Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
Fernsehübertragung unter Nutzung des Internet Protokolls ermöglichen (IPTV). Ferner entsteht derzeit eine Vielzahl neuer breitbandiger Verbreitungsinfrastrukturen. So errichten in den Ballungszentren kommunale Netzbetreiber häufig zusammen mit den örtlichen Stadtwerken neue Glasfaserinfrastrukturen. Hingegen wurden in den ländlichen Gebieten überwiegend terrestrische Infrastrukturen aufgebaut wie beispielsweise die LTE-Technologie (Long Term Evolution), die insbesondere die langwelligeren terrestrischen Funkfrequenzen oberhalb von 790 MHz nutzen, oder WLAN-Netze, die über Richtfunkstrecken an ein Glasfaser-Backbone angeschlossen werden. Die ehemals gehegten Erwartungen an DMB, DVB-H oder UMTS-Netze als die aus damaliger Sicht wichtigsten breitbandigen Zukunftstechnologien sind hingegen nicht erfüllt worden. Deshalb werden nunmehr zunehmend auch in ländlichen Gebieten unter Inanspruchnahme von staatlichen Fördermitteln breitbandige Glasfaserinfrastrukturen errichtet. Ferner bauen auch private Kabelnetzbetreiber ihre Netze in ländlichen Regionen weiter aus und durch die Nutzung der Vectoring-Technologie ist auch die Deutsche Telekom in der Lage, höhere Internet-Bandbreiten anzubieten, die eine Fernseh-Übertragung ermöglichen.
18
Verbreitungswege mit großen Übertragungskapazitäten sind aber nicht nur wegen der heutzutage besonders nachgefragten Internetnutzung, sondern vor allem wegen ihrer Möglichkeit zur Übertragung von Rundfunkinhalten seit jeher von besonderer gesellschaftspolitischer Bedeutung. Im Hinblick auf den Zugang von Rundfunkinhalten zu Verbreitungswegen hat das Bundesverfassungsgericht in einer Zeit, die fast ausschließlich von einer terrestrischen Verbreitungstechnik dominiert war, festgestellt, dass „eine Übertragungstechnik, bei der ein Empfang der Sendungen für alle sichergestellt ist“[35] als Bestandteil der Bestandsgarantie des Rundfunks zu qualifizieren ist, und die Nutzung der Verbreitungswege mithin einen wichtigen Bestandteil der durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG geschützten Rundfunktätigkeit darstellt. Die damalige Ausgangssituation, die durch einen extremen Mangel an terrestrischen Übertragungskapazitäten geprägt war, hat sich heute durch die weit verbreitete Nutzung der Satelliten und der Kabelinfrastrukturen grundlegend geändert. Im Hinblick auf die digitale Verbreitungstechnik ist meist nur noch bei den terrestrischen Infrastrukturen ein Kapazitätsmangel vorhanden. Bei der Auferlegung von Übertragungsverpflichtungen an Infrastrukturbetreiber ist jedoch immer mit Blick auf die zur Verfügung stehenden Übertragungskapazitäten ein verhältnismäßiger Ausgleich zwischen den Interessen des Rundfunkunternehmens einerseits und den nach Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG andererseits geschützten Interessen der Eigentümer der jeweiligen Infrastruktur zu schaffen.[36] Im Rahmen des 10. RÄStV haben die Landesgesetzgeber im Rahmen der sog. „Plattformregulierung“ erstmals versucht, alle digitalen Verbreitungsvorgänge einem einheitlichen Regulierungsansatz zuzuführen. Ob der begrüßenswerte Ansatz einer technologieneutralen Infrastrukturregulierung auch in der Praxis tatsächlich zu einer regulatorischen Gleichbehandlung der unterschiedlichen und miteinander im Wettbewerb stehenden Verbreitungsinfrastrukturen führte, muss angesichts der dynamischen Veränderungsprozesse, die beispielsweise durch Internetdienste wie Google-TV ausgelöst werden, indes bezweifelt werden.[37]
1.1 Übertragungstechnik
19
Aufgrund der historischen Entwicklung der Funktechnik ist das analoge terrestrische Sendernetz der traditionelle Verbreitungsweg für Rundfunkinhalte, über den die Programmsignale mittels Funktechnik über hochgelegene Funktürme weiträumig ausgestrahlt werden. Das terrestrische Verbreitungsnetz wurde ehemals von der Deutschen Bundespost unterhalten und wird heutzutage überwiegend von der Media Broadcast GmbH betrieben. Aus historischen Gründen betreiben auch einzelne öffentlich-rechtliche Sendeanstalten wie beispielsweise der Hessische Rundfunk und der Westdeutsche Rundfunk eigene terrestrische Sendenetze, über welche sie in analoger und digitaler Form ihre Rundfunkinhalte verbreiten (vertikale Integration). Die Programmsignale werden mit einer terrestrischen Dach- oder Zimmerantenne empfangen und an das Fernsehempfangsgerät weitergeleitet. Wegen der Frequenzknappheit (zumeist sind nur sechs terrestrische Frequenzgänge für TV verfügbar) sowie der hohen Übertragungskosten wurde dieser Übertragungsweg jedoch zunächst nur von den öffentlich-rechtlichen Sendeunternehmen genutzt. Seit Beginn des privaten Rundfunks im Jahr 1984 konnte die Terrestrik, die meist nur den Empfang von 6–8 Programmen ermöglichte, aufgrund der damit verbundenen Frequenzknappheit und der hohen Übertragungskosten nur von wenigen privaten Rundfunkanbietern genutzt werden. Die Bedeutung der analogen Terrestrik als Rundfunkübertragungsweg ist seit dem Erfolg der Übertragungswege Satellit und Kabel, die im Vergleich hierzu über ein Vielfaches der Übertragungskapazität verfügen, erheblich zurückgegangen, so dass im Jahr 2002 nur noch 4 % der Fernsehhaushalte auf den analogen terrestrischen Empfang zurückgriffen. Mit der im Jahr 2003 begonnenen Umstellung auf digitale Übertragungstechnik (DVB-T[38]) für Fernsehprogramme konnte die Terrestrik erneut an Attraktivität und Zuschauern gewinnen, da auf den digitalisierten Frequenzen statt einem analogen nunmehr vier digitale Programme verbreitet werden können, so dass in DVB-T-Verbreitungsgebieten in der Regel bis zu 24 Programme empfangbar waren.[39] Bei der DVB-T-Umstellung wurden jedoch die vorhandenen analog genutzten Sendefrequenzen für die digitale Nutzung umgewidmet. Dies hat zur Folge, dass die Einführung der digitalen Verbreitungstechnik die Einstellung der analog terrestrischen Verbreitung der Rundfunkprogramme bedingt („analogue switch off“). DVB-T ist trotz der Vorteile einer effizienteren Frequenznutzung sowie der Möglichkeit der mobilen Nutzung für die Programmveranstalter in Relation zu den erreichten Fernsehhaushalten ein überaus kostenintensiver Verbreitungsweg, so dass die privaten Programmveranstalter – anders als die flächendeckend verbreiteten öffentlich-rechtlichen Sendeunternehmen – bislang nur in Ballungsräumen eine DVB-T Verbreitung nachfragen und sich deshalb nicht oder nur eingeschränkt für die Nutzung dieser terrestrischen Übertragungskapazitäten beworben haben. Die Terrestrik hat sich deshalb von einem ehemals flächendeckenden Verbreitungsweg, der die Grundversorgung der Bevölkerung mit Rundfunk sicherstellen sollte, zu einem Ballungsraumrundfunk entwickelt.[40] Auch durch die Weiterentwicklung der kabelgebundenen Verbreitungsinfrastrukturen zu internetfähigen Kommunikationsplattformen, die zudem aufgrund der größeren Übertragungsbandbreiten in der Lage sind, eine Vielzahl von bandbreitenintensiven HDTV-Programmen zu übertragen, nahm die Bedeutung der Terrestrik als Verbreitungsinfrastruktur erneut ab. Auch aufgrund des fehlenden Angebots an Pay-TV-Programmen gerät die digitale Terrestrik im Vergleich mit anderen Infrastrukturen erneut ins Hintertreffen. Mit der ab März 2017 begonnenen Weiterentwicklung der DVB-T-Verbreitungstechnik hin zu der DVB-T2- Technik, die die MPEG-4-Kompressionstechnik verwendet, werden weitere Übertragungskapazitäten für die digitale Terrestrik geschaffen werden, so dass die Programmverbreitung nunmehr im HDTV-Standard verbreitet wird. Die DVB-T2-Verbreitung ersetzt aber die bisherige DVB-T-Verbreitung, die im Gegenzug eingestellt wird. Ferner erfolgt die DVB-T2-Verbreitung der privaten Programmveranstalter in verschlüsselter Form, so dass der Empfang dieser Programme den Abschluss eines entsprechenden kostenpflichtigen Abonnements voraussetzt. Die technische Umstellung von DVB-T auf DVB-T2 erfordert auf Seiten der Empfangshaushalte jedoch auch eine Umstellung der Empfangsgeräte. Die bisherigen DVB-T-Empfangsgeräte sind mit dem DVB-T2-Standard nicht kompatibel. Der Vorteil von DVB-T2 beruht vor allem darauf, dass eine höhere Modulation verwendet wird (256 QAM statt bisher 64 QAM), die zum einen höhere Übertragungskapazitäten schafft (und damit eine HDTV-Übertragung erlaubt), aber zum anderen einen für den Zuschauer radikalen technischen Umstellungsprozess (Wechsel des Empfangsgeräts) erfordert.
Unabhängig von dem technischen Umstellungsprozess auf DVB-T2 wird auch wegen der Verschlüsselung der privaten Programme abzuwarten sein, ob der terrestrische Empfang wie bislang auch weiterhin komplementär zum Satelliten- und Kabelempfang für den Rundfunkempfang auf entsprechenden Zweit- oder Drittgeräten oder zur mobilen Nutzung (z.B. im Auto, auf Laptops oder portablen TV-Geräten mit eingebauten DVB-T2-Tunern) eingesetzt wird.[41]
20
Das terrestrische Sendenetz für die digitale Hörfunkübertragung (DAB[42]) wurde bereits vor längerer Zeit bundesweit vollständig ausgebaut. Da die DAB-Frequenzen über eine eigenständige Netzinfrastruktur bereitgestellt werden, die parallel zu dem analogen Sendenetz existiert, müssen für die digitale Verbreitung von Hörfunkprogrammen keine analogen UKW-Frequenzen