Markenrecht. Jennifer Fraser
3015 – Titelschutzanzeige; aA Görden 235 f, 252, 399).
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Die Vorverlagerung des Prioritätszeitpunkts des Werktitelrechts durch Titelschutzanzeige ist im Hinblick auf die immaterialgüterrechtlichen Grundlagen des Kennzeichenschutzes fragwürdig. Die rechtsbegründende Wirkung der Ingebrauchnahme eines Kennzeichens ergibt sich im Allgemeinen daraus, dass der Vermögenswert, der einer von Anfang an kennzeichnungskräftigen Bezeichnung innewohnt, auch von Beginn an durch verwechslungsfähige Gegnerzeichen gefährdet ist, welche die individualisierende Wirkung der Erstbezeichnung abschwächen oder aufheben können (zur Individualisierungskraft der geschäftlichen Bezeichnungen, die diese zu einem vermögenswerten Immaterialgut werden lässt, vgl oben Rn 5 f). Die vom BGH für die Vorverlegung des Titelschutzes aufgrund Titelschutzanzeige gegebene Begründung ist – im Unterschied zur schutzbegründenden Ingebrauchnahme – von dem Schutz einer geschäftlichen Bezeichnung als Immaterialgut unabhängig und damit im Hinblick auf die dogmatischen Grundlagen des Kennzeichenrechtes systemwidrig. Die Titelschutzanzeige will nicht den in der geschäftlichen Bezeichnung verkörperten Vermögenswert schützen, sondern Investitionen des Unternehmers, die der Werkherstellung vorangehen und damit zu einem Zeitpunkt erfolgen können, zu dem noch kein Werk existiert und der angezeigte Titel deshalb noch keine (vermögenswerte) individualisierende Wirkung entfalten kann. Darüber hinaus setzt die Schutzbegründung durch Titelschutzanzeige auch keine Situation voraus, in der es zu Verwechslungen kommen kann, da sie sich nicht an die Verbraucher, sondern an die Mitbewerber richtet (vgl BGH NJW 1989, 3014, 3016 – Titelschutzanzeige). Die Gefährdung eines Kennzeichens als vermögenswertes Immaterialgut beruht darauf, dass ein Gegnerzeichen aus Sicht der beteiligten Verkehrskreise – bei Werken in erster Linie das Publikum – mit der Erstbezeichnung verwechslungsfähig ist. Ist schon fraglich, ob die Mitbewerber überhaupt zu den beteiligten Verkehrskreisen zu zählen sind, da sie nicht zu den Abnehmern des Werkes gehören (vgl BGH NJW 1993, 1466, 1467 – Verschenktexte II), werden Mitbewerber aufgrund ihrer größeren Sachkenntnis auch weit seltener als das große Publikum Verwechslungen unterliegen. Die Voraussetzungen einer Titelschutzanzeige entsprechen daher nicht der Situation einer Gefährdung des Werktitels durch verwechslungsfähige Zweitbezeichnungen.
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Die Bedenken gegenüber der schutzbegründenden Wirkung einer Titelschutzanzeige verstärken sich noch, wenn der BGH sog Sammeltitelschutzanzeigen akzeptiert, also die Anzeige mehrerer Titel, von denen dann regelmäßig nur einer tatsächlich verwendet wird (BGH NJW 1989, 3014 f – Titelschutzanzeige; ausf zur Sammeltitelschutzanzeige GK/Teplitzky § 16 Rn 102). Der BGH lässt bei der Sammeltitelschutzanzeige, wenn nicht schon mit dem von einem konkreten Werk unabhängigen vorverlegten Titelschutz aufgrund Titelschutzanzeige allg, die Entstehung eines Titelschutzes ohne Werk zu, obwohl zumindest bei der Entstehung der Titelrechte ein isolierter Titelschutz von der ganz hM abgelehnt wird (Deutsch GRUR 1994, 673, 678). Wird die Titelschutzanzeige in Rspr und Schrifttum auch allg akzeptiert, regt sich gegen die Sammeltitelschutzanzeige im Schrifttum jedoch zu Recht Widerstand (Heim AfP 2004, 19, 24 f mwN; Görden 228 ff, 253 ff, 399 f).
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Das Titelschutzanzeige-Urt des BGH (NJW 1989, 3014) wirft – abgesehen von den genannten grundlegenden Einwänden – im Hinblick auf die weiteren Voraussetzungen der prioritätswahrenden Wirkung der Titelschutzanzeige Fragen auf, die der BGH bisher nicht beantwortet hat. So trifft der BGH weder eine Aussage darüber, in welchem Stadium sich das Werk befinden muss, wenn die Titelschutzanzeige erscheint, noch wird zu der Frage Stellung genommen, welcher Zeitraum zwischen dem Erscheinen der Anzeige und der Veröffentlichung des Werkes als angemessen anzusehen ist (vgl GK/Teplitzky § 16 Rn 100; OLG Hamburg WRP 1996, 322 f). Beide Fragen lässt der BGH offen, da der Zeitraum zwischen Ankündigung und Benutzungsaufnahme im konkreten Fall mit 2 1/2 Monaten auf jeden Fall angemessen gewesen sei (BGH NJW 1989, 3014, 3016 – Titelschutzanzeige; ähnlich OLG Köln GRUR 1989, 690 f – High Tech, das beim Vorliegen einer angemessenen Frist von einer „faktischen Vermutung“ dafür ausgeht, dass sich das Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Anzeige in einem hinreichenden Herstellungsstadium befunden habe). Nach der instanzgerichtlichen Rspr ist ein Zeitraum zwischen Anzeige und Werkveröffentlichung von 2–5 Monaten auf jeden Fall angemessen (vgl Ingerl/Rohnke § 5 Rn 88 mwN; vgl auch OLG Hamburg WRP 2002, 337 – Bremer Branchen; zum entspr Zeitraum bei Sammeltitelschutzanzeigen vgl OLG Hamburg WRP 1996, 322, 323 f). Als Anhaltspunkte für die Angemessenheit nennt das Schrifttum für Druckschriften 6 Monate und für Filmwerke 12–18 Monate (Görden 356 mwN). Im Hinblick auf den notwendigen Bearbeitungszustand des Werkes zum Zeitpunkt der Anzeige fordert die wohl überwiegende Auffassung den Beginn ernsthafter Vorbereitungshandlungen (GK-Teplitzky § 16 Rn 100; Heim AfP 2004, 19, 20 f mwN; OLG Köln GRUR 1989, 690, 691 – High Tech). Ist das Werk jedoch schon ernsthaft in der Entstehung begriffen, bedarf es der fingierten Ingebrauchnahme durch die Titelschutzanzeige dann nicht mehr, wenn man – wie die wohl hL (so etwa Deutsch GRUR 1994, 673, 678; weitere Nachweise bei Heim AfP 2004, 19 Fn 3) – auch bereits konkretisierte Werkkonzepte als taugliche Bezeichnungsobjekte anerkennt. Dagegen lehnt die Rspr einen vorgelagerten Titelschutz ohne Titelschutzanzeige offenbar überwiegend ab (zum Meinungsstand von Gierke FS Ullmann [2006], S 207, 214 ff).
aa) Allgemeines
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Der Werktitel ist als werkidentifizierende Bezeichnung dazu bestimmt, das Werk von anderen Werken zu unterscheiden, und erfüllt damit eine namensmäßige Identifizierungsfunktion in dem Sinne, dass der Geschäftsverkehr in dem Titel den Namen oder die bes Bezeichnung des Werkes erblickt (BGH NJW 1958, 1777 – Deutsche Illustrierte; BGH GRUR 1958, 354, 357 – Sherlock Holmes; BGH NJW 1960, 768 f – Naher Osten; BGH NJW 1963, 1004 – Deutsche Zeitung). Namensmäßige Identifizierungskraft kann auch ein Untertitel aufweisen (BGH NJW 1989, 391, 392 – Verschenktexte I; BGH GRUR 2010, 156 Rn 15 – EIFEL-ZEITUNG; OLG Freiburg GRUR 1951, 78, 79 f – Offenburger Zeitung). Der Werktitelschutz beruht auf der (vermögenswerten) Wirkung des Titels, ein bestimmtes Werk zu individualisieren (vgl Rn 80); darüber hinaus hat der Titel nicht die Funktion, auch das das Werk herstellende Unternehmen zu bezeichnen (Fezer § 15 Rn 161; BGH GRUR 1958, 354, 357 – Sherlock Holmes; OLG Frankfurt WRP 1978, 892 – Das bisschen Haushalt). Im Einzelfall kann sich ein Werktitel in der Verkehrsanschauung – auch ohne Zutun des Titelinhabers – zum Unternehmenskennzeichen weiterentwickeln, so dass der Titel nicht nur das Werk namensmäßig identifiziert, sondern auch den herstellenden Geschäftsbetrieb (Fezer § 15 Rn 161; BGH GRUR 2001, 1050, 1052 – Tagesschau; BGH GRUR 2001, 1054 – Tagesreport; OLG Düsseldorf GRUR 1983, 794, 795 – Rheinische Post; OLG Köln GRUR 1984, 751 f – Express; vgl auch Rn 39).
bb) Originäre Kennzeichnungskraft
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Eine wesentliche Funktion des Werktitels besteht häufig, etwa bei Sachbüchern oder Zeitschriften, darin, schlagwortartig auf den Inhalt des Werkes hinzuweisen (Ingerl/Rohnke § 5 Rn 92; LG München I GRUR 1991, 931, 933 – Wellness). Dem Titel ist daher in vielen Fällen ein beschreibender Charakter vorgegeben; das führt dazu, dass die Anforderungen an die Unterscheidungskraft des Werktitels im Vergleich zu der notwendigen Originalität von Unternehmenskennzeichen herabgesetzt ist (Ingerl/Rohnke § 5 Rn 92; OLG München GRUR 1993, 991, 992 – Deutsch im Alltag). Schon die geringfügige Unterscheidungskraft auch inhaltsbezogener Titel kann den Titelschutz rechtfertigen (BGH GRUR 2002, 176 – Auto Magazin; OLG Hamburg AfP 1992, 160 – Snow Board). Das wird nicht nur mit der inhaltsandeutenden