Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren. Steffen Stern
reagierende Angeklagte nach erheblichem Alkoholgenuss, der nicht ausschließbar zu ihrer Schuldunfähigkeit geführt hatte, einen „Zechkumpanen“ derart geschlagen und getreten, dass dieser an den Folgen der Verletzungen verstorben war.
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Die forensischen Probleme liegen zunächst im Tatsächlichen und dort bei der Feststellung der inneren Tatseite (Tötungs- oder nur Verletzungsvorsatz?). Hochalkoholisiert (BAK 3,5 ‰) ersticht der Täter im Streit einen befreundeten Zechkumpanen und verletzt dessen streitschlichtend eingreifende Ehefrau schwer. Nach Auffassung des BGH war der Tötungsvorsatz in Bezug auf den Getöteten nicht tragfähig begründet; hinsichtlich der der Ehefrau zugefügten Verletzung hätte auch nur fahrlässige Begehungsweise erörtert werden müssen[203].
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Strafprozessual kann bei tödlicher Gewalt unter Mitzechern die Aufklärung des Sachverhalts schnell an Grenzen stoßen. Zuweilen muss selbst der geduldigste Verteidiger passen, wenn neben den unmittelbaren Tatzeugen auch sein tatverdächtiger Mandant gegen Wahrnehmungs- und Erinnerungsstörungen[204] anzukämpfen hat. Gelingt die Tatrekonstruktion dennoch, hat der Psycho-Sachverständige das Wort[205]. Gewöhnlich hat der Rechtsanwender nur zwischen verminderter Schuldfähigkeit[206] (§ 21 StGB i.V.m. §§ 211, 212 StGB) oder Vollrausch (§ 323a StGB)[207] zu entscheiden. Fast immer herrscht bei Strafjuristen und medizinischen Sachverständigen Ratlosigkeit, wie und ob der Täter überhaupt noch vom Alkohol wegzubringen ist. Zumeist steht sogar das Unterbringungsproblem[208] im Vordergrund.
7. Drogeninduzierte Tötungsdelikte
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Durchschnittlich 6,5 % aller Morde gehen auf das Konto von Konsumenten harter Drogen. Steht ein Mord im Zusammenhang mit einem Raubdelikt, beträgt ihr Anteil sogar knapp 20,4 %[209]. Hinter diesen Prozentzahlen verstecken sich die vereinzelten Fälle direkter Beschaffungskriminalität, in denen der Drogensüchtige seinen Dealer umbringt, um an dessen Rauschgiftvorrat zu gelangen[210]. Weitaus häufiger hat es der abhängige Gewalttäter jedoch auf Zahlungsmittel für den Erwerb von Drogen abgesehen (indirekte Beschaffungskriminalität). Wenn er unter Entzugserscheinungen leidet, werden bei sich nächst bietender Gelegenheit unbeteiligte Dritte, wie etwa Taxifahrer[211] oder Kneipen-Bedienungen[212], rücksichtslos mit dem Messer attackiert, um deren Barschaft an sich zu bringen. Wird der Täter zeitnah gefasst, kann zur Feststellung der Schuldfähigkeit sein Drogenkonsum durch entsprechende Drogenwerte im Urin und in den Haaren belegt werden[213], in denen sich bei der chemischen Analyse vielleicht hohe Werte von Kokain oder Heroin finden. Exemplarisch für diese Fallgruppe ist der an älteren Damen verübte Handtaschenraub, der für die überfallene Person tödlich endet[214]. Wenngleich zumeist das hochbetagte Opfer nur leicht verletzt wird, kann durchaus Lebensgefahr für aufmerksame Passanten entstehen, die sich an die Fersen des aufgewühlten, unberechenbar reagierenden drogensüchtigen Täters heften[215].
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Wie verzwickt die juristische Aufarbeitung solcher Fälle sein kann, soll anhand eines dem BGH unterbreiteten Sachverhalts veranschaulicht werden. Nach durchzechter Nacht (BAK maximal 2,3 ‰) und aufgeputscht durch antriebssteigernde Drogen (Speed, Kokain) war der erst kurz zuvor aus Strafhaft und Maßregelvollzug entlassene Täter beim Einsteigen in ein Wohnhaus überrascht worden. Um der Bestrafung wegen (des vermutlich versuchten) Einbruchdiebstahls oder einem Bewährungswiderruf zu entgehen, erstach er das im Haus lebende Ehepaar mit einem zufällig bereitliegenden Messer. Er konnte zunächst unerkannt entkommen, wurde später aber anhand einer DNA-Spur überführt[216].
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Wie so oft bei Gewalttaten, die spontan und unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen begangen wurden, stellte sich auch hier zunächst die Frage nach dem Tötungsvorsatz[217], zumal es, um flüchten zu können, objektiv ausgereicht hätte, die Opfer nur zu verletzen. Mit der Mindestfeststellung eines Eventualvorsatzes waren Mordmerkmale zu prüfen, primär die Verdeckungsabsicht[218], eventuell auch Heimtücke[219]. Arglosigkeit der Opfer ließ sich vorliegend nach Auffassung des BGH nicht begründen. Verdeckungsmotive hatten hingegen trotz des womöglich vorherrschenden Fluchtgedankens auf der Hand gelegen. Dann die Beurteilung der Schuldfähigkeit, die nur mit Hilfe eines Psycho-Sachverständigen zu klären war. Für einen Ausschluss des Hemmungsvermögens bzw. einen Vollrausch[220] gab der Sachverhalt nichts her[221]. Die Voraussetzungen des § 21 StGB lagen hingegen positiv vor. Das leitete über zum Problem der Strafrahmenverschiebung gem. § 49 Abs. 1 StGB[222]. Konnte oder musste der Täter aus seinen im Rausch begangenen Vortaten seine Neigung zu rauschbegleiteten Tötungsdelikten entnehmen? Das konnte vorliegend fraglich erscheinen, anders als der Vorwurf, sich ungeachtet einer langjährigen Alkohol- und Drogenkarriere wieder schuldhaft in diesen Zustand versetzt zu haben. War unter diesem Blickwinkel eine Strafrahmenverschiebung abzulehnen, stellte sich das Sonderproblem der nun drohenden lebenslangen Freiheitsstrafe. Es bedarf dann besonders schwerwiegender Gründe, die einer solchen Milderung entgegenstehen[223]. Diese könnten darin zu erblicken sein, dass – die Verminderung der Schuldfähigkeit hinweg gedacht – ein Doppelmord vorläge, hinsichtlich dessen auch mit Blick auf die Vortaten eine besondere Schwere der Schuld (§ 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB)[224] festzustellen wäre.
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Schlussendlich war die Möglichkeit der Anordnung einer Maßregel gem. § 64 StGB – Unterbringung in einer Entziehungsanstalt[225] – oder gem. § 66 StGB – Sicherungsverwahrung[226] – in Erwägung zu ziehen. Ein weites Betätigungsfeld also und eine hohe Verantwortung für den zur „Schadensbegrenzung“ berufenen Strafverteidiger.
8. Gewalttaten psychisch gestörter Täter
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Fast schon zum „Normalbild“ eines Schwurgerichtsprozesses gehören Angeklagte mit Persönlichkeitsstörungen[227]. Es bedarf stets genauer Prüfung, ob sich die „Störungen“ noch im Spektrum des Normalpsychologischen bewegen oder ob sie, für sich allein oder aber erst in Verbindung mit anderen Defekten, die Annahme verminderter oder – in seltenen Ausnahmefällen – gar in Gänze ausgeschlossener Schuldfähigkeit rechtfertigen. Solche Tatverdächtigen sind als Mandanten nicht immer leicht zu durchschauen, geschweige denn sicher zu führen. Vor allem bei „Borderline“-Gestörten[228] kann es unter der Anspannung der Hauptverhandlung zu unliebsamen Überraschungen kommen, wenn der Betreffende, weil ihm etwas gegen den Strich geht, die Beherrschung verliert und „aus dem Ruder läuft“. Wenn alles gut geht, bleibt es bei einem heftigen Wutausbruch oder der Beschimpfung und Bedrohung eines Zeugen. Der Mandant riskiert „nur“ die (vorübergehende) Anordnung von Hand- oder Fußfesseln[229]. Viel schwieriger ist es, ein womöglich trotzig aufgetischtes Falschgeständnis wieder aus der Welt zu schaffen.
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Nicht selten haben wir es mit sinnlosen Gewalthandlungen wahnhaft gestörter Täter zu tun, die immens unter den Tatfolgen leiden, ohne sich der eigenen Täterschaft oder einer Schuld bewusst zu sein. Ihre Tat kann sich theoretisch gegen Jedermann richten, Freunde und nahe Angehörige nicht ausgeschlossen. Oft bringen sie grundlos ihre Partnerin um, weil sie einer inneren Stimme folgen oder sich akut bedroht fühlen. Oder es trifft einen wohlmeinenden Geldgeber, dem plötzlich – ohne tatsächliche Anhaltspunkte – finstere Machenschaften unterstellt werden[230].
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Diese Täter können, sobald nach Einschätzung des Sachverständigen § 20 StGB nicht sicher ausschließbar ist[231], mangels Schuldfähigkeit nicht bestraft werden. Über