdelikte im engeren Sinn darauf, das ökonomische Interesse der Gläubigerschaft an einem anteilig gleichmäßigen, möglichst auskömmlichen Ausgleich ihrer Forderungen (par condicio creditorum) zu sichern.[3] Die im Rahmen des Bankrotts (§ 283 Abs. 1 Nr. 1-8 StGB) und der übrigen Tatbestände des Abschnitts genannten Tathandlungen (Bankrotthandlungen) betreffen insbesondere eine unwirtschaftliche Verringerung, Verheimlichung oder einseitige Verteilung der Insolvenzmasse zum Nachteil der Gesamtgläubigerschaft.[4] Die Insolvenzdelikte sind damit „im Kern“ Vermögensdelikte.[5]
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Die Gestaltungsinteressen der Gläubiger im Rahmen des Insolvenzverfahrens werden überwiegend als (nur) unselbstständiger Teil der Vermögensinteressen qualifiziert.[6] Diese Einordnung ist stringent, auch wenn mit Einführung der Insolvenzordnung die Gestaltungsmöglichkeiten der Gläubiger erweitert wurden, so dass Bankrotthandlungen nicht selten zugleich mögliche Gestaltungsrechte (insolvenzrechtliche Befugnisse)[7] der betroffenen Gläubigerschaft einschränken.[8] Gleichwohl beinhalten insolvenzrechtliche Gestaltungsrechte, etwa die Fortführung (Sanierung) des betroffenen Unternehmens, nur ein neben die Liquidation des Vermögens tretendes, dem primären Verfahrensziel (Ausgleich der Forderungen der Gesamtgläubigerschaft) nach- bzw. untergeordnetes „Instrument“.[9] In Relation zum primären Ziel des Insolvenzverfahrens besitzen die erweiterten Gestaltungsmöglichkeiten danach keinen eigenständigen, gleichrangigen Charakter.[10] Sie werden dementsprechend bankrottstrafrechtlich ebenfalls nur als unselbstständiger Bestandteil der wirtschaftlichen Interessen, d.h. des Vermögens, der Gesamtgläubigerschaft vom Schutzzweck der §§ 283 ff. StGB erfasst.[11]
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Von Teilen des Schrifttums und der Rechtsprechung wird die Insolvenzmasse selbst neben den wirtschaftlichen Interessen der Gesamtgläubigerschaft als ein eigenständiges Schutzgut eingeordnet.[12] Der BGH hat zuletzt den „Schutz der Insolvenzmasse vor einer unwirtschaftlichen Verringerung zum Nachteil der Gesamtheit der Gläubiger“ als Rechtsgut des Bankrotts benannt.[13] Trotz der Betonung des Schutzes der Insolvenzmasse bleibt anhand dieser Formulierung offen, ob der 3. Strafsenat die Insolvenzmasse neben den wirtschaftlichen Interessen der Gesamtgläubigerschaft als eigenständiges Schutzgut einordnet. Die überwiegende Auffassung im Schrifttum lehnt eine selbstständige Einbeziehung der Insolvenzmasse in den Schutzumfang von § 283 StGB dagegen zu Recht ab.[14] Hierfür spricht zunächst, dass ein Schutzgut in Gestalt einer Insolvenzmasse zum Zeitpunkt der Tathandlung nicht zwingend existieren muss.[15] Zudem bleiben die Bestandteile der späteren Insolvenzmasse dem Eigentum (bzw. dem Vermögen) und bis zur Verfahrenseröffnung (abgesehen von vorläufigen Sicherungsmaßnahmen im Insolvenzeröffnungsverfahren) auch der Verfügungsberechtigung des Täters zugeordnet.[16] Gegen die Eigenschaft der (potentiellen) Insolvenzmasse als eigenständiges Schutzgut spricht ebenfalls die Formulierung des 3. Strafsenats, die (im Zusammenhang mit einem „Beiseiteschaffen“ i.S.v. § 283 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB) auf die Vermögensbestandsreduktion als notwendigen Zwischenschritt zur Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen der Gläubiger in ihrer Gesamtheit abstellt. Die Insolvenzmasse ist so gesehen Tatobjekt, nicht aber „Zwischenrechtsgut“.[17]
Teil 3 Anwendungsbereich des Bankrotts in der Krise des Bankkunden – Schutzzweck und Reichweite der Krisenmerkmale › A › II. Überindividuelles Rechtsgut – Schutz der Kreditwirtschaft?
II. Überindividuelles Rechtsgut – Schutz der Kreditwirtschaft?
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Über die individuellen Vermögensinteressen der konkret betroffenen Gläubiger (in ihrer Gesamtheit) hinaus werden in Rechtsprechung und Schrifttum zum Teil auch überindividuelle soziale Rechtsgüter benannt, die vom Schutzbereich der Bankrottdelikte erfasst seien. Zuletzt hat der BGH ausdrücklich den „Schutz des gesamtwirtschaftlichen Systems“ als Rechtsgut des § 283 StGB erneut bestätigt.[18] Ein Rechtsgut „Funktionsfähigkeit des gesamtwirtschaftlichen Systems“ erscheint allerdings bereits auf Grund seiner inhaltlichen Weite wenig griffig. Weder der Wortlaut von § 283 StGB noch die Gesetzesmaterialien[19] geben einen Hinweis auf den Schutz eines überindividuellen Rechtsguts neben den Vermögensinteressen des individuell betroffenen Gläubigerkreises.[20]
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Im Schrifttum werden als Anknüpfungspunkt einer Rechtsgutsbestimmung typische, geradezu notwendige Folgewirkungen der Verwirklichung des Tatbestands, die auch empirisch belegbar sind, herangezogen.[21] Derartige – nicht nur im Einzelfall mögliche, sondern generell auftretende – überindividuelle Auswirkungen (über den Kreis der jeweils unmittelbar betroffenen Gläubiger hinaus) kennzeichnen nach dieser Auffassung auch die Sozialschädlichkeit der durch die Bankrottdelikte inkriminierten Verhaltensweisen.[22] Die auf diese Weise betroffenen Allgemeininteressen seien daher vom Schutzumfang des § 283 StGB ebenfalls mit umfasst. Konkret werden zum Beleg typischer – gesamtwirtschaftlich schädlicher – Folgewirkungen von Bankrottstraftaten insbesondere zwei Aspekte ins Feld geführt: Einerseits begünstige die (zunehmend) starke wirtschaftliche Verflechtung der Gläubiger mit dritten Wirtschaftssubjekten die Folge, dass von Bankrottdelikten typischerweise auch Unternehmen (i.S. eines „Dominoeffekts“) mittelbar nachteilig betroffen werden, die selbst nicht in geschäftlichem Kontakt mit dem Schuldner stehen („Kettenreaktionsthese“).[23] Andererseits werde von Bankrottdelikten eine „Spiral- bzw. Sogwirkung“ ausgelöst, indem der Wettbewerbsvorteil des Wirtschaftsdelinquenten einen Anreiz für Wettbewerber schaffe, ihrerseits Wirtschaftsstraftaten zu begehen.[24] Überdies bringe erst ein überindividueller Schutzumfang, derartige „übergreifende Gefahren“ zu vermeiden, den Unrechtsgehalt des Bankrotts hinreichend sicher zur Geltung.[25] Allein der Bezug zu einem überindividuellen Schutzgut könne dementsprechend die Strafbarkeit wegen eines abstrakten Gefährdungsdelikts selbst bei nur einfacher Fahrlässigkeit (§§ 283 Abs. 4 und 5, 283b Abs. 2 StGB) hinreichend legitimieren.[26]
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Das Rechtsgut „Funktionsfähigkeit des gesamtwirtschaftlichen Systems“ ist schon inhaltlich schwer fassbar.[27] Die Volkswirtschaft beinhaltet eine Vielzahl unterschiedlicher Wirtschaftssubjekte, die mit häufig gegenläufigen Interessen, orientiert am eigenen ökonomischen Nutzen, wirtschaften.[28] Zudem fehlt auch ein greifbarer inhaltlicher Bezug zur besonderen Konstellation des Bankrotttatbestands, der ebenso wenig individuell die gesamte wirtschaftliche Aktivität des Gläubigers erfasst oder schützt.[29] Die hohe Abstraktionsstufe eines Rechtsguts „Gesamtwirtschaft“ bewirkt zugleich, dass die Funktion des Rechtsguts zur Auslegung des Straftatbestands beizutragen, gänzlich ausfällt.[30] Jedenfalls droht eine „ausufernde“ Auslegung.[31] Zugleich werden hierdurch auch Wertungsdifferenzen zum Insolvenzrecht begründet. Die Insolvenzordnung ist (ebenfalls) nicht von der Förderung gesamtwirtschaftlicher Interessen, sondern,