Gesellschaftsrecht I. Recht der Personengesellschaften. Ulrich Wackerbarth
dem Gesellschaftsvertrag mehrere Gesellschafter Einzel- oder Gesamtgeschäftsführungsbefugnis gem. § 710 BGB, so ist im Zweifel anzunehmen, dass sie dementsprechend Einzel- oder Gesamtvertretungsmacht haben sollen. Die Erteilung von Einzelvertretungsmacht muss nicht ausdrücklich erfolgen, sondern kann auch in konkludenter Form geschehen[21].
Beispiel:
In der aus A und B bestehenden Gesellschaft beschränkte A seinen Wirkungskreis über viele Jahre auf die internen Verhältnisse der Gesellschaft; dem anderen geschäftsführenden Gesellschafter B überließ der A ausschließlich die Regelung der Außenverhältnisse, d. h. er ließ ihm dafür freie Hand. Das führte dazu, dass B alle Verträge mit Dritten im Namen der Gesellschaft allein unterschrieb. Darin hat der BGH[22] eine konkludent erteilte Vollmacht zur Alleinvertretung der Gesellschaft gesehen. Im Zweifel handelt es sich um eine Duldungsvollmacht, weil A es wissentlich geschehen ließ, dass B für die Gesellschafter wie ein Alleinvertretungsbefugter auftrat. In der Duldung des A ist eine durch konkludentes Handeln abgegebene Willenserklärung zu sehen, mit der dem B die Alleinvertretungsbefugnis erteilt wurde.
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Die Gesellschafter haben die Möglichkeit, durch den Gesellschaftsvertrag die Vertretungsmacht unabhängig von der Geschäftsführungsbefugnis zu regeln. Haben die Gesellschafter vertraglich Einzelgeschäftsführung mit Einzelvertretungsmacht vereinbart, so lässt ein Widerspruch, den ein Gesellschafter gem. § 711 BGB gegen Geschäftsführungsmaßnahmen einlegt, die zugleich eine Vertretungshandlung darstellen, die Vertretungsmacht unberührt[23]. Der Widerspruch kann nach außen, d. h. im Verhältnis zu Dritten im Interesse der Verkehrssicherheit jedenfalls dann keine Wirkung entfalten, wenn er Dritten nicht bekannt war.
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Der Umfang der Vertretungsmacht kann im Gegensatz zur OHG (§ 126 HGB) beliebig eingeschränkt werden. Da durch den Zusammenschluss der Gesellschafter bei einer BGB-Gesellschaft eine unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht in Analogie zu § 126 HGB wie bei der OHG nicht begründet wird, kann es zu Schwierigkeiten kommen, wenn die Geschäftsführungsbefugnis der Gesellschafter und damit auch deren Vertretungsbefugnis beschränkt ist, aber ein Gesellschafter gegenüber Dritten seine Vertretungsmacht überschreitet.
Beispiel:
Der Gesellschaftsvertrag sieht Einzelvertretung vor, beschränkt die Geschäftsführungsbefugnis aber auf 10.000 €. Gesellschafter B kauft für und im Namen der Gesellschaft bei V einen PKW für 20.000 €. Hier hat B die Grenzen der Vertretungsmacht überschritten. Er konnte die Gesellschaft nicht wirksam vertreten.
Soweit ein Gesellschafter die Grenzen der Vertretungsmacht überschreitet, handelt er als Vertreter ohne Vertretungsmacht. Die §§ 177 bis 179 BGB sind anwendbar.
Beispiel:
Im oben genannten Beispiel ist B Vertreter ohne Vertretungsmacht. Der Vertrag zwischen der BGB-Gesellschaft und V ist schwebend unwirksam (§ 177 Abs. 1 BGB). Falls die Gesellschaft den Vertrag nicht genehmigt, haftet B gem. § 179 Abs. 1 BGB.
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Das Verbot des Selbstkontrahierens gilt auch für die Geschäftsführer der BGB-Gesellschaft, wenn sie im Namen der Gesellschaft mit sich selbst im eigenen Namen oder als Vertreter eines Dritten rechtsgeschäftlich handeln, es sei denn, es liegt eine der in § 181 BGB genannten Ausnahmen vor.
Ebenso wie die Geschäftsführungsbefugnis kann auch die Vertretungsmacht nach §§ 715, 712 BGB entzogen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt (s. dazu Rn. 89). Falls die Vertretungsmacht in Verbindung mit der Geschäftsführungsbefugnis erteilt worden ist, kann sie nur mit der Geschäftsführungsbefugnis zusammen entzogen werden (§ 715 BGB).
In dem oben als Fall 8 (Rn. 73 u. 100) geschilderten Beispiel kann G aus dem genannten wichtigen Grund nicht nur die Geschäftsführungsbefugnis, sondern auch die Vertretungsmacht entzogen werden.
2. Der Grundsatz der Selbstorganschaft
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Nach h. M. gilt für Personengesellschaften der Grundsatz der Selbstorganschaft bzw. das Verbot der Drittorganschaft. Das bedeutet, dass außenstehenden Dritten zwar rechtsgeschäftliche, aber keine organschaftliche Vertretungsmacht eingeräumt werden kann. Auch bei der BGB-Gesellschaft kann also nicht gesellschaftsvertraglich vereinbart werden, dass alle Gesellschafter von der Vertretung und Geschäftsführung der Gesellschaft ausgeschlossen werden sollen und stattdessen ein Nichtgesellschafter geschäftsführungs- und vertretungsbefugt sein soll[24]. Der Grundsatz der Selbstorganschaft ist weder aus dem BGB noch aus dem HGB direkt abzuleiten. Man führt ihn auf das Verbot der Abspaltung von Mitverwaltungsrechten von der Gesellschafterstellung zurück. Begründet wird er außerdem mit dem Wesen der Personengesellschaft, wonach eine zwingende Verbindung von Mitgliedschaft und Geschäftsführung bestehen soll, die idealiter zur einsatzbereiten und verantwortungsbewussten Geschäftsleitung führt. Dabei wird unterstellt, dass die Koppelung von Unternehmensleitung und persönlicher Haftung einen Kontrollmechanismus darstellt, der eine anderweitige Überwachung durch Abberufung und Organhaftung überflüssig macht[25].
Der Grundsatz der Selbstorganschaft schließt nicht die Möglichkeit aus, dass die Gesellschafter durch einen Gesellschafterbeschluss oder von vornherein durch eine entsprechende Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag einen Dritten in mehr oder weniger weitem Umfang mit Geschäftsführungsaufgaben betrauen und ihm dazu die entsprechende Vollmacht erteilen. Voraussetzung für die Wirksamkeit einer solchen Maßnahme ist es, dass die Gesellschafter selbst die organschaftliche Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis behalten.[26]
Beispiel:
Die Gesellschafter A, B und C, die ein „Air-Konsortium“ gebildet haben, um einen kompletten Flughafen zu bauen, betrauen die S-GmbH damit, geeignete Unternehmen für den Bau der Start- und Landebahnen und das Flughafengebäude auszusuchen und gegebenenfalls für das Konsortium die entsprechenden Verträge abzuschließen. Der Geschäftsführer der S-GmbH G schließt mit der U-GmbH für und im Namen des „Air-Konsortium“ einen Vertrag über die Lieferung von Fertigbetonteilen ab. Hier hat die BGB-Gesellschaft mit der S-GmbH einen Geschäftsbesorgungsvertrag abgeschlossen und dieser zugleich eine entsprechende Vollmacht erteilt, ohne dass die Gesellschafter ihre organschaftliche Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis aufgegeben haben. Die S-GmbH konnte also durch G als ihrem gesetzlichen Vertreter für das „Air-Konsortium“ einen wirksamen Vertrag mit der U-GmbH abschließen.
Teil II Die BGB-Gesellschaft › § 6 Die Rechtsbeziehungen der BGB-Gesellschaft zu Dritten › III. Die Haftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft
1. Die akzessorische Haftung der Gesellschafter für rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten
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Für alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet stets das Gesellschaftsvermögen. Ob und ggf. auf welche Art und Weise daneben auch unmittelbar die einzelnen Gesellschafter als Gesamtschuldner mit ihrem Privatvermögen in Anspruch genommen werden können, war lange Zeit heftig umstritten. Vor allem wurde die Meinung vertreten, zur Begründung