Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1. Reinhart Maurach
der Empfängnis erfolgt. Diese Voraussetzung deckt sich daher mit der fehlenden „Tatbestandsverwirklichung“ nach § 218a Abs. 1 nach einer Beratung. Der Vorteil liegt darin, dass hier die fehlende Rechtswidrigkeit ausdrücklich festgestellt wird; damit tritt eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ein (BT-Dr. 13/1850 S. 26).
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Ausgeschlossen als Vortaten sind insbesondere der Beischlaf mit Verwandten (§ 173), der Sexuelle Missbrauch von Jugendlichen (§ 182) und die eigenmächtige Befruchtung und Embryoübertragung nach § 4 Abs. 1 Nr. 1, 2 ESchG[29]. Die Tat braucht nicht schuldhaft zu sein. Nach ihrem Sinn muss die Regelung auch vorsatzausschließende Irrtümer des Täters, z.B. über das Alter des Kindes, umfassen, obwohl diese nach neuerer Dogmatik bereits den Tatbestand ausschließen (Kröger LK 59).
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Nach der eigenartigen, auf BVerfGE 88, 203 beruhenden, Konzeption des geltenden Rechts, wonach eine Rechtfertigung mehr bedeutet als ein Tatbestandsausschluss (s.o. Rn. 2), ist eine Rechtfertigung auch über die aufgeführten tatbestandslosen Handlungen hinaus möglich, also auch bei einem Abbruch durch einen Arzt innerhalb von zwölf Wochen seit der Empfängnis mit Beratung. Die Inanspruchnahme einer Beratung nach § 219 und die Vornahme des Abbruchs nach § 218a Abs. 1 schließen die Rechtmäßigkeit des Abbruchs nach § 218a Abs. 2 nicht aus[30].
Anmerkungen
BT-Dr 12/2605 (neu) S. 22.
Erstmals verlangt von der CDU/CSU (BTD 13/285) im Anschluss an BVerfGE 88, 270 ff. Nach Knierim, Das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ im Strafrecht, 2018, 162 fehlt für die Auslegung des Merkmals eine dogmatische Begründung.
Hiergegen Schroeder FS Migazawa 1995, 533, 543.
Zust. Gropp FS Schreiber 03, 115; a.A. La/Kühl § 218a 21a.
4. Versuch
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Der Versuch ist strafbar (§ 218 Abs. 4 S. 1). Anfang der siebziger Jahre erfolgte mehr als ein Drittel der Verurteilungen wegen Fremdabtreibung wegen Versuchs (BTD VI/3434 S. 15). Die Fassung des § 22 StGB wurde u.a. zu dem Zweck gewählt, die weite Rechtsprechung zum alten § 43 auf dem Gebiet der Abtreibung einzuschränken (SA-Berat. V/1746 f.). Bei einer Untersuchung zwecks unmittelbar anschließendem Schwangerschaftsabbruch (OLG Hamm DRZ 50, 236) liegt jedoch auch nach geltendem Recht ein Versuch vor (vgl. BGH 22, 80). Versuch ist insbesondere auch bei Unbeweisbarkeit der Ursächlichkeit der Abbruchhandlung (vgl. BTD VI/3434 S. 15), bei untauglichen Mitteln und bei irrtümlich angenommener Schwangerschaft gegeben; nur bei „grobem Unverstand“ des Täters kann das Gericht von Strafe absehen (§ 23 Abs. 3).
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Der Versuch durch die Schwangere ist ausdrücklich für straflos erklärt (§ 218 Abs. 4 S. 2). Dies hätte sich wegen § 23 Abs. 1 bereits dann ergeben, wenn die Strafbarkeit des Versuchs des Abbruchs fremder Schwangerschaft (Abs. 4 S. 1) im Anschluss an Abs. 1 und 2 bestimmt worden wäre. Die Regelung des § 218 Abs. 4 stellt klar, dass Dritte wegen Beteiligung am Abbruchsversuch der Schwangeren strafbar bleiben (BTD VI/3434 S. 15). Im bisherigen Recht wollte der Ausdruck „Frau“ sicherstellen, dass die Straflosigkeit auch bei einer nur irrtümlich angenommenen Schwangerschaft gilt[31]. Der BT-Ausschuss hat dies offensichtlich übersehen[32], doch wird man diesen seltenen Fall auch nach dem geltenden Recht als straflos ansehen können.
Anmerkungen
BTD 7/1981 [neu] S. 14.
BTD 12/2605 [neu] S. 21.
5. Strafe
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a) Die Strafe ist Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe. Innerhalb dieses weiten Strafrahmens werden vor allem die Beweggründe des Täters eine Rolle spielen, insbesondere seine Absicht, der Schwangeren aus einer Bedrängnis (vgl. § 218a Abs. 4 S. 2) zu helfen; jedoch ist hierbei zu beachten, dass bei Ärzten die gesteigerte Pflicht zum Schutz – auch des werdenden – Lebens kompensierend wirkt (vgl. § 46 Abs. 2). Ferner wird die Dauer der abgebrochenen Schwangerschaft wichtig sein (vgl. § 218a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3). Maßgeblich ist auch wegen § 218 Abs. 2 Nr. 2 die Art der Ausführung.
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Abs. 2 sieht einen erhöhten Strafrahmen für besonders schwere Fälle vor. Regelbeispiele sind das Handeln gegen den Willen der Schwangeren (aber nicht schon: ohne Einwilligung)[33] und die leichtfertige, d.h. leicht erkennbare, Verursachung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren (d.i. über § 226 hinaus jede längere, erhebliche Beeinträchtigung im Gebrauch der Sinne oder des Körpers oder in der Arbeitsfähigkeit oder eine lebensbedrohende, qualvolle oder ernste und langwierige Krankheit)[34]. Zur Natur der Regelbeispiele grundsätzlich u. § 33 Rn. 65 ff. Die Gewerbsmäßigkeit wurde nur deshalb nicht aufgenommen, damit nicht die Vornahme indizierter Schwangerschaftsabbrüche einbezogen werden könne[35].
Zur Konkurrenz mit Angriffen gegen Leben und Gesundheit der Mutter s.o. Rn. 14, gegen ein lebend abgegangenes Kind o. Rn. 28.
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b) § 218 Abs. 3 nimmt mit der Formulierung „begeht die Schwangere die Tat“ auf Abs. 1 Bezug. Damit wird das bisher umstrittene Verhältnis zwischen der Fremd- und der Selbstabtreibung dahingehend geklärt, dass der Selbstabbruch einen privilegierenden Spezialtatbestand des Fremdabbruchs darstellt.
Allerdings ist die Formulierung insofern missverständlich, als sie fälschlich eine Alleintäterschaft der Schwangeren zu verlangen scheint. Das ist jedoch keineswegs der Fall. Schon durch die zur Ermöglichung des Abbruchs durch einen anderen erforderlichen Handlungen ist die Schwangere fast immer aktive Mittäterin nach § 25 Abs. 2[36]. In Betracht kommt auch eine mittelbare Täterschaft, z.B. durch Täuschung des Arztes (Kröger LK § 218 Rn. 30). Es handelt sich um ein „besonderes persönliches Merkmal“ nach § 28 Abs. 2, sodass die Strafmilderung nur der Schwangeren selbst zugute kommt. Auch dieser Tatbestand ist durch Unterlassen begehbar; die Schwangere ist insbesondere zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe und zur Einwilligung verpflichtet und kann nur nach § 218a gerechtfertigt oder nach § 35 entschuldigt werden[37].
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Ein persönlicher Strafausschließungsgrund, der ebenfalls nur der Schwangeren zugute kommt, ist die Vornahme durch einen Arzt innerhalb von 22 Wochen seit der Empfängnis nach einer Beratung durch eine Beratungsstelle (§ 218a Abs. 4 S. 1).
Mit dieser Regelung sollten nach dem bisherigen Recht abbruchwillige Frauen ohne Indikation wenigstens zur Annahme der Beratung und zur Hinzuziehung von Ärzten veranlasst werden. Bei der neuen Regelung mit ihrer Straffreiheit schon bei Abbruch durch einen Arzt innerhalb von zwölf