Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
rechtlichen Friktionen und teilweise verfassungsrechtlich bedenklichen Formen der Doppelregulierung zeugen einerseits von der Komplexität der Regelungsmaterie und den zugrundeliegenden technischen Zusammenhängen sowie andererseits von den kompetenzrechtlichen Verteilungskämpfen zwischen dem Bund und den Ländern. Flankiert werden die vorgenannten Veränderungsprozesse von der politischen Diskussion, wie die Zugangs- und Nutzungsbedingungen in einer vom Internet dominierten digitalen Medienwelt ausgestaltet werden sollen.
1. Politische Bedeutung
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Die politische Bedeutung der Digitalisierung erklärt sich vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Wachstumsprognosen und -erwartungen, die an die Digitalisierung von Inhalten und die gleichzeitige Verbreitung von schnellen (breitbandigen) Internetzugängen sowie die Vervielfachung der Distributions- und Rezeptionsmöglichkeiten über verschiedene Infrastrukturen anknüpft.[11] Die Europäische Kommission sieht in der digitalen Technik sogar die Grundlage für eine umfangreiche und bedeutende Wachstums- und Beschäftigungsstrategie innerhalb der Europäischen Gemeinschaft.[12] Der technische Prozess der Digitalisierung hat jedoch insbesondere eine herausragende und aktuelle Bedeutung für den Informations- und Kommunikationsbereich, da sie die ehemals vorwiegende Verbreitungsform – die analoge Aufnahme- und Sendetechnik – bereits fast vollständig ersetzt hat. Dieser analoge Switch-Off ist nicht nur von Seiten der Medienwirtschaft erwünscht, sondern inzwischen auch in nahezu allen europäischen Staaten politischer Konsens, da mit der Digitalisierung erhebliche Vorteile verbunden sind. Diese liegen gegenüber dem analogen Rundfunk bislang in erster Linie in der effizienteren Frequenznutzung, der einfacheren Speicherung und Archivierung der Inhalte, der allgemein besseren Bild- und Tonqualität, der Mehrkanalfähigkeit sowie mittelbar in einer größeren Programmvielfalt. So hatte in Deutschland die Bundesregierung einer frühen Empfehlung der Initiative „Digitaler Rundfunk“ folgend[13] in § 63 Abs. 5 TKG festgelegt, dass die Frequenzzuteilungen für die analoge Rundfunkverbreitung für den Fernsehrundfunk bis spätestens Ende 2010 und für den UKW-Hörfunk bis spätestens Ende 2015 widerrufen werden solle, was zur Folge haben soll, dass danach nur noch die digitale terrestrische Übertragung möglich ist. Aufgrund des langsamen Digitalisierungsprozesses beim Hörfunk wurde jedoch in § 63 Abs. 5 TKG eine Verlängerungsoption vorgesehen, auf deren Grundlage die analoge UKW-Verbreitung um bis zu 10 weitere Jahre ermöglicht wurde. Bereits heute nutzen über 92 % der ca. 38 Mio. deutscher TV-Haushalte digitales Fernsehen,[14] so dass das politische Ziel einer vollständigen Digitalisierung der Verbreitungswege in greifbare Nähe rückt. Im Bereich des terrestrischen Fernsehens ist der Digitalumstieg durch die ausschließliche Nutzung von DVB-T (Digital Video Broadcasting Terrestrial) zum Zweck der terrestrischen TV-Verbreitung mittlerweile vollständig vollzogen worden. Jedoch sind die Kosten der DVB-T-Verbreitung angesichts der vergleichsweise geringen Nutzungsakzeptanz signifikant, weshalb sich bislang nur die öffentlich-rechtlichen Programmveranstalter eine flächendeckende DVB-T-Verbreitung leisten. Private Programmveranstalter nahmen eine DVB-T-Verbreitung in der Regel nur in Ballungszentren vor, da die Programmverbreitung in den bevölkerungsärmeren ländlichen Gebieten nicht wirtschaftlich ist. Gerade wegen der hohen Kosten dieses Verbreitungsweges konnte die terrestrische Fernsehverbreitung erst durch eine Subventionspolitik initiiert werden, die jedoch aufgrund ihrer wettbewerbsverzerrenden Wirkung auf den Infrastrukturwettbewerb von Seiten der EU-Kommission beendet wurde.[15] Ab dem 29.3.2017 begann die Umstellung vom bisherigen terrestrischen Übertragungsstandard DVB-T auf den moderneren Standard DVB-T2, der aufgrund einer höheren Übertragungsbandbreite erstmals eine terrestrische Verbreitung von Programmen im hochauflösenden HDTV-Bildstandard ermöglicht. Die Verbreitung von Programmen privater Programmveranstalter erfolgt hierbei wie zuvor in erster Linie in Ballungsgebieten und zudem erstmals in verschlüsselter Form, um mittels entsprechender Abonnementsentgelte zusätzliche Distributionserlöse zu erwirtschaften, die zur Finanzierung der kostenintensiven terrestrischen Verbreitung beitragen. Beim Satellitenfernsehen wurde der vollständige Umstieg von analoger auf digitale Verbreitungstechnik im Mai 2012 vollzogen, indem die bis dahin noch vorhandene analoge Satelliten-Verbreitung der Rundfunkprogramme beendet wurde. Von diesen Migrationsproblemen verschont werden hingegen die jüngsten Übertragungswege (z.B. DSL, offenes Internet, LTE), welche bereits von Anfang an ausschließlich digital nutzbar sind, so dass in erster Linie nur die klassischen Rundfunkverbreitungswege Terrestrik (Radio), Satellit und Kabel von einem zukünftigen Umstieg auf (ausschließlich) digitale Verbreitungstechnik betroffen sind bzw. waren. Jedoch muss hierbei berücksichtigt werden, dass die Geschwindigkeit und der Erfolg dieser Migrationsprozesse im Wesentlichen von den Faktoren Frequenzknappheit, Zuschauernachfrage und Verbreitungskosten abhängig sind. Wie sich der Umstellungsprozess auf ausschließlich digitale Verbreitungstechnik in dem Verbreitungsweg terrestrischer Hörfunk (insbesondere UKW) vollzieht, bleibt abzuwarten, da in der Regel die Zuschauer durch den Erwerb eines digitalen Endgerätes den Umstellungsprozess individuell steuern. Unter Berücksichtigung dieses nachfrageorientierten Digitalisierungsprozesses und der Reichweitenabhängigkeit vieler werbefinanzierter Programmanbieter ist es naheliegend, eine Beendigung der parallelen analogen Frequenznutzung deshalb von dem bereits erreichten Nutzungsgrad des digitalen Empfangsweges abhängig zu machen. Gerade der Bereich des digitalen Hörfunks (DAB) hat gezeigt, dass trotz eines bundesweit ausgebauten digitalen Sendenetzes die Nutzungsakzeptanz von digitalem Radio noch sehr gering ist, da der Preis der Endgeräte vergleichsweise hoch ist und nicht alle analog verfügbaren Programme auch digital verbreitet werden. Zugleich nimmt die Radionutzung über das Internet beständig zu, da über dieses Verbreitungsmedium ebenfalls ein mobiler Zugriff auf Radioinhalte mit mobilen Endgeräten (meist mittels Smartphone oder Tablet) problemlos möglich ist und zudem die Vielfalt des Angebots unvergleichlich größer ist. Ferner ermöglicht das Internet-Streaming den Programmveranstaltern eine erhebliche Senkung der Verbreitungskosten. Problematisch ist jedoch, ob und inwieweit die Mechanismen der Werbefinanzierung eines in der Regel lokal/regional ausgerichteten Radioangebots auf ein meist international verfügbares Hörfunkangebot übertragen werden können. Im Bereich der Kabelverbreitung nutzen im Jahr 2016 jedoch bereits über 82 % der Kabelhaushalte das digitale Programmangebot, so dass der Ausstieg aus der ineffizienten und kapazitätsintensiven analogen Verbreitungstechnik in den nächsten Jahren zu erwarten ist.
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Der Kabelnetzbetreiber Unitymedia wird aufgrund der überdurchschnittlich hohen digitalen Nutzung in seinem Netz bereits im Juni 2017 die analoge TV-Verbreitung einstellen. Folglich ist zu erwarten, dass danach viele Kabelnetzbetreiber der Empfehlung der Medienanstalten und des Kabelnetzbetreiber-Verbandes ANGA oder der Vorgabe des Sächsischen Gesetzgebers nach § 4 Abs. 6 SächsPRG folgen und die analoge TV-Verbreitung zum Ende des Jahres 2018 einstellen werden. Die Migration des analogen Hörfunks hin zu digitaler Radionutzung stellt sich jedoch aufgrund der geringen Durchdringung digitaler Radioempfänger schwieriger dar, weshalb die Digitalisierung der TV- und Radio-Verbreitung – wie auch bei der Terrestrik zu beobachten ist – sich zeitlich versetzt vollziehen wird.
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Da die Medien- und Kommunikationsbranche sehr schnellen Veränderungszyklen unterworfen ist, müssen angesichts der Vielzahl der technischen Veränderungen und Möglichkeiten stets die telekommunikationsrechtlichen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden, die in § 2 Nr. 7 TKG die Sicherstellung der effizienten und störungsfreien Nutzung von Frequenzen auch unter Berücksichtigung der Belange des Rundfunks als eines der maßgeblichen Regulierungsziele des Telekommunikationsgesetzes nennen. Gerade die effizientere Frequenznutzung[16] und die wesentlich geringeren Probleme mit möglichen Störstrahlungen bzw. Interferenzen sind hierbei signifikante Vorteile des Digitalisierungsprozesses, weshalb die digitale Frequenznutzung nicht nur aus Sicht der Marktteilnehmer und Zuschauer vorteilhaft ist, sondern auch aus regulatorischer und gesamtwirtschaftlicher Sicht große Vorzüge aufweist.
1.1 Die Digitalisierung von Programminhalten
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Der wesentliche technische Unterschied der digitalen[17] zur analogen[18] Aufnahme- und Sendetechnik besteht darin,