Gesellschaftsrecht I. Recht der Personengesellschaften. Ulrich Wackerbarth
bestehenden allgemeinen Loyalitätspflichten nach § 242 BGB deutlich hinaus. Sie kann sich zu konkreten Förder- und Interessenwahrungspflichten verdichten. Pflichten dieser Art werden Treuepflichten genannt[29]. Ihre Grundlage finden sie im Gesellschaftsvertrag i. V. m. § 242 BGB.
Mit der Gründung oder dem Beitritt zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts übernehmen die Gesellschafter die gemeinsame Verpflichtung, ihr Handeln an dem von der Gesellschaft verfolgten Zweck auszurichten und seine Verwirklichung zu fördern.[30] Diese gesellschaftsrechtliche Treuepflicht ist eine Nebenpflicht der Gesellschafter, die gegenüber der Gesellschaft die Pflicht einschließt, deren Interessen zu wahren und gesellschaftsschädliche Handlungen zu unterlassen.[31] Die Gesellschafter sind also gehalten, zur Verwirklichung des gemeinsamen Zwecks beizutragen und dabei die Belange der Gesellschaft und auch die ihrer Mitgesellschafter zu berücksichtigen[32].
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Den durch den Gesellschaftsvertrag festgelegten und vereinbarten gemeinsamen Interessen kommt stets Vorrang zu. Für die Wahrnehmung eigener Interessen der Gesellschafter ist nur Raum, wenn dadurch die Belange der Gesellschaft nicht tangiert werden[33]. Soweit die Ausübung eigennütziger, den Gesellschaftern im eigenen Interesse verliehener Gesellschafterrechte in Frage steht, hat die Treuepflicht Schrankenfunktion. Sie verpflichtet den Gesellschafter zur Wahl des schonendsten Mittels bei der Verfolgung seiner Interessen. Daraus können sich Unterlassungspflichten, wie z. B. Wettbewerbsverbote, aber von Fall zu Fall auch Pflichten zu aktivem Tun, wie z. B. ausnahmsweise zur Vertragsanpassung, ergeben. Treuepflichtig sind vor allem, aber nicht nur, die die Geschäfte führenden Gesellschafter[34].
Beispiel:
A, B, C und D haben sich zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zusammengeschlossen, die auf dem Grundstück der X-GmbH die „Rathausgalerie“, ein Einkaufszentrum, errichten und auch für die Vermietung der zu schaffenden Ladenlokale sorgen soll. C und D gründen ohne Wissen der übrigen Gesellschafter eine weitere BGB-Gesellschaft, die „M-GbR“, zu dem Zweck, Marketing für die Rathausgalerie zu betreiben. Für die gelungene Anwerbung von Mietern verlangt die „M-GbR“ von diesen eine „Verwaltungsgebühr“ von 5% pro vermieteten Quadratmeter Ladenfläche. Mit diesem Verhalten haben C und D gegenüber der Altgesellschaft und gegenüber deren Gesellschaftern gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht verstoßen. Die Treuepflicht gebot es C und D, die Mitgesellschafter A und B über solche Vorgänge vollständig zu informieren, die deren mitgliedschaftliche Vermögensinteressen berühren. Darüber hinaus waren sie kraft der Treuepflicht gehalten, die Interessen der Gesellschaft zu wahren und ihre eigenen Belange zurückzustellen. Dazu gehört im konkreten Fall, dass C und D Geschäftschancen auf dem Betätigungsfeld der Altgesellschaft nicht für sich und zum eigenen Vorteil, sondern zu Gunsten der Gesellschaft nutzen mussten.[35] Wegen Verletzung der Treuepflichten haben die Altgesellschaft und A und B einen Anspruch auf Unterlassung der Marketingaktivitäten und im Zweifel auch einen Schadensersatzanspruch aus § 280 BGB auf die ihnen entgangenen „Verwaltungsgebühren“ gegen C und D.
Bei den Treuepflichten geht es sowohl im Verhältnis der Gesellschafter zur Gesellschaft als auch im Verhältnis der Gesellschafter zu den Mitgesellschaftern stets um den durch den Gesellschaftszweck definierten mitgliedschaftlichen Bereich, also um das Innenverhältnis[36].
6. Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung der Gesellschafter
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Anerkannt ist der verbandsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, der besagt, dass jedes Mitglied unter gleichen Voraussetzungen ebenso zu behandeln ist wie die übrigen Mitglieder. Anders ausgedrückt bedeutet dies ein Verbot unsachlicher Differenzierung zwischen den Gesellschaftern[37] bzw. ein Verbot sachlich nicht gerechtfertigter, willkürlicher Ungleichbehandlung der Gesellschafter. Dieser Grundsatz ist dispositiver Natur, soweit nicht die Schranke des § 138 BGB eingreift[38]. Wie sich der Gleichbehandlungsgrundsatz auf die Gesellschafter auswirkt, richtet sich nach der Struktur der Vereinigung. Für die BGB-Gesellschaft hat das Gesetz in den §§ 706, 709 Abs. 2, 722, 734 f. BGB zu erkennen gegeben, dass es von einer gewissen Gleichberechtigung der Gesellschafter ausgeht. Dabei handelt es sich jedoch überwiegend um Auslegungsregeln.
Beispiel:
Im Hinblick auf die Beitragsleistung kann sich jeder Gesellschafter, gestützt auf den Gleichbehandlungsgrundsatz, weigern, in stärkerem Maße als die Mitgesellschafter auf Erfüllung in Anspruch genommen zu werden, sofern nicht eine Ungleichbehandlung im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist oder ein sachlich gerechtfertigter Grund für diese Ungleichbehandlung vorliegt[39].
7. Die Verteilung von Gewinn und Verlust
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Nach der gesetzlichen Regelung haben die Gesellschafter ohne Rücksicht auf die Höhe des von ihnen zu erbringenden Beitrages gleichen Anteil am Gewinn und Verlust (§ 722 BGB). Es ist den Gesellschaftern jedoch unbenommen, gestützt auf die Vertragsfreiheit im Gesellschaftsvertrag eine Gewinn- und Verlustbeteiligung nach Kapitaleinlagen oder anderen Gesichtspunkten zu vereinbaren. Wenn im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart ist, entsteht der Anspruch auf Auszahlung des Gewinns bei auf Dauer angelegten Gesellschaften gem. § 721 BGB am Jahresschluss mit Feststellung der Bilanz. Bei Gelegenheitsgesellschaften entsteht der Gewinnanspruch mit der Auflösung der Gesellschaft als Auseinandersetzungsanspruch (§§ 730, 734 BGB).
Teil II Die BGB-Gesellschaft › § 5 Die Rechtsbeziehungen der Gesellschafter untereinander (Innenverhältnis) › IV. Das Geltendmachen von Forderungen, die der Gesellschaft gegen einzelne Gesellschafter zustehen
IV. Das Geltendmachen von Forderungen, die der Gesellschaft gegen einzelne Gesellschafter zustehen
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Erfüllt ein Gesellschafter die ihm aus dem Gesellschaftsverhältnis erwachsenden Verpflichtungen nicht, kann die Gesamtheit der Gesellschafter den Anspruch auf Erfüllung gegen diesen Gesellschafter geltend machen (Sozialanspruch). Aus der Personenbezogenheit der gesellschaftlichen Rechte und Pflichten folgt allerdings, dass auch ein einzelner Gesellschafter das Recht haben kann, Forderungen der Gesellschaft im eigenen Namen geltend zu machen. Mit Rücksicht darauf, dass es sich stets um Ansprüche handelt, die allen Gesellschaftern materiellrechtlich zustehen, kann die Leistung allerdings nur an die Gesellschaft verlangt werden. Das bedeutet: Jeder Gesellschafter – das gilt für alle Personengesellschaften – hat ohne Rücksicht darauf, ob er geschäftsführungsbefugt ist oder nicht, die Befugnis zur Gesellschafterklage (actio pro socio)[40]. Diese Befugnis hat ihre Grundlage im Gesellschaftsverhältnis und ist Ausfluss des Mitgliedschaftsrechts des Gesellschafters.[41] Im Einzelfall kann diese Klagebefugnis durch die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht (siehe dazu oben Rn. 94 ff.) eingeengt sein. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn sich das Verhalten des klagenden Gesellschafters nach den konkreten Gesellschaftsverhältnissen als rechtsmissbräuchlich darstellt.[42]
Die Klagebefugnis des einzelnen Gesellschafters (actio pro socio) bezieht sich ausschließlich auf Sozialansprüche (Rn. 79 f.), also auf solche Verpflichtungen des zu verklagenden Gesellschafters, die aus dem Gesellschaftsverhältnis erwachsen. Dazu können auch Schadensersatzforderungen aus Pflichtverletzungen (§ 280 BGB) gehören, die wegen der Verletzung gesellschaftsvertraglicher Pflichten entstehen.[43]
Beispiel:
A, B und C haben sich zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zusammengeschlossen. C ist trotz Fälligkeit und mehrfacher Mahnung seiner Beitragspflicht, die in der Einzahlung von 5.000 € besteht, nicht nachgekommen. A ist befugt, von C Zahlung von 5.000 € an