Handbuch des Aktienrechts. Hans-Peter Schwintowski
angewiesen ist, zurückzustehen haben.
1.7 Bezugsrecht
1.7.1 Allgemeines
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Gem. § 186 Abs. 1 AktG muss jedem Aktionär auf sein Verlangen ein seinem Anteil an dem bisherigen Grundkapital entsprechender Teil der neuen Aktien zugeteilt werden (Bezugsrecht). Die Vorschrift garantiert dem jeweiligen Aktionär ein subjektives Recht auf die Teilnahme an der Kapitalerhöhung seiner AG durch den Bezug neuer Aktien und stellt damit eines der wichtigsten Mitgliedschaftsrechte des Aktionärs dar.[166] Das Bezugsrecht sichert dem Aktionär das Recht, sein bisher vorhandenes Stimmrecht in der Gesellschaft auch im Falle einer Kapitalerhöhung beizubehalten.[167] Der Aktionär ist aufgrund des Bezugsrechts somit berechtigt, den prozentualen Anteil seiner Beteiligung am gesamten Aktienkapital der AG trotz der Erhöhung des Gesellschaftskapitals beizubehalten, und kann durch die Zeichnung auf der Grundlage des Bezugsrechts ein infolge der Kapitalerhöhung drohendes Absinken seines Aktienwerts ausgleichen (sogenannter Verwässerungsschutz).[168] Seine mitgliedschaftliche Stellung innerhalb der Gesellschaft bleibt unverändert, wenn er sein Bezugsrecht ausübt. Darüber hinaus ist der Aktionär berechtigt, sein Bezugsrecht an einen Dritten zu veräußern.[169] Dies führt zwar sowohl zu einer Verwässerung des Wertes seiner bisherigen Aktien als auch, aufgrund des geringeren Aktienanteils, zu einem Einflussverlust bei Abstimmungen. Für diese Nachteile wird der Aktionär jedoch regelmäßig eine adäquate finanzielle Entschädigung durch den Verkauf des Bezugsrechts erhalten. Bei börsennotierten Aktiengesellschaften wird das Bezugsrecht in der Regel auch gehandelt.[170]
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Da das Bezugsrecht zu den mitgliedschaftlichen Kernrechten des Aktionärs gehört, kann es nur mit einer qualifizierten Mehrheit ausgeschlossen werden. Formale Aspekte des Bezugsrechtsausschlusses sind in § 186 Abs. 3 und 4 AktG geregelt. Des Weiteren sind aber auch inhaltlich strengere Anforderungen an den Bezugsrechtsausschluss zu stellen, die von der Rechtsprechung in teilweise umstrittenem Umfang entwickelt und weiterentwickelt wurden und nach denen es stets einen sachlichen Grund für den Bezugsrechtsausschluss geben muss.[171] Die strenge gerichtliche Kontrolle hat dazu geführt, dass sich Aktiengesellschaften zunehmend anstelle der Durchführung einer regulären Kapitalerhöhung für die Schaffung genehmigten Kapitals gem. §§ 202 ff. AktG entschieden haben.[172] Dies hat auch den Vorteil, dass die Entscheidung über den Bezugsrechtsausschluss gem. § 203 Abs. 2 S. 1 AktG auf den Vorstand delegiert werden kann.[173] Die Rechtsprechung hat daraufhin den Maßstab bei der Überprüfung des sachlichen Grundes für den Bezugsrechtsrechtsausschluss etwas abgesenkt.[174]
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Bezüglich der Entstehung ist zwischen dem Bezugsrecht als mitgliedschaftlichem Kernrecht und dem konkreten Bezugsanspruch, welcher aus dem Bezugsrecht erwächst, zu unterscheiden. Der Bezugsanspruch entsteht – wenn das Bezugsrecht nicht ausgeschlossen wurde – nur durch einen wirksamen Kapitalerhöhungsbeschluss. Dabei ist seine Entstehung nicht von der Eintragung des Beschlusses im Handelsregister abhängig.[175] Er entsteht vielmehr schon mit Wirksamwerden des Kapitalerhöhungsbeschlusses, mithin mit der Beschlussfassung der HV.[176] Zu diesem Zeitpunkt ist allerdings noch nicht sicher, ob die Erhöhung auch tatsächlich durchgeführt wird, sodass der Bezugsanspruch mit dem Vorbehalt der tatsächlichen der Durchführung der Kapitalerhöhung entsteht.[177]
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Beim Abschluss eines Zeichnungsvertrags erlischt das Bezugsrecht durch Erfüllung gem. § 362 BGB. Weitere Erlöschensgründe sind der Verfall des Bezugsrechts nach Ablauf der Bezugsfrist oder ein Verzichtsvertrag zwischen dem Bezugsberechtigten und der AG.
1.7.2 Gesetzliches Bezugsrecht
1.7.2.1 Inhalt und Umfang
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Das gesetzliche Bezugsrecht des § 186 Abs. 1 AktG ist das dem Inhaber von Aktien auf Grund des Gesetzes zustehende Recht, Aktien im Falle einer Kapitalerhöhung mittels neuer Anteile originär zu bestimmten Bezugsbedingungen zu erwerben.[178] Das Gesetz garantiert damit jedem Aktionär grds. die Möglichkeit, sich entsprechend des Nennwertes seiner Aktien am bisherigen Grundkapital an der Kapitalerhöhung der AG zu beteiligen. § 186 Abs. 1 AktG bewirkt dabei jedoch nicht, dass der Aktionär aufgrund des Bezugsrechts automatisch Zeichner der neuen Aktien würde. Dies widerspräche dem Grundsatz des § 54 Abs. 1 AktG, wonach kein Aktionär verpflichtet ist, zusätzliche Leistungen zu erbringen.[179] Eine solche automatische Teilnahme an der Kapitalerhöhung der AG findet lediglich bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln gem. § 212 AktG statt. Hierbei sind vom Aktionär keine die bereits bestehenden Einlagen übersteigenden notwendigen Leistungen zu erbringen. Es besteht demnach auch keine gesellschaftsrechtliche Pflicht des Aktionärs zur Teilnahme an einer Kapitalerhöhung. Zulässig ist es jedoch, dass die AG eine schuldrechtliche Vereinbarung mit dem Aktionär schließt, in der dieser sich zur Teilnahme an der Kapitalerhöhung verpflichtet.[180]
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Der Aktionär, der sein Bezugsrecht ausübt und einen wirksamen Zeichnungsschein einreicht, hat gegen die AG einen durchsetzbaren Anspruch auf Abschluss eines Zeichnungsvertrags zu den im Kapitalerhöhungsbeschluss festgelegten Bedingungen.[181] Das Bezugsrecht gewährt hingegen keinen Anspruch auf die Zuteilung von Aktien zum geringsten Ausgabebetrag[182] oder auf Zuteilung solcher Aktiengattungen, die den bisher von dem Aktionär gehaltenen Aktien entsprechen.[183] Folglich erhalten bei Ausübung ihres Bezugsrechts Inhaber von Stammaktien ggf. stimmrechtslose Vorzugsaktien und umgekehrt.[184] Werden verschiedene Aktiengattungen ausgegeben, so besteht das Bezugsrecht an einem entsprechenden Anteil jeder auszugebenden Aktiengattung[185], auch wenn bereits mehrere Aktiengattungen bestehen (sog. Mischbezugsrecht).[186] Ein Machtzuwachs von z.B. bisher nicht stimmberechtigten Vorzugsaktionären wird durch einen in der Praxis häufig sogenannten „gekreuzten“ Bezugsrechtsausschluss vermieden, welcher durch die Wahrung der bisherigen Stimmrechts- und Vermögensverhältnisse sachlich gerechtfertigt ist.[187]
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Die in § 186 AktG enthaltenen Regelungen zum Bezugsrecht sind zwingendes Recht und können nicht durch eine anders lautende Satzungsbestimmung geändert werden.[188]
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Auch der Umfang des gesetzlichen Bezugsrechts ist § 186 Abs. 1 AktG zu entnehmen. Danach hat der Aktionär nach Ausübung seines Bezugsrechts einen Anspruch gegen die AG auf Zuteilung so vieler neuer Aktien, wie dies seinem Anteil an dem bisherigen Kapital der Gesellschaft entspricht, d.h. er hat einen Anspruch auf die gleiche prozentuale Beteiligung am Grundkapital der Gesellschaft wie vor der Kapitalerhöhung.[189] Dies folgt bereits aus dem Gleichbehandlungsgebot des § 53a AktG. Es entstehen in der Praxis regelmäßig Bruchteilsrechte, da das Grundkapital nur selten verdoppelt oder im Verhältnis 1:1 erhöht wird. Die Bruchteilsrechte können aber als solche nicht ausgeübt werden. Daher erhält jeder Aktionär zunächst ein nicht ausübbares Recht auf den Bruchteil einer neuen Aktie. In diesem Fall kann der jeweilige Aktionär weitere Bruchteilsrechte im erforderlichen Umfang hinzuerwerben oder aber mit anderen Bruchteilsberechtigten das Recht an einer Aktie gem. § 69 Abs. 1 AktG gemeinsam ausüben.[190] Zudem ist ein teilweiser Bezugsrechtsausschluss zur Vermeidung von Bruchteilen zulässig, vorausgesetzt der Erhöhungsbetrag kann nicht so gewählt werden, dass praktikable Bezugsverhältnisse gegeben sind.[191]
1.7.2.2 Rechtsnatur und Übertragbarkeit
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Ebenso wie der Anspruch auf Gewinnbeteiligung, das Stimmrecht und das Auskunftsrecht gehört das gesetzliche Bezugsrecht zu den allgemeinen Mitgliedschaftsrechten des Aktionärs. Es ist ein nicht abtrennbarer Bestandteil des Mitgliedschaftsrechts und deshalb nicht selbstständig und isoliert von den dazugehörigen Aktien auf Dritte übertragbar.[192] Etwas anderes gilt jedoch hinsichtlich des sogenannten Bezugsanspruchs, welchen der Aktionär mit