Absprachen im Strafprozess. Dirk Sauer
Vorwort der Verfasser
Vorwort der Verfasser
Der vorliegende Text ist aus dem in derselben Reihe im Jahr 2008 erschienenen Werk „Konsensuale Verfahrensweisen im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht“ hervorgegangen. Schon aus dem neuen Titel ist die erste wesentliche Neuerung ersichtlich: Die Beschränkung auf das Wirtschafts- und Steuerstrafrecht ist aufgegeben. Der zentrale Grund dafür besteht darin, dass bekanntlich die Regelung der Absprache im Strafprozess mittlerweile Eingang in die StPO gefunden hat. Damit erschien es angezeigt, auch die Urteilsabsprache ganz allgemein und nicht mehr nur bereichsweise als gesetzlich geregelte Verfahrensweise im deutschen Strafprozess anzusehen. Da die anderen von uns als „konsensual“ bezeichneten, in der StPO vorgesehenen Arten der Verfahrenserledigung, namentlich § 153a StPO und das Strafbefehlsverfahren, ohnehin seit jeher gerade in der Praxis ein wesentlich breiteres Anwendungsfeld hatten als nur das Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, ist damit jede denkbare Rechtfertigung für die Beschränkung auf dieses spezielle Gebiet des Strafrechts weggefallen.
Mit der Einführung der Urteilsabsprache in die StPO ändert sich naturgemäß auch die Sicht, die jedenfalls der praktisch tätige Strafjurist auf die Rolle des Konsenses im deutschen Strafverfahren hat oder jedenfalls haben sollte. Konnte man früher immerhin noch darüber streiten, ob es so etwas wie eine Urteilsabsprache überhaupt legaler- oder legitimerweise geben darf,[1] so kann man heute die Absprache im Strafprozess in diesem Sinne zwar noch als Indiz für den Verfall der Rechtskultur ansehen und insgesamt zum Teufel wünschen. Das gilt aber für andere Regelungskomplexe der StPO, beispielsweise das Strafbefehlsverfahren oder die §§ 153 ff StPO ebenso. Nicht mehr aufrecht zu erhalten ist indes die Behauptung, die Urteilsabsprache sei mit der StPO in ihrem aktuellen Zustand unvereinbar. Auch ihre durchgehende Verfassungswidrigkeit hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 19. März 2013[2] gerade nicht festgestellt. Also geht es jetzt endgültig nur noch darum, die neu eingeführten Regelungen zu interpretieren und auftretende Auslegungs- und Anwendungsprobleme vertretbaren Lösungen zuzuführen.
Damit verschiebt sich im Vergleich zu dem früheren Werk die Schwerpunktsetzung der Darstellung in nicht unerheblicher Weise. Der damals ausführlich behandelte „Streit um die Urteilsabsprache“ taucht jetzt nur noch in verkürzter Form als recht knappe Auseinandersetzung mit der seit Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung insbesondere von Seiten der Rechtswissenschaft, aber auch von namhaften Vertretern der Justiz weiter geübten Grundsatzkritik auf. Dafür werden diejenigen gesetzlichen Vorschriften, die im Zuge der Regelung der Urteilsabsprache neu in die StPO eingeführt oder in der StPO neu gefasst wurden, ausführlich vorgestellt und erläutert. Dies umfasst auch eine eingehende Befassung mit der seit der Gesetzesnovelle veröffentlichten Literatur und vor allem der bereits heute außerordentlich umfangreichen Judikatur, die zu den neuen Vorschriften mittlerweile (Stand Juli 2014) vorliegt. Die gesetzliche Regelung hat ersichtlich ihrerseits in nicht geringem Maße neuen Klärungsbedarf geschaffen, mit dessen Bewältigung die Revisionsgerichte nun beschäftigt sind.
Mit der thematischen Erweiterung auf das gesamte Strafrecht wie auch dem Einbau einer kommentarartigen Darstellung der neuen Gesetzeslage war ein erheblich gestiegener Bearbeitungsaufwand verbunden. Dem ist vor allem dadurch Rechnung getragen worden, dass der vorliegende, stark überarbeitete Text nunmehr ein Gemeinschaftswerk darstellt. Wir haben die Struktur des Vorgängerwerks überdacht, von uns für erhaltenswert Erachtetes erhalten, und zugleich, wo aus unserer Sicht erforderlich, Kürzungen vorgenommen. Auf der anderen Seite haben wir gänzlich neue Passagen in das Buch eingefügt. Die alte dreiteilige Darstellung ist schon aufgrund des Wegfalls der rechtsdogmatischen Beschäftigung mit der Fundamentalkritik nicht mehr aufrechterhalten worden, stattdessen befassen sich nun, grob skizziert, die ersten drei Teile mit der veränderten strafprozessualen Rechtslage, die Teile vier und fünf mit den stets zu bedenkenden rechtlichen und außerrechtlichen Folgen, die konsensuale Verfahrensweisen, insbesondere Verfahrenserledigungen, im Strafprozess haben können und die mithin in der Beratungspraxis bedacht werden müssen, und als Teil sechs finden sich in komprimierter Form die Praxishinweise, die früher den dritten Teil der Darstellung ausgemacht haben. Schwerpunktmäßig hat sich dabei Sebastian Münkel auf die Neufassung der Teile vier und fünf konzentriert, während Dirk Sauer als Berichterstatter für die ersten drei Teile, also auch die Überarbeitung der Neuregelung in der StPO, fungiert hat.
Unverändert geblieben ist die konsens-freundliche Grundhaltung, die bereits im Vorwort des 2008 erschienen Vorgängers vertreten worden war[3]. Der deutsche Strafprozess ist nicht generell konsensfeindlich und er war es auch nie. Die Urteilsabsprache stellt nur eine, aber bei weitem nicht die einzige und nicht einmal unbedingt die bedeutendste Möglichkeit der konsensualen Verfahrensbeendigung dar. Für den seriösen Praktiker lag schon immer und liegt unzweifelhaft jedenfalls seit Übernahme der Urteilsabsprache in die StPO das eigentliche Problem nicht in der Frage, ob er von Gesetzes wegen berechtigt ist, im Einvernehmen mit allen Verfahrensbeteiligten das Strafverfahren zu gestalten oder zum Abschluss zu bringen. Ihm stellen sich andere Schwierigkeiten. Zum einen muss er in jeder Lage und bei jedem Schritt immer die Folgen bedenken. Ist erst einmal irgendeiner Verfahrenshandlung zugestimmt oder ein Verfahren einvernehmlich beendet, gibt es ab einem bestimmten Punkt zumeist kein Zurück mehr, und der Mandat muss mit den Vorteilen, aber auch mit den Nachteilen leben. Die Aufgabe des Verteidigers besteht in der umfassenden Beratung des Mandanten über alle Chancen und Risiken des Strafverfahrens sowie darin, gemeinsam mit dem Mandanten einen realistischen und für ihn möglichst erträglichen Weg aus seinen Schwierigkeiten zu finden.
Die strikte Bindung an das geltende Recht ist dabei eine pure Selbstverständlichkeit. Sie liegt aber auch und gerade im wohlverstandenen Interesse des Mandanten. Das zweite Hauptproblem, das sich dem Praktiker stellt, ist nämlich nach wie vor die Rechtswirklichkeit. Eines kann sicher schon heute gesagt werden: Die Aktivität des Gesetzgebers hat nicht dazu geführt, dass der Wildwuchs, die Verlotterung der Sitten im deutschen Strafprozess, die von den Kritikern der Absprache im Strafprozess schon immer zurecht beklagt worden war, entscheidend eingedämmt worden wäre. Nach wie vor muss der Mandant davor geschützt werden, sich auf „Deals“ einzulassen, die ihm mehr schaden als nutzen und deren einziger Vorteil in einer Abkürzung des Verfahrens liegt, die aber in der Tat auf Kosten von Transparenz, Sachaufklärung und überzeugender Rechtsanwendung gehen. Der Satz aus dem Vorwort des Vorgängerwerks,[4] auch eine Aktivität des Gesetzgebers würde mutmaßlich an der Praxis nicht viel ändern, hat sich nach unserer Beobachtung bewahrheitet. Der Gesetzgeber hat nicht durchweg, aber in großen Teilen das kodifiziert, was zuvor schon nach der Rechtsprechung des BGH galt. Die Praxis, bedauerlicherweise vor allem Gerichte und Staatsanwaltschaften, scheren sich darum nach wie vor nur sehr bedingt. Damit zeigt sich erneut, dass die vor allem auf Schünemann[5] zurückgehende Fundamentalkritik, die darauf abzielte, das zu verbieten, was nach Schünemanns Auffassung ohnehin schon immer verboten war, den Kern der Sache verfehlte: Das Problem lag nicht darin, dass die vom BGH aufgestellten Grundsätze mit der StPO oder der Verfassung nicht zu vereinbaren gewesen wären, und sie liegen heute nicht in einer entsprechenden Schieflage der gesetzlichen Regelung. Wirklich wünschenswert wäre eine mit dem gleichen Furor, wie er gegen die Theorie der Absprache gerichtet war, vorgebrachte Kritik der früheren und heutigen Praxis: Die dringendste und nach wie vor ungeklärte Frage zum Thema Absprachen im Strafprozess ist diejenige, wie erreicht werden kann, dass deutsche Staatsanwaltschaften und deutsche Gerichte sich an das geltende Recht halten[6]. Hieran fehlt es, und daraus entstehen massive Akzeptanzprobleme: Wie soll ein Mandant, dem wegen der Missachtung des Rechts ein Übel in Form von Strafe zugefügt wird, dieses akzeptieren, wenn er gleichzeitig erlebt, dass die Strafverfolgungsbehörden bis hinein in die öffentliche Hauptverhandlung offen gegen das Strafprozessrecht verstoßen.[7] Das vorliegende Werk wird an mehreren Stellen auf diese Problematik zurückkommen. Es stellt insoweit auch den Versuch dar, nach der Legalisierung auch etwas zur Legitimierung der konsensualen Verfahrensweisen im deutschen Strafprozess beizutragen.
Für die Aufnahme in die Reihe „Praxis der Strafverteidigung“ sind wir erneut den Herausgebern, Herrn Prof. Dr. Werner Beulke und Herrn Prof. Dr. Dr. Alexander Ignor, verbunden. Für ihre Unterstützung danken wir wiederum unseren Sozien Annette Parsch und Dr. Thomas Nuzinger, die die Entstehung des vorliegenden Werks kritisch begleitet und