Handbuch des Strafrechts. Robert Esser
wäre dann zu entscheiden, wenn der Gesetzgeber steuerliche Erklärungspflichten, wie § 153 AO oder § 18 UStG, suspendieren würde, (nur) insoweit weist § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nach zutreffender Ansicht Blanketteigenschaften auf[201], so dass die entsprechenden Grundsätze (oben Rn. 30) zur Anwendung kommen.
III. Rechtsnormative Tatbestandsmerkmale und Irrtumsproblematik
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Bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen besteht weitestgehend Einigkeit, dass der Täter die außertatbestandliche Rechtsfolge oder das Rechtsverhältnis mit in seinen Vorsatz aufgenommen haben muss, ansonsten liegt ein Tatbestandsirrtum gem. § 16 Abs. 1 StGB vor[202]. Ein umgekehrter Irrtum führt nach zutreffender Ansicht zum untauglichen Versuch[203]. Anders als bei Blanketten (oben Rn. 35) werden die vorgelagerten Vorschriften nicht in den Tatbestand hineingelesen. Besondere Kenntnisse oder Vorstellungen, wie man zu der tatbestandlich geforderten Rechtsfolge gelangt, etwa des Zivil- oder Verwaltungsrechts sowie der zugrundeliegenden Tatsachen, sind dagegen nicht notwendig[204].
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So liegen beispielsweise die Umstände der Eigentumsbegründung in der Regel weit in der Vergangenheit und spielen für die soziale Wirklichkeit des Eigentums überhaupt keine Rolle (oben Rn. 57). Der Täter eines Eigentumsdelikts wird sich vordringlich an aktuellen, objektiven Gegebenheiten (die Sache liegt im Tresor des Opfers, also wird sie ihm gehören und nicht etwa herrenlos sein) orientieren[205]. Deshalb macht es bei einem Irrtum über die Eigentumsverhältnisse auch wertungsmäßig keinen Unterschied, ob dieser auf falschen tatsächlichen oder im Einzelfall auf falschen rechtlichen Erwägungen beruht. Die gleichen Grundsätze gelten für die Rechtswidrigkeit der Zueignung und die Frage, ob ein schuldrechtlicher Anspruch besteht[206]. Auch bei der Untreue gem. § 266 StGB kann ein Irrtum darüber, was vom Treugeber mutmaßlich gewollt bzw. was für diesen nützlich ist, auf faktischen oder rechtlichen Fehlvorstellungen beruhen, er wird aber immer als vorsatzausschließend anzusehen sein[207]. Hier geht es schließlich nicht darum, schlechte kaufmännische oder zivilrechtliche Fähigkeiten zu bestrafen, sondern die bewusste vermögensnachteilige Missachtung des ausdrücklichen oder fiktiv zu bestimmenden Willens des Treugebers. Auch bei anderen Tatbeständen mit rechtsnormativen Merkmalen lassen sich tatsächliche und rechtliche Vorfragen nicht klar voneinander abgrenzen: Denkt man an die Steuerhinterziehung gem. § 370 AO, kann es bei der Beurteilung der Strafbarkeit auf den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert eines Nachlasses oder eines Betriebsvermögens ankommen. Dieser ist wiederum von rechtlichen Gesichtspunkten abhängig, wenn es z.B. um die richtige Behandlung von streitigen Verbindlichkeiten, Pensionsrückstellungen und immateriellen Gütern geht. Der Irrtum über die Höhe eines staatlichen Steueranspruchs ist damit konsequenterweise vorsatzrelevant[208]. Anders ist nur dann zu entscheiden, wenn der Täter über steuerliche Erklärungspflichten, wie § 153 AO oder § 18 UStG, irrt, da der Tatbestand insoweit Blanketteigenschaften aufweist[209].
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Die erst in neuerer Zeit vereinzelt vertretene Gegenansicht[210] möchte dagegen alle rechtlichen Wertungen aus dem Vorsatzbereich herauslösen, unabhängig davon, ob diese die Gesamtbewertung der Tat, einzelne Tatbestandsmerkmale oder eine außerstrafrechtliche Situation betreffen. So soll es auch für den Vorsatz hinsichtlich der Fremdheit einer Sache darauf ankommen, dass der Täter sämtliche die Eigentumssituation begründenden Umstände kennt[211]. Ziehe er daraus nicht die richtigen zivilrechtlichen Schlüsse, sei sein Irrtum nach § 17 StGB zu beurteilen. Dieser Ansatz überzeugt nach hiesigem Verständnis jedoch nicht. Gerade bei den Eigentums- und Vermögensdelikten wird dem Täter eine eigenständige Subsumtion in Bezug auf die Fremdheit der Sache anhand der §§ 929 ff. BGB doch regelmäßig unmöglich sein, selbst wenn er über noch so detailreiche Kenntnisse im Sachenrecht verfügt. Der Subsumtionsstoff anhand dessen er die Eigentumsverhältnisse bestimmen müsste, ist ihm typischerweise einfach unbekannt. Das Vorsatzerfordernis ist zudem (auch bei all den anderen genannten Beispielen) notwendiger Ausgleich dafür, dass für die vorgelagerten Vorschriften die Beschränkungen des Art. 103 Abs. 2 GG nicht zur Anwendung kommen (oben Rn. 57).
1. Abschnitt: Das Strafrecht im Gefüge der Gesamtrechtsordnung › § 4 Anknüpfung des Strafrechts an außerstrafrechtliche Normen › Ausgewählte Literatur
Ausgewählte Literatur
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Bülte, Jens | Der Irrtum über das Verbot im Wirtschaftsstrafrecht, NStZ 2013, 65 ff. |
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Gleß, Sabine | Zum Begriff des milderen Gesetzes (§ 2 Abs. 3 StGB), GA 2000, 224 ff. |
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Hoven, Elisa | Zur Verfassungsmäßigkeit von Blankettstrafgesetzen, NStZ 2016, 377 ff. |
Kast, Herbert |
Zur Ausgestaltung von Straf- und Bußgeldvorschriften im Nebenstrafrecht, Gesetzgebungstechnische Leitsätze |