Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1. Reinhart Maurach
30 f.
4. Der infolge Kunstfehlers verunglückte Eingriff
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Hier besteht im Wesentlichen Einigkeit. Tatbestand und Rechtswidrigkeit stehen außer Zweifel. Die Möglichkeit einer Bestrafung wegen bedingt vorsätzlicher Körperverletzung hängt von der Willenseinstellung zum Erfolg, die Bestrafung wegen fahrlässiger Körperverletzung davon ab, ob der Behandelnde die ihm individuell mögliche Sorgfalt eingehalten oder außer Acht gelassen hat. Dies ist eine nicht nur von den persönlichen Fähigkeiten, sondern auch von den begleitenden Umständen (z.B. bei einer dringenden Operation durch einen Nichtfacharzt ohne klinische Hilfsmittel) abhängende Tatfrage (näher o. § 3 Rn. 8).
Der Begriff „Kunstfehler“ wird zunehmend angegriffen[63]. Dass der Begriff des Kunstfehlers relativ ist, zeigt sich besonders bei der Beurteilung ärztlicher Außenseitermethoden; hierbei dürfen zugunsten des Arztes auch nach der Tat gewonnene Erkenntnisse berücksichtigt werden (BGH NJW 62, 1780). Zur Problematik der Neulandoperationen eingehend Grahlmann aaO. Als nicht sachgemäße Behandlungen müssen auch solche Eingriffe gelten, die zwar den gewünschten Erfolg erreichen, dabei aber vermeidbare Beeinträchtigungen im Wohlbefinden des Patienten hervorrufen (Tatbestand der „Misshandlung“ nach § 223, der auch für § 229 gilt). Ferner gehören hierher voreilige und daher in concreto überflüssige Eingriffe (hierzu BGH 12, 379). Diese sind objektiv nicht indiziert, dienen nicht der Gesunderhaltung und erfüllen daher jedenfalls den Verursachungstatbestand des § 229; bei Inkaufnahme der Nichterforderlichkeit der Behandlung durch den Arzt ist darüber hinaus der Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung gegeben. Eine Rechtfertigung findet nicht statt. Tatverantwortung und Schuld sind bei Vorsatz (Inkaufnahme der Überflüssigkeit des Eingriffes) stets gegeben, während bei irriger Annahme der Notwendigkeit einer solchen Behandlung die Regeln des Verbotsirrtums anzuwenden sind.
Anmerkungen
Zusammenfassend Farthmann bei Jung/Schreiber aaO 131.
5. Medizinische Eingriffe außerhalb des eigentlichen Heilzweckes
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a) Prophylaktische Eingriffe bringen nicht unmittelbar eine Besserung des relativen Gesamtzustands und können daher nicht aus dem Tatbestand der Körperverletzung herausgenommen werden. Das gleiche gilt für diagnostische Eingriffe, sofern sie nicht lediglich die Richtung eines in jedem Fall gebotenen Eingriffs festlegen. Auch die Anforderungen an die Aufklärungspflicht sind hier besonders streng (BGHZ NJW 71, 1887, 1888).
Besonders umstritten ist neuerdings die Vornahme von Aids-Tests. Der Patient kann eine Blutentnahme zur Vornahme eines Tests verweigern. Andererseits kann eine nachträgliche Benutzung einer Blutprobe für einen Aids-Test die Einwilligung in die Entnahme der Blutprobe nicht rückwirkend unwirksam machen[64].
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b) Rein kosmetische Eingriffe können, da sie nicht zur Verbesserung der Gesundheit dienen und angesichts der Relativität der Schönheit, nur unter dem Gesichtspunkt der Einwilligung nach besonders gründlicher Aufklärung (Bockelmann 59; Engisch bei Engisch/Hallermann 35; Sternberg-Lieben S/S § 223 50b; Grünewald LK § 228 27; OLG Düsseldorf NJW 63, 1679 m. Anm. Barnikel 2374) gerechtfertigt werden. Als Heileingriffe anzusehen sind dagegen kosmetische Eingriffe, die pathologische Auswirkungen beseitigen sollen.
Bei vom Patienten gewünschten unsinnigen Eingriffen kann die Einwilligung unwirksam sein[65].
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c) Transplantationen (von Haut, Gewebe, Knochenmark und Organen) und Transfusionen stellen nur gegenüber dem Empfänger eine Gesundheitsverbesserung dar und unterliegen insoweit den o. 1–4 dargelegten Regeln. Gegenüber dem (lebenden) Spender liegt dagegen, von der Möglichkeit der Tötung bei Verkennung des Todeszeitpunkts (s.o. § 1 Rn. 12) oder durch Komplikation einmal abgesehen, jedenfalls eine Körperverletzung vor, und zwar bei Entnahme von Augen sogar nach § 226 StGB. Hierfür gelten jetzt die Spezialvorschriften der §§ 8, 19 Abs. 2 TPG[66]. Zur Organtransplantation vom toten Spender s.o. § 1 Rn. 13.
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d) Die Verabreichung von Betäubungsmitteln und suchtfördernden Arzneimitteln ist eine Körperverletzung, da sie einen pathologischen Zustand und überdies eine Sucht herbeiführt. Eine Einwilligung setzt eine Aufklärung über diese Wirkungen voraus; eine Einwilligungsfähigkeit wird bei Abhängigkeit häufig nicht gegeben sein (OLG Frankfurt a.M. NJW 91, 763). Bei Verschreibung wird dementsprechend eine mittelbare Täterschaft durch ein steuerungsunfähiges Werkzeug gegeben sein.
Dies gilt insbesondere auch für die Verschreibung von Ersatzdrogen. Hinsichtlich der Strafbarkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 6 BtmG räumt BGH 37, 383 den Ärzten einen gewissen Entscheidungsspielraum ein[67].
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e) Häufig sind medizinische Maßnahmen im Leistungssport. Für Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gesundheit und der normalen Leistungsfähigkeit gelten die allgemeinen Regeln. Das häufige „Fitspritzen“ dürfte nicht mehr als Heileingriff anzusehen, wohl aber durch Einwilligung gerechtfertigt sein[68]. Bei der Verabreichung von Dopingmitteln fehlt es häufig an einer zureichenden Aufklärung des Sportlers, sodass die Einwilligung unwirksam ist (s.o. Rn. 26) oder gar nicht vorliegt (eingehend A. Müller aaO 89 ff.). Bei schwerschädigenden Mitteln ist die Einwilligung, da mit der Tat unfaire und strafbare Zwecke verfolgt werden (Erschleichung von Preisen und Förderungen), unwirksam (s.o. Rn. 15)[69]. Seit Dezember 2015 stellen §§ 4 Abs. 1 Nr. 2; 2 Abs. 2 AntidopG die Anwendung von Dopingmitteln bei einer anderen Person zu Zwecken der Leistungssteigerung im Sport unter Strafe. Um die Fairness und Chancengleichheit bei Sportwettbewerben zu schützen (§ 1 AntidopG), lässt auch eine Einwilligung des Gedopten die Strafbarkeit des Täters nicht entfallen. Im Gegenteil ist für Spitzen- und Leistungssportler sogar das Selbstdoping gemäß §§ 4 Abs. 1 Nr. 4; Abs. 7; 3 Abs. 1 S. 1 AntidopG strafbar.
Schrifttum:
Bottke, Doping als Straftat?, FS Kohlmann 2003, 85; Karakaya, Doping und Unterlassen als strafb. Körperverletzung?, 2004; Kohlhaas, Das Doping aus rechtlicher Sicht, in Schroeder/Kauffmann, Sport und Recht, 1972, 48; König, Dopingbekämpfung mit strafbaren Mitteln, JA 07, 573; A. Müller, Doping im Sport als strafbare Gesundheitsbeschädigung (§§ 223 Abs. 1, 230 StGB)?, 1993; Schild, Doping in strafrechtlicher Sicht, in: Schild (Hrsg.), Rechtliche Fragen des Dopings, 1986, 13; Schild, Sportstrafrecht, 2002, 133 ff.
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f) Besondere Probleme bietet die Beseitigung der Fortpflanzungsfähigkeit, soweit sie nicht einen medizinisch indizierten Heileingriff darstellt (insbesondere bei Krebs) und damit den o. 1–4 entwickelten Regeln unterliegt. Dabei wird medizinisch zwischen der Kastration (Entfernung oder dauernde Funktionsstörung der Keimdrüsen) und der Sterilisation (Unfruchtbarmachung durch Unterbrechung der Verbindungsstränge zwischen den Keimdrüsen und den Zeugungs- bzw. Empfängnisorganen) unterschieden.
Schrifttum: Bockelmann, Die derzeitige rechtliche Situation bei der Sterilisation, in: Kepp-Koester (Hrsg.), Empfängnisregelung und Gesellschaft, 1969; Engisch, Die Strafwürdigkeit der Unfruchtbarmachung