Jugendgerichtsgesetz. Herbert Diemer
allgemeinen Strafrecht ergangenen einschlägigen Beschlüsse OLG Stuttgart Justiz 1987, 234 und BVerfG NStZ 1993, 482 nicht auf das Jugendstrafrecht für übertragbar hält – Urinprobe als Verstoß gegen das Verbot des Selbstbezichtigungszwanges). Das Gericht stellt nur und insoweit zutreffend darauf ab, dass an den Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden, hätte jedoch auf das Verhältnis Gericht-Bewährungshilfe unter dem Gesichtspunkt hinreichender Bestimmtheit eingehen müssen. Immerhin ist aber der Rahmen konkreter bestimmt als die allgemeine Weisung, sich von Drogen fernzuhalten. Zulässig soll die Weisung gegenüber einer drogenabhängigen jungen Frau sein, sich vom alten Bekanntenkreis und dem üblichen Szenetreff fernzuhalten und die Zeit der (Vor-)Bewährung zu nutzen, um einen Therapieplatz zu finden, AG Halle-Saale-Kreis NK 2000, 38 m. Anm. Sonnen. Zur Praxis der Urinkontrolle als Bewährungsauflage bei Drogendelinquenten vgl. Leber/Friedrich/Weigend 1993, S. 186 und LG Detmold StV 1999, 662; Schwerpunkt Drogen und Alkohol, ZJJ 4/2009.
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Die Weisung, keinen Alkohol zu trinken, ist in Verbindung mit einer Kontrollmöglichkeit hinreichend konkret und zielführend, um den Risikofaktor zu beseitigen: Monatlicher Atemalkoholtest bei der Polizei und Ergebnismitteilung an das Gericht, LG Cottbus Beschl. v. 9.3.2009 – 24 jug Qs 4/09. Eine Anordnung, dem Gericht alle zwei Wochen unaufgefordert schriftlich und lückenlos Aufenthaltsorte mit Anschrift für jede Tag- und Nachtzeit jeden Tages anzugeben, dient ausschließlich der Kontrolle, ist nicht überprüfbar und nicht geeignet, den Verurteilten erzieherisch zu beeinflussen, um ihn von rechtsextremen Gruppen mit ausländerfeindlichen und antisemitischen Zielen fernzuhalten (LG Cottbus Beschl. v. 9.3.2009).
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Die Bewährungsweisung, durch die einer werdenden Mutter aufgegeben wird, sich nach der Entbindung um eine versicherungspflichtige Tätigkeit zu bemühen, um „durch eine sozialversicherungspflichtige Arbeit soziales Verhalten zu erlernen und eine solche Arbeitsstelle als Grundlage einer Reintegration nach Straffälligkeit anzustreben“, ist gesetzmäßig (LG Würzburg NJW 1983, 464). Der Begründungszusammenhang von Sozialversicherungspflicht und (Re)Sozialisierung ist zwar kriminologisch angreifbar, das Ergebnis bleibt aber unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten vertretbar. Der Vorprüfungsausschuss des Bundesverfassungsgerichts hat die entsprechende Verfassungsbeschwerde mangels Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG NJW 1983, 442; vgl. auch BVerfG NStZ 1981, 21 zur Weisung, einer vom Bewährungshelfer gebilligten, grundsätzlich versicherungspflichtigen Arbeit nachzugehen und Arbeits- oder Ausbildungsstellen nur mit vorheriger Zustimmung des Bewährungshelfers zu wechseln).
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Gesetzwidrig ist die Weisung, sich in eine ambulante psychiatrische Behandlung zu begeben, wenn der Proband seine Einwilligung hierzu ausdrücklich versagt hat (OLG Hamm StV 1990, 308). Das gilt auch für die Anordnung, monatlich ein Negativattest über eine Blutuntersuchung zur Frage eines eventuellen Alkoholkonsums vorzulegen, OLG Cottbus Beschl. v. 9.3.2009 – 24 jug Qs 4/09 (juris). Das mit der zulässigen Weisung, den Wohnsitz bei seiner Mutter in den Niederlanden (grenznah) zu nehmen, verbundene Verbot, für die Dauer der Bewährungszeit in das Gebiet der Bundesrepublik einzureisen, dort durchzureisen oder sich dort aufzuhalten (mit Anordnung der nationalen Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung) ist gesetzwidrig, LG Aachen StraFo 2018, 359: „Bei einem verurteilten jugendlichen Straftäter, der seinen Wohnsitz in einem Anreinerstaat in einer Stadt an der deutschen Grenze hat und zudem die deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrscht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass das in Form einer Weisung ergangene Einreise- und Durchreiseverbot in Deutschland während der Bewährungszeit im Interesse des Betroffenen liegt“.
Weitere Einzelheiten in der Kommentierung zu § 10.
2. Auflagen
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Die Erteilung von Bewährungsauflagen liegt im pflichtgemäßen richterlichen Ermessen („kann“). § 23 Abs. 1 verweist auf den abschließenden Auflagenkatalog in § 15 Abs. 1 (Schadenswiedergutmachung, Entschuldigung, Erbringung von Arbeitsleistungen, Zahlung eines Geldbetrages zu Gunsten einer gemeinnützigen Einrichtung). Eine Urinkontrolle kann also im Rahmen der Aussetzung einer Jugendstrafe nicht zur Auflage gemacht werden, LG Detmold StV 1999, 662 – möglich bleibt eine Weisung). Auf Grund der sozialen Situation vieler Verurteilter sollten Geldzahlungen viel seltener als in der gegenwärtigen Praxis angeordnet werden. Bei der Frage nach zumutbaren bzw. unzumutbaren Anforderungen ist zu berücksichtigen, dass bereits die Bewährungsstrafe mit dem verbundenen Widerrufsrisiko für den Betroffenen eine Belastung bedeutet (Ostendorf § 23 Rn. 2).
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Der Verweis in § 23 Abs. 1 auf § 15 verdeckt den Widerspruch, dass hier eine Auflage erteilt wird, die sonst nur in Betracht kommt, wenn Jugendstrafe gerade nicht geboten ist, § 13 Abs. 1 (Hinweis bei Eisenberg § 23 Rn. 4). Dieses Spannungsverhältnis beweist aber gerade die Notwendigkeit, die Strafaussetzung zur Bewährung als eigenständige Sanktion anzuerkennen.
3. Nachträgliche Anordnungen
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Weisungen und Auflagen können zeitlich nach der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung („nachträglich“) angeordnet werden. Diese Regelung ermöglicht ein flexibles, am aktuellen Erkenntnisstand orientiertes Vorgehen, ist aber als „etappenweise Sanktionierung“ (Ostendorf § 23 Rn. 10) rechtlich unter Aspekten von Rechtssicherheit und Bestimmtheit und auch wegen erziehungspsychologischer Belange (Eisenberg § 23 Rn. 8) problematisch. In abgeschwächter Form stellt sich dieses Problem auch bei der nachträglichen Änderung, die entweder neue oder alte, aber erst jetzt bekannt gewordene Tatsachen bzw. neue prognostische Beurteilungen voraussetzt (Brunner/Dölling § 23 Rn. 5 m.w.N.). Vertrauensschutz und „erzieherische Prinzipien der Konsequenz“ können Änderungen, die eine zusätzliche Beeinträchtigung i.S. einer Beschwer bedeuten, unzulässig werden lassen (Eisenberg § 23 Rn. 10). In der Rechtsprechung ist dagegen die nachträgliche Auflage zur Geldzahlung für gesetzmäßig erachtet worden, wenn der Verurteilte, der bisher über kein geregeltes Einkommen verfügte, inzwischen ein hohes Monatseinkommen hat (BGH NJW 1982, 1544). Bei dieser Entscheidung ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Angeklagte zunächst zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt worden war und nach Aufhebung dieses Urteils nunmehr zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten mit Bewährung, so dass die nachträgliche Geldauflage nicht gegen das Verschlechterungsverbot verstößt. Nachträgliche, verschlechternde Anordnungen sind aber auch anzuerkennen, wenn es darum geht, freiheitsentziehende Sanktionen wie Ungehorsamsarrest und Strafvollzug nach Widerruf der Aussetzung zur Bewährung zu verhindern. Zutreffend spricht Ostendorf von einer „begrenzten Verlässlichkeit“ für Weisungen und Auflagen, die in begründeten Ausnahmefällen nicht mehr gegeben ist (Ostendorf § 23 Rn. 11).
4. Reaktionen auf Nichterfüllung
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§ 23 Abs. 1 verweist auf die §§ 11 Abs. 3 und 15 Abs. 3 mit der Möglichkeit, bei schuldhafter Nichterfüllung von Weisungen und Auflagen Arrest zu verhängen, wenn zuvor eine Belehrung gem. § 70b über die Konsequenzen der Zuwiderhandlung erfolgt