Gesellschaftsrecht I. Recht der Personengesellschaften. Ulrich Wackerbarth
allgemeinen Rechtsscheingrundsätzen haften deshalb diejenigen Personen, die den Rechtsschein erzeugt haben, Gesellschafter einer Gesellschaft zu sein und diesem Rechtsschein später nicht hinreichend entgegengetreten sind. Die Rechtsscheinhaftung in Bezug auf eine Scheingesellschaft setzt also voraus, dass die in Anspruch genommene Person in zurechenbarer Weise den Rechtsschein einer existierenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts und den ihrer Zugehörigkeit zu derselben gesetzt hat oder gegen den vorhandenen Rechtsschein nicht pflichtgemäß vorgegangen ist; außerdem muss sich der Dritte bei seinem geschäftlichen Verhalten auf den Rechtsschein verlassen haben.[38] Für die Verbindlichkeiten der Scheingesellschaft haften die Mitglieder derselben in entsprechender Anwendung des § 128 HGB.[39]
Beispiel:
Die Anwälte A, B und C haben eine Bürogemeinschaft (§ 59 a Abs. 3 BRAO) begründet. Dabei handelt es sich um eine BGB-Innengesellschaft (siehe dazu unten Rn. 181 ff.), in der jeder für sich handelt. Eine BGB-Außengesellschaft existiert nicht. Die Anwälte benutzen Briefbögen, auf denen unter der Bezeichnung „Anwaltsgemeinschaft“ die Namen von A, B und C aufgeführt sind. Mandant M meint deshalb, es handele sich um eine Anwaltssozietät in der Rechtsform der BGB-Gesellschaft. Er nimmt einen Termin bei B wahr und bittet darum, dass man ihn in einer Erbschaftssache berät und vertritt. B unterläuft dabei ein schwerer Fehler; M erleidet einen Schaden in Höhe von 120.000 €. Er nimmt deswegen auch den A, der als vermögend gilt, persönlich nach §§ 280, 31 (analog) BGB in Verbindung mit § 128 HGB in Anspruch. Briefbögen der von A, B und C gewählten Art begründen den Anschein einer Sozietät, also einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts.[40] Diesen Rechtsschein haben die Gesellschafter A, B und C in zurechenbarer Weise gesetzt. Da der Mandant im Zweifel den Vertrag mit der Sozietät, nicht aber mit dem Einzelanwalt abschließen will, ist Vertragspartnerin des M die Scheingesellschaft unter dem Namen „Anwaltsgemeinschaft“. B hat eine Pflichtverletzung begangen, für die die Scheingesellschaft nach §§ 280, 31 (analog) BGB haftet. Wegen dieser Verbindlichkeit der Gesellschaft kann M nach § 128 HGB analog auch den A in Anspruch nehmen.
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Scheingesellschafter ist auch derjenige, der aus einer bestehenden Gesellschaft ausgeschieden ist, aber weiterhin nach außen als Gesellschafter auftritt. Weil für den Rechtsverkehr nicht erkennbar wird, dass sich die personelle Zusammensetzung der Gesellschaft geändert hat, muss sich der ausgeschiedene Gesellschafter so behandeln lassen, als bestehe der bisherige Rechtszustand fort.[41] Der ausgeschiedene Gesellschafter haftet demnach nach Rechtsscheingrundsätzen auch für die nach seinem Ausscheiden entstandenen Verbindlichkeiten der Gesellschaft gemäß § 128 HGB analog.
Beispiel:
Rechtsanwalt R ist aus der Sozietät „A&B Rechtsanwälte GbR“ zum 31.12.2014 ausgeschieden. Auf dem von der Sozietät verwandten Briefbogen steht weiterhin der Name des R. Am 15.1.2015 kauft B im Namen der „A&B Rechtsanwälte GbR“ unter Verwendung des Briefkopfes, auf dem R noch als Sozius ausgewiesen ist, bei V Büromöbel für 22.000 €. Die Kaufpreisforderung des V ist eine Verbindlichkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, für die auch der ausgeschiedene R gemäß § 128 HGB analog und nach Rechtsscheingrundsätzen haftet, denn durch die Verwendung des Briefkopfes mit dem Namen des R ist nach außen der Eindruck erweckt worden, als habe sich die personelle Zusammensetzung der Gesellschaft nicht geändert.
a) Überblick
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Die Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft können grundsätzlich auch für Verbindlichkeiten der Gesellschaft aus gesetzlichen Schuldverhältnissen persönlich analog § 128 HGB mit ihrem Privatvermögen in Anspruch genommen werden. Nachdem der BGH (s. Rn. 118 f.) seine Auffassung zur persönlichen Haftung der Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts grundlegend geändert hat, ist er zu der Auffassung gelangt, die ausnahmslose Haftung der Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen auch für gesetzliche Verbindlichkeiten der Gesellschaft sei „im Modell der akzessorischen Haftung angelegt“[42]. Er betont, anders als bei rechtsgeschäftlichen Haftungsbegründungen könnten sich die Gläubiger einer gesetzlichen Verbindlichkeit ihren Schuldner nicht aussuchen; dann müsse aber erst recht wie bei vertraglichen Verbindlichkeiten das Privatvermögen der Gesellschafter als Haftungsmasse zur Verfügung stehen[43].
b) Ungerechtfertigte Bereicherung
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So können die Gesellschafter grundsätzlich aus § 812 BGB in Verbindung mit § 128 HGB analog von einem Gläubiger persönlich in Anspruch genommen werden, der einen Bereicherungsanspruch gegen die Gesellschaft erworben hat. Die Gesellschafter haften neben dem Gesellschaftsvermögen z. B. dann aus ungerechtfertigter Bereicherung, wenn die Bereicherung aus der Leistung eines Dritten an das Gesamthandsvermögen stammt, die der Erfüllung einer vermeintlichen vertraglichen Verpflichtung diente, und der Anspruch zur Rückabwicklung nun geltend gemacht wird.
Beispiel: Die X-BGB-Gesellschaft hat an K ein Grundstück veräußert. K hat einen Teil des Kaufpreises, nämlich 210.000 € bereits an die Gesellschaft gezahlt und anschließend den Kaufvertrag mit Erfolg angefochten. K hat nun einen Anspruch aus § 812 BGB gegen die Gesellschaft auf Rückzahlung der bereits gezahlten Summe. Für diese Verbindlichkeit der Gesellschaft haften die Gesellschafter persönlich gem. § 812 BGB i. V. m. § 128 HGB analog.
c) Unerlaubte Handlung
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Da die Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts grundsätzlich auch für gesetzlich begründete Verbindlichkeiten ihrer Gesellschaft persönlich und als Gesamtschuldner einzustehen haben[44], haften sie auch für Ansprüche aus unerlaubter Handlung, für welche die Gesellschaft selbst einzustehen hat. Für eine unerlaubte Handlung, die ein geschäftsführungsbefugter Gesellschafter in Ausführung seiner Tätigkeit einem Dritten gegenüber begangen hat, haftet dieser Gesellschafter dem Dritten selbst aus § 823 Abs. 1, § 823 Abs. 2 in Verbindung mit der Verletzung eines Schutzgesetzes oder aus § 826 BGB. Ob der Dritte sich wegen des ihm entstandenen Schadens auch an das Gesellschaftsvermögen und an die einzelnen Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen halten kann, war lange Zeit umstritten. Da die Rechtsfähigkeit der BGB-Außengesellschaft anerkannt ist[45] und die Anwendbarkeit des § 31 BGB auf gesetzliche Verbindlichkeiten außer Frage steht[46], kann der Gläubiger eines Anspruchs aus unerlaubter Handlung, den er gegen den geschäftsführenden Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft erworben hat, in Verbindung mit § 31 BGB auch gegen die Gesellschaft geltend machen. Das führt allerdings dazu, dass der Gläubiger eines solchen Anspruchs aus unerlaubter Handlung sich nicht nur an das Gesellschaftsvermögen, sondern, da es sich um eine Verbindlichkeit der Gesellschaft handelt, gem. § 128 HGB analog auch an die einzelnen Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen halten kann.
Beispiel:
A, B und C haben sich zu einer ARGE, also einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, zusammengeschlossen, welche ein Einkaufszentrum für eine Investorengruppe in der Rechtsform der GmbH bauen soll. B und C haben die Geschäftsführung auf A übertragen. A begeht der Investorengruppe gegenüber betrügerische Handlungen, durch welche dieser ein erheblicher Schaden entsteht. Die GmbH hat gegen A selbst Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung, und zwar aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. dem Betrugsparagraphen des StGB (§ 263) und aus § 826 BGB, erworben i. V. m. § 31 BGB kann die GmbH auch die Gesellschaft mit ihrem Vermögen in Anspruch nehmen, da A die unerlaubten Handlungen als geschäftsführenden Gesellschafter in Ausübung seiner Tätigkeit für die Gesellschaft begangen hat. Darüber hinaus haften auch B und C entsprechend § 128 HGB für diese Verbindlichkeit ihrer BGB-Gesellschaft aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis.
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