Handbuch des Strafrechts. Robert Esser
rel="nofollow" href="#ulink_9c6929b0-0aab-5b93-899f-bbfb6515d2f6">2.Bestimmtheitsgebot (nulla poena sine lege certa)56 – 60
3.Rückwirkungsverbot (nulla poena sine lege praevia)61 – 67
V.Ne bis in idem crimen judicetur (Art. 103 Abs. 3 GG)68 – 72
VI.Verfassungsgarantien bei Freiheitsbeschränkung und -entziehung (Art. 104 GG)73 – 82
1.Allgemeine Anforderungen an Freiheitsbeschränkungen75 – 77
2.Spezielle Vorgaben bei Freiheitsentziehungen78 – 82
D.Grundrechtlich fundierte strafrechtsrelevante Maximen und Gebote83 – 95
I.Recht auf ein faires Verfahren83 – 85
II.Gebot der Waffengleichheit86, 87
III.Prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts88
IV.Nulla poena sine culpa89 – 91
VI.Nemo tenetur se ipsum accusare93, 94
E.„Strafverfassungsrecht“ und verfassungsgerichtliche Kontrolle einfachgesetzlicher Gewährleistungen96 – 100
1. Abschnitt: Das Strafrecht im Gefüge der Gesamtrechtsordnung › § 2 Verfassungsrechtliche Vorgaben für das Strafrecht › A. Strafrecht und staatliche Strafgewalt im verfassungsrechtlichen Gesamtgefüge
I. Grundgesetzliche Parameter
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Das materielle Strafrecht (ius poenale) sowie das Strafverfahrens- und Strafvollstreckungsrecht (ius puniendi) haben die Aufgabe, die vom Staat gesetzte Rechtsordnung zu sichern, den Rechtsfrieden zu erhalten oder wiederherzustellen und den Einzelnen und die Gemeinschaft gegen grobe Rechtsverletzungen zu schützen.[1] Dabei stehen materielles Strafrecht und institutionell-verfahrensrechtliche Durchsetzung des Strafanspruchs zueinander in einem notwendigen Ergänzungsverhältnis.[2] Eine Strafrechtsordnung ohne staatliche Strafgewalt vermag ebenso wenig dem Rechtsgüterschutz und dem sozialen Frieden zu dienen wie umgekehrt eine zielorientierte Verfahrens- oder Vollstreckungsregelung nicht möglich ist, wenn sie materiell-rechtliche Vorgaben und Rechtsfolgen außer Acht lässt.[3] Eine willkürliche oder übermäßige Ausübung staatlicher Strafgewalt kann allerdings auch die Freiheit des Betroffenen gefährden. Daher sieht die Verfassung nicht nur Freiheitsgewährleistungen durch die staatliche Strafgewalt, sondern auch gegenüber der staatlichen Strafgewalt vor.[4]
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Die Kriminalstrafe ist der schärfste Freiheitseingriff, den die deutsche Rechtsordnung kennt.[5] Sie geht deutlich über die zivilrechtliche Ausgleichsfunktion und Schadensersatzpflicht bei schädigenden Handlungen hinaus; Strafe wird als Rechtsfolge einer Verwirklichung von materiellen Strafvorschriften auch gegenüber ersatzbereiten und -fähigen Tätern verhängt.[6] Bereits die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und der damit verbundene drohende Schuldspruch stellen – ungeachtet der Unschuldsvermutung – ein ehrenrühriges Unwerturteil über eine Verhaltensweise des Betroffenen dar, das ihm eine defizitäre Einstellung zur Norm attestiert und ihn dadurch in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) trifft.[7] Verhängung und Vollstreckung der Strafe begründen gar einen schwerwiegenden Eingriff in Freiheit oder Vermögen (Art. 2 Abs. 2 S. 2 oder Art. 2 Abs. 1 GG).[8] Derartige Grundrechtseingriffe können nur dann verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, wenn sie auf materiellen Strafnormen und prozeduralen Vorschriften beruhen, die bestimmten rechtsstaatlichen Mindeststandards genügen.[9] Entsprechendes gilt für sonstige, dem Strafrecht vorbehaltene Tatfolgen, die zwar nicht Strafe sind, wie Maßregeln der Besserung und Sicherung, aber an eine schuldlos begangene Tat grundrechtsrelevante Rechtsfolgen knüpfen, wie z.B. die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB.
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Die staatliche Strafgewalt ist freilich nicht nur Bedrohung grundrechtlicher Freiheit, sondern zugleich ihr wesentlicher Schutz und Garant.[10] In ihrer Schutzpflichtendimension verpflichten die Grundrechte den Staat, die elementaren Schutzgüter des Einzelnen wirkungsvoll vor Übergriffen Dritter zu bewahren.[11] Ohne das Instrument der Strafandrohung und ohne eine funktionstüchtige Strafverfolgung wäre dieser grundrechtliche Schutz nicht realisierbar.[12] Nicht von ungefähr hat das Bundesverfassungsgericht die staatliche Schutzpflichtenlehre gerade anhand einer „Pflicht zum Strafen“ entwickelt[13] und betont, dass der Staat seiner grundrechtlichen Schutzpflicht nur genüge, wenn er elementare Rechtsgutsverletzungen unter Strafe stellt und an das Legalitätsprinzip (§§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO) gebundene Strafverfolgungsbehörden einrichtet.[14] Auch die von Lehre und Rechtsprechung entwickelten Straftheorien, insbesondere die Vereinigungstheorie, die sämtliche Strafzwecke in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander bringt,[15] werden vom Bundesverfassungsgericht zur Konturierung staatlicher Schutzpflichten herangezogen.[16] Ob darüber hinaus aus der Schutzpflichtendimension sogar ein verfassungsrechtlich verbürgter subjektiver Anspruch des Opfers auf Strafverfolgung des Täters erwächst, ist nicht geklärt.[17] Nicht bestreiten lässt sich aber, dass die zentralen Rechte des Opfers im Strafprozess (etwa als Nebenkläger) ihre Wurzel ebenfalls in den grundrechtlichen Schutzpflichten haben und damit nicht vollständig zur Disposition des Gesetzgebers stehen.[18]
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Das materielle Strafrecht sowie die Ordnungen des Strafprozesses, der Strafvollstreckung und des Strafvollzugs als Verfahren zur Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs stellen bedeutsame Bewährungsfelder des Rechtsstaates und der freiheitlichen demokratischen