Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen. Matthias Jahn
der Klärung der Frage muss zudem ein über den Einzelfall hinausgehendes Interesse bestehen. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn sie für eine nicht unerhebliche Anzahl von Streitigkeiten bedeutsam ist oder ein Problem von einigem Gewicht betrifft, das in künftigen Fällen erneut Bedeutung erlangen kann. Bei der Prüfung der Annahme muss bereits absehbar sein, dass sich das Gericht bei seiner Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde mit der Grundsatzfrage befassen muss. Kommt es auf sie hingegen nicht entscheidungserheblich an, ist eine Annahme nach § 93a Abs. 2 lit. a BVerfGG nicht geboten.
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Mit eingehender Begründung verneint hat das BVerfG die grundsätzliche Bedeutung einer Verfassungsbeschwerde in Strafsachen bisher bspw. im Fall der Verfassungsbeschwerde einer Großbank gegen Beschlagnahmen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung durch Kunden und der Beihilfe dazu durch Bedienstete der Bank[21] oder beim Verteidigerausschluss nach § 138a StPO, im letzteren Fall mit der Begründung, es handle sich um eine nicht häufig vorkommende Sachverhaltsgestaltung, die unter den obwaltenden Umständen nicht klärungsbedürftig erscheine.[22] Bejaht wurde die grundsätzliche Bedeutung hingegen in Fällen von herausragender rechtsstaatlicher Bedeutung wie dem Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften über die akustische Wohnraumüberwachung,[23] zum Gesetz über den Europäischen Haftbefehl[24] oder dem Luftsicherheitsgesetz.[25]
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Meist belässt es das Gericht jedoch bei der formelhaften Wendung, die aufgeworfenen Rechtsfragen seien durch die Rechtsprechung des BVerfG bereits hinreichend geklärt.[26]
b) Rechtsdurchsetzungsverfassungsbeschwerde (§ 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG)
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In der Alltagspraxis des Gerichts liegt der Prüfungsschwerpunkt erwartungsgemäß bei den Fällen des § 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG. Die Dominanz der Verfassungsbeschwerde zur Rechtsdurchsetzung lässt sich leicht erklären. Weil die grundsätzlich verfassungsrelevanten Fragen weitgehend entschieden sind (oder das Gericht dies zumindest für seine Judikatur in Anspruch nimmt)[27], und neue verfassungsrechtliche Probleme eigentlich nur dort zu erwarten sind, wo sich die Lebensverhältnisse radikal ändern oder neue Gesetze erlassen werden, kommt der einzelfallbezogenen Rechtsdurchsetzungsverfassungsbeschwerde die größere praktische Bedeutung zu.
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Zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt soll eine Beschwerde dann sein, wenn die geltend gemachte Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten besonderes Gewicht hat oder den Beschwerdeführer in existentieller Weise betrifft. Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten. Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung[28] des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt. Die existentielle Betroffenheit des Beschwerdeführers kann sich vor allem aus dem Gegenstand der angegriffenen Entscheidung oder der aus ihr folgenden Belastung ergeben. Ein besonders schwerer Nachteil ist andererseits dann nicht anzunehmen, wenn die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder wenn deutlich abzusehen ist, dass der Beschwerdeführer auch im Falle einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde.[29] Mit dieser Einschränkung werden Elemente der Begründetheit(-sprüfung) Voraussetzung für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung.
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In Strafsachen erlangen die Fälle in lit. b damit insbesondere für das materielle Strafrecht besondere Bedeutung; insoweit ist aber zwischen Schuld- und Strafausspruch zu differenzieren. Das Gericht führt selbst aus: „Die Kriminalstrafe stellt die am stärksten eingreifende staatliche Sanktion für begangenes Unrecht dar. (…) Für die Frage, ob eine strafgerichtliche Verurteilung für einen Beschwerdeführer existentielle Bedeutung i.S.d. § 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG hat, kommt es deshalb in erster Linie auf das im Schuldspruch konkretisierte sozial-ethische Unwerturteil über Tat und Täter an. Demgegenüber können die an den Schuldspruch geknüpften Rechtsfolgen im Einzelfall mehr oder minder großes Gewicht haben. Aus diesen Erwägungen folgt, dass ein Beschwerdeführer i.S.d. § 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG regelmäßig dann existentiell betroffen ist, wenn er sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen den Schuldspruch wendet.“[30] Eine Ausnahme kommt konsequenterweise dann in Betracht, wenn die gegen den Schuldspruch gerichtete Rüge nur einen Punkt von untergeordneter Bedeutung betrifft; etwa Fälle, in denen der Beschwerdeführer bei Tateinheit (§ 52 StGB) lediglich den Wegfall eines untergeordneten Straftatbestandes erstrebt oder dass er sich bei mehrfacher Begehung gleichartiger Delikte lediglich gegen die Verurteilung wegen einzelner Tathandlungen wendet, deren Wegfall den Schuldspruch unberührt lassen würde und für die Strafhöhe ohne nennenswerte Bedeutung wäre. Soweit sich der Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde allein gegen den Rechtsfolgenausspruch eines strafgerichtlichen Urteils wendet, hängt es dagegen von den Umständen des Einzelfalls ab, ob eine existentielle Betroffenheit bei Art und Maß der konkreten Strafe angenommen werden kann. Verneint hat das Gericht den besonders schweren Nachteil z.B. bei einer Geldbuße von nur 40,00 €.[31]
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In den Fällen, in denen der Schuldspruch mit der Verhängung einer Freiheitsstrafe einhergeht, dürfte daher stets eine existentielle Betroffenheit des Beschwerdeführers zu bejahen sein. Das bringt das Gericht angesichts der erheblichen Anzahl der das materielle Strafrecht betreffenden Verfahren[32] in eine etwas prekäre Lage. In diesen Fällen wird eine Korrektur über die Erfolgsaussichten des Begehrens im Rahmen des Annahmeverfahrens – wohl mit Recht – für unumgänglich gehalten. Jedenfalls bei Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde könne dem Beschwerdeführer danach schon kein besonders schwerer Nachteil entstehen. Gerade in Strafsachen erweisen sich damit streng gehandhabte Zulässigkeitsvoraussetzungen als leicht zu öffnendes, aber bei Überlast auch geräuschlos wieder zu schließendes Steuerungsventil der Arbeitslast des Gerichts.
Teil 1 Die Aufgaben des Strafverteidigers im Verfassungsbeschwerdeverfahren › B. Weitere verfahrensrelevante Gesichtspunkte › II. Allgemeines Register (AR), Verfahrensregister (BvR) und weiterer Verfahrensgang
II. Allgemeines Register (AR), Verfahrensregister (BvR) und weiterer Verfahrensgang
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Eingaben an das Gericht, mit denen der Absender weder einen bestimmten Antrag verfolgt noch ein Anliegen geltend macht, für das eine Zuständigkeit des BVerfG besteht, werden im Allgemeinen Register (AR) erfasst. Sie werden als Justizverwaltungsangelegenheiten bearbeitet. Im AR können aber auch Verfassungsbeschwerden registriert werden, bei denen eine Annahme zur Entscheidung nicht in Betracht kommt, weil sie offensichtlich unzulässig sind oder unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichts offensichtlich keinen Erfolg haben können. In den letzten Jahren wurden nur zwischen 22 % (1999) und 58 % (2013) der im AR eingetragenen Verfassungsbeschwerden gem. § 61 Abs. 2 GOBVerfG später in das Verfahrensregister übertragen; weit über die Hälfte aller Eingaben scheitern demnach bereits an dieser Stelle.[33] Konkret heißt das, dass z.B. im Jahr 2010 insgesamt 4.847 Eingaben erledigt wurden,