Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea. Hans-Peter Schwintowski
„Wettbewerb“, Direktion „Rechtsangleichung“, für die das Kommissionsmitglied von der Groeben politisch verantwortlich war.[6] Der Verfasser dieses Beitrags, Taschner, war einer der beiden Referenten für dieses Vorhaben sowie für die spätere Ausarbeitung des Verordnungsvorschlags von 1970. Die genannten Arbeiten wurden in weniger als Jahresfrist abgeschlossen.
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Der „Vorentwurf“[7] ist die Ausarbeitung eines – materiell gesehen – umfassenden Gesetzes über eine neue, eigenständige Rechtsform, die der „Europäischen AG“, zur Regelung aller für diese Gesellschaftsform auftretenden Fragen in 13 Titeln einschließlich steuer- und strafrechtlicher Skizzierungen. Dieses „Gesetz“ enthält ein sehr detailliertes Gesellschaftsrecht, beschränkt auf bereits seit drei Jahren bestehende nationale AG als Gründer mit dem Ziel, deren wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenschluss über die Grenze hinweg in der einen oder der anderen Form zu ermöglichen. Der primäre Zweck und damit auch die Rechtfertigung einer „europäischen“ Vokation war selbstverständlich die Fusion zweier oder mehrerer AG verschiedener Mitgliedstaaten, also die im EWG-Vertrag in Art. 220 3. Spiegelstrich ursprünglicher Zählung in Aussicht genommene „Möglichkeit der Verschmelzung von Gesellschaften, die den Rechtsvorschriften verschiedener Mitgliedstaaten unterstehen“.
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Jede der 208 Vorschriften ist eingehend und mit zahlreichen rechtsvergleichenden Hinweisen auf nicht nur die Rechte der Mitglied-, sondern auch von Drittstaaten sorgfältig kommentiert. Allgemeinen Vorschriften (Firma, Rechtspersönlichkeit, Kapital, Sitz, Zuständigkeit des EuGH) in Titel I folgen Regeln über Gründung (Titel II), Kapital, Kapitalerhöhung und -herabsetzung sowie Schuldverschreibungen (Titel III), Struktur (Titel IV), Rechnungslegung (Titel VI), Sitzverlegung (Titel VIII) und Auflösung (Titel IX), dazu Regelungen über „die Vertretung der Arbeitnehmer in den Organen der SE“ (Titel V) und konzernrechtliche Vorschriften (Titel VII). Bestimmungen über Umwandlung (Titel X) und Fusion (Titel XI) runden das umfassende Bild ab.
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Mit Recht betont Sanders,[8] dass es das Ziel der Arbeiten war, eine „neue Gesellschaftsform aus einem Guss zu entwerfen“, die „den Bedürfnissen der Wirtschaft auf europäischer Ebene zu dienen“ habe. Keinesfalls sei der „Vorentwurf“ eine „Ansammlung aller denkbaren, in den nationalen Rechten geltenden Lösungen“. Mutig stellte sich der Entwurf auch Problemen, die auf europäischer Ebene außerordentlich umstritten waren und es noch sind, deren Lösung aber für das Vorhaben als unerlässlich betrachtet wurde: die in der Gemeinschaft der sechs Gründerstaaten nur in Deutschland bestehende Mitbestimmung als die Mitverantwortung der Arbeitnehmer einer Großgesellschaft bei der Aufsicht über die Unternehmensführung und das Konzernrecht als die Summe der Beziehungen zwischen herrschendem und abhängigen Unternehmen, die Publizitätserfordernisse sowie der Schutz der Minderheitsaktionäre und der Gläubiger der abhängigen Gesellschaften – Regelungen, die sich bis heute in der Europäischen Union nicht haben durchsetzen können, obwohl ihre Verwirklichung als gerechter Ausgleich zwischen den beteiligten Interessen dringend geboten ist.
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Dass der „Vorentwurf“ die parallel laufenden Arbeiten zur Harmonisierung der nationalen Gesellschaftsrechte, insbesondere der Aktienrechte nach Art. 54 Abs. 3 g EGV (heute Art. 50 Abs. 2 g AEUV) berücksichtigte, verstand sich von selbst.
Anmerkungen
BGBl II 1956, 1791.
An der Gründung von SAARLOR war Bärmann maßgeblich beteiligt, der schon 1957 einen Artikel über „Supranationale Aktiengesellschaften?“ – bezeichnenderweise mit Fragezeichen – im Archiv für die civilistische Praxis (AcP) 156, 156-211, veröffentlicht hatte.
Thibierge Le statut des sociétés étrangères, in: Le statut de l'étranger et le Marché Commun, 1959, 270 ff., 352, 360 ff.
Bericht im AWD 1960, 1.
Dok. SEK/1966/1250 v. 24.4.1966, Sonderbeilage zum Bulletin 9/10 – 1966 der EWG.
V der Groeben AG 1967, 1; s. auch Gessler BB 1967, 381; v. Caemmerer S. 54 ff.; Hauschild S. 81 ff.
Veröffentlicht durch die Kommission in der Kollektion Studien, Reihe Wettbewerb Nr. 6, 1967.
Kollektion Studien, Reihe Wettbewerb Nr. 6, 1967, 15.
1 › II. Der Verordnungsvorschlag der Kommission 1970
II. Der Verordnungsvorschlag der Kommission 1970
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Im März 1969 beschloss die Kommission auf Vorschlag von der Groebens die Ausarbeitung eines umfassenden Textes. Als Rechtsgrundlage hierfür hatte man zunächst an das klassische Mittel eines völkerrechtlichen Übereinkommen mit integriertem Einheitsgesetz (loi uniforme) gedacht, wie sich dies durch Art. 220 3. Spiegelstrich EGV (nicht in den AEUV übernommen) anbot, der ein solches Übereinkommen zur Ermöglichung der grenzüberschreitenden Fusion von Gesellschaften vorsah. Das Problem der bei dieser Rechtsform an sich mangelnden einheitlichen Gerichtsbarkeit hätte sich durch die Begründung einer solchen für den EuGH mithilfe eines Protokolls herbeiführen lassen, wie dies bereits bei dem Brüsseler Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen von 1968 geschehen war. Auf Initiative eines engen Mitarbeiters von der Groebens, Schwartz, setzte sich jedoch die Auffassung durch, dass ein solches großes Gemeinschaftsvorhaben, wie es die „Europäische AG“ darstellte, nur auf Gemeinschafts- und nicht auf Völkerrecht gegründet werden könne. So entschied sich die Kommission für die Heranziehung des bislang wenig beachteten Art. 235 EGV (jetzt Art. 352 AEUV), dessen Anwendbarkeit seiner Tatbestandsmäßigkeit nach nicht zweifelhaft sein konnte, aber kühn war, und schlug dem Rat als gemeinschaftsrechtliche Rechtsform eine „Verordnung“ i. S. d. Art. 189 Abs. 2 EGV (jetzt Art. 288 Abs. 2 AEUV) vor.
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Grundlage der nunmehr in den Händen der Dienststellen der Kommission liegenden Arbeiten mit Sanders als Berater war selbstverständlich dessen „Vorentwurf“ – mit einer Ausnahme: Hatte Sanders zwar einen Titel über die Mitbestimmung aufgenommen, so hatte er sich doch darin für eine territorial begrenzte, nur am jeweiligen Sitz der SE geltende Regelung ausgesprochen. Dies betraf ausschließlich Deutschland, da nur dieser Mitgliedstaat eine solche kannte, während in Frankreich seit 1945 die sehr viel eingeschränktere Form der Entsendung von zwei Arbeitnehmervertretern in den „conseil d'administration“ ohne Stimmrecht galt.
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Die Kommission entschloss sich für den Vorschlag einer umfassenden Regelung dieses Problems, wie dies dem Charakter der „Europäischen AG“ als Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung entsprach, und verpflichtete den damaligen Rektor der Ruhr-Universität und Vorsitzenden der Reformkommission zur Mitbestimmung Biedenkopf als Sachverständigen. Biedenkopf